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ROTARY AKTUELL

Völkerverständigung mit Musik

ROTARY AKTUELL - Völkerverständigung mit Musik
In welcher instrumentellen Besetzung am Ende gespielt wird, ist beim Rotary-Jugendmusikfestival immer eine Überraschung. © Bastian Frank

Was sechs Partnerclubs auf die Beine stellen: Ein Jugendmusikprojekt mit internationaler Ausstrahlung und (fast) 30-jähriger Geschichte

Matthias Schütt01.06.2017

Nur bei der Zählung ist man sich nicht ganz einig: Ernesto Leo, der „Vater“ des Internationalen Rotary-Jugendmusikfestivals, meint, in Finsterwalde finde das 30. Jubiläum statt, die Bad Driburger zählen erst 29. Doch das spielt keine Rolle: Denn dieses Festival ist mit Sicherheit eins der am längsten laufenden Musikprojekte einer Clubgemeinschaft. Und ein großes, anspruchsvolles dazu. Die Musiker zwischen 13 und knapp über 20 Jahren wie auch ihr Dirigent Ernesto Leo gehen in der Festivalwoche an ihre Grenzen, was Probenzeit und -intensität betrifft, Konzentration und Orchesterdisziplin. Schließlich geht es um zwei Konzerte vor großem Publikum am Ende einer Woche, in der die Musik im Vordergrund steht, aber auch Freundschaften quer durch Europa entstehen und der Rotary-Jugenddienst eine Sternstunde feiert.

Stellen Sie sich vor: 38 junge Leute aus sechs Ländern, manche fast noch Kinder, treffen sich am Ostermontag erstmals zum Kennenlernen – in sechs Sprachen. Dienstag früh klopft Maestro Leo das erste Mal aufs Dirigentenpult, es folgen lange Probentage bis zur Premiere am Freitag. Zwischendurch bleibt nur einmal Zeit für einen kleinen Ausflug. Ansonsten regiert der Taktstock.

Länderübergreifender Spirit

Sechs Clubs aus sechs Ländern – Vilvoorde/Belgien, Mantes-La-Jolie/Frankreich, Harrow/Großbritannien, Saronno/Italien, Palma Almudaina/Spanien und Bad Driburg – sind seit vielen Jahren rotarische Partner und suchten Mitte der 1980er Jahre ein verbindendes Jugendprojekt. Saronno brachte sein Mitglied Leo ins Gespräch, der 1987 erstmals in seinem Heimatclub bei Mailand eine Festivalwoche organisierte. „Dazu lädt jeder Club ausgewählte Musiker aus seiner Region ein“, erläutert Ingo Rüchel vom RC Bad Driburg. „Das Konzept hat sich so gut bewährt, dass das Festival jedes Jahr in der Woche nach Ostern stattfindet, reihum in den Partnerclubs.“ Wenn mal einer passen muss, springt wie in diesem Jahr Driburgs Tochterclub Finsterwalde ein. Das fällt Präsident Sven Berger und seinen Freunden nicht schwer, denn sie haben mit der Musikschule des Landkreises Elbe Elster einen starken Partner für die aufwendige Organisation an der Seite.

Alle wissen: Dies ist eine Ausnahmesituation. Das schweißt zusammen. Der 70-Jährige Leo ist ein musikalisch beseelter Pädagoge, Komponist und Dirigent, ohne den das Ganze nur Episode geblieben wäre. Er debütierte 1976 an der Mailänder Scala, dirigierte die italienischen Klassiker von Verdi bis Puccini, aber liebt auch Musicals und Pop-Musik. Schon an der Scala kümmerte Leo sich um Angebote speziell für Jugendliche, was 1978 zur Gründung seiner eigenen Musikschule führte. Hier werden Kinder an Instrumente und Noten herangeführt, aber auch Studenten aus aller Welt ausgebildet.

Flexibilität ist gefragt

Leo dirigiert und komponiert, unter anderem ein viel gespieltes Musical nach Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, vor allem aber hat er ein begnadetes Talent zum Arrangement. Genau davon lebt das Jugendmusikfestival. Der Maestro bekommt zwar vorab eine Liste der gemeldeten Schüler und ihrer Instrumente, aber was dann am Dienstag nach Ostern tatsächlich vorliegt, „das ist immer eine sorpresa, eine Überraschung“, wie er schmunzelnd sagt. So braucht er für klassische Werke etwa 15 Geigen, hatte in Finsterwalde aber nur acht. Bratschen gar nicht, dafür „viel Metall“. Leo wählte deshalb statt Bach und Mozart Gershwin und Morricone. „Mittwochabend steht in der Regel fest, was wir spielen werden“, erklärt Leo. „Denn dann weiß ich, was jeder kann.“ Und manchmal muss er noch am Konzerttag ein Arrangement mal eben umschreiben, weil der Trompeter sich die Lippen wundgeprobt hat…

Das Publikum merkt von solchen kleinen Katastrophen nichts, sondern genießt. In Finsterwalde einen bunten Strauß an berühmten Stücken der leichteren Muse, wie „Moon River“ und „The girl from Ipanema“ sowie ein rasantes Medley mit Hits der Beatles. Damit waren die Zuhörer schnell gewonnen und ließen das Orchester erst nach mehreren Zugaben gehen.

Eine harte Woche geht im Applaus zu Ende. Wieder ist es gelungen, Jugend, Musik und Rotary optimal zusammenzufügen. Rund 8000 Euro stellen die Clubs aus ihrem gemeinsamen Jahresbudget dafür zur Verfügung. Mit den Einnahmen aus den Konzerten lassen sich damit die Kosten decken. Dass das Jugendmusikfestival so lange Zeit erfolgreich läuft, liegt zunächst am Engagement von Ernesto Leo und seiner Frau und Partnerin Anita, dann aber auch an der außergewöhnlichen Intensität, mit der die Partnerschaft der sechs Clubs gelebt wird. Jedes Jahr trifft man sich übers Himmelfahrt-Wochenende, immer mit 100 bis 120 Teilnehmern. Ein Ausschuss entwickelt Gemeindienstprojekte, zuletzt die Anschaffung eines Notstromaggregats für ein Krankenhaus in Ghana.

Weiterentwicklung durch Musik

Gute Taten ganz im Sinne Rotarys. Die aber in der Regel nicht gefeiert werden. Das ist beim Jugendmusikfestival anders. Hier darf man hemmungslos genießen und sich an einer starken Gemeinschaft freuen. Vor allem aber daran mitzuerleben, wie junge Leute über sich hinauswachsen.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.