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Deckel drauf e.V.

Im Sammelfieber

Deckel drauf e.V. - Im Sammelfieber
Jonte van Levern ist der Deckelkönig von Dithmarschen. © Privat (alle)

Plastikdeckel sind die neue rotarische Währung. Ihre Verwertung finanziert bereits 1,5 Millionen Impfungen gegen Kinderlähmung.

Matthias Schütt01.10.2018

Kleiner Dreh, große Wirkung: Seit vier Jahren werden überall in Deutschland (demnächst auch in Österreich) Plastikdeckel von Milchpackungen, Getränkeflaschen und Tuben abgeschraubt. Sie werden gesammelt, zu Verwertern transportiert und als Recyclinggut (Polyehtylen, Polypropylen) verkauft. Organisiert vom Verein Deckel drauf e. V. – einer Gründung von Rotariern und Rotaractern auf Initiative von Dennis Kissel, RC Herzogtum Lauenburg-Mölln –, hat sich eine Massenbewegung entwickelt, die einen gewichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderlähmung leistet. Alle Erlöse aus bundesweit 1085 Sammelstellen fließen ausschließlich den Impfaktionen zu. 500 Deckel reichen für eine Schluckimpfung.

Derzeitiger Stand: 254 Millionen gesammelte Deckel entsprechen 508.700 Impfungen. Der Geldwert liegt bei Erlösen zwischen 250 und 300 Euro pro Tonne bei 125.000 bis 150.000 Euro. Da allerdings die Bill & Melinda Gates Foundation jeden Polio-Beitrag von Rotary verdreifacht, ermöglicht die Sammelaktion bereits über 1,5 Millionen Impfungen.

Soweit die wirtschaftliche Seite eines Projekts, das noch aus anderen Gründen Beachtung verdient: Es beugt der Ressourcenverschwendung vor, bringt das „vergessene“ Thema Kinderlähmung zurück in die Öffentlichkeit und plädiert für Gesundheitsvorsorge durch Impfungen. Vor allem aber ist es ein ideales Imageprojekt für Rotary, ein Aspekt, der anfangs keine Rolle spielte, aber mit zunehmender „Sammelwut“ immer weitere Kreise zieht. Rotary wird als Organisation wahrgenommen, die humanitäre Ziele verfolgt, dazu sinnvolle Projekte mit großem ehrenamtlichem Einsatz entwickelt und andere zum Mitmachen motiviert. Eine Hauptzielgruppe sind Kinder, die schnell für den kleinen Dreh zu begeistern sind. Sie lernen, dass kleine Einzelaktivitäten in der Summe große Probleme lösen helfen. Und: Sie ziehen Lehrer, Eltern, Nachbarn mit und tragen damit die rotarischen Werte in neue Kreise. 

Wer sind diese Leute, die die Deckelaktion zu ihrer Sache machen? Für diesen Artikel sind wir einmal auf virtuelle Reise gegangen, durch ganz Deutschland und ein bisschen weiter. Dort suchten wir die Aktiven, die die oft mühsamen Arbeitsschritte vom Sammeln bis zum Abfahren auf sich nehmen. Das sind natürlich viele Rotarier. Aber eben auch Menschen, die keine Nadel tragen und dennoch bisweilen mehr rotarischen Spirit zeigen als die lokalen Clubmitglieder …

Insel Föhr

Die Nordsee-Insel mit etwas mehr als 8000 Einwohnern war der Testmarkt der Aktion. „Wir haben dazu ideale Voraussetzungen“, erläutert Stefan Peetz vom RC Wyk auf Föhr: „Hier kennt jeder jeden, man kann also schnell feststellen, ob ein Projekt das notwendige Echo findet. Außerdem haben wir jedes Jahr Tausende Besucher, die mit einer guten Erholung vielleicht auch eine gute Idee mit nach Hause nehmen.“ Genau das ist passiert, etwa bei Martha (11) vom Bodensee (s. Rotary Magazin 2/18, S. 13). „Viele Feriengäste bringen ihre Deckel mit, wenn sie die zu Hause nicht loswerden – sogar erklärte Impfgegner“, freut sich Peetz, der Inhaber eines Spielzeuggeschäfts ist. Die Insulaner sind eh auf seiner Seite und heben jeden Deckel für ihn auf. Seine Umtriebigkeit hat Peetz 2016 die Nominierung für die Aktion „Mensch des Jahres“ in Schleswig-Holstein eingebracht. Mittlerweile ist die kleine Insel riesengroß auf der Sammel-Landkarte: „Wenn man den Ertrag von sieben Tonnen auf die Einwohnerzahl umlegt, liegt Föhr in jedem Fall in der Spitzengruppe.“

Kreis Dithmarschen

Deckelsammlung im Rahmen der Meldorfer Umweltwette

Hier hat sich die regionale Abfallwirtschaftsgesellschaft die Aktion zu eigen gemacht und sammelt großflächig in Städten und Gemeinden. Breit in die Öffentlichkeit kam die Aktion 2015 über eine Umweltwette: Zur 750-Jahrfeier von Meldorf sollten Deckel für 750 Polio-Impfungen gespendet werden: 375.000 hätten die Meldorfer bringen müssen, es wurden über eine halbe Million. Zu den 24 bislang gesammelten Tonnen hat auch ein Fünfjähriger beigetragen: Jonte van Levern, inzwischen auch bekannt als „Deckelkönig“, machte über seinen Vater und einen Kontakt zur Shell Deutschland Oil 95.000 Deckel klar – eine Fehlproduktion, die nicht zu verwenden war. Außer für Rotary.

Salzgitter

Wolfgang Meyer, Techniker bei Bosch, hat im NDR-Fernsehen von der Aktion erfahren und im Internet recherchiert, wie er sie in seinem Umfeld umsetzen kann. Der Kontakt zur Stadtverwaltung in Salzgitter brachte schon mal zwölf 120-Liter-Sammeltonnen. Die wollte sich aber keiner in den Laden stellen. Ein Rewe-Bezirksleiter bat um etwas gefälligere Behälter. Im Baumarkt fand Meyer transparente Kunststoffplatten, die sich zu eleganten Sammelsäulen mit 20 Zentimeter Durchmesser formen lassen. Die bastelt er sich mit Unterstützung eines Tischlers selbst zurecht. „Wichtig ist, dass an den 20 Säulen aktuelle Infos zum Sammel-Stand vorliegen. Das wollen die Leute immer wissen“, berichtet Meyer. Jede Woche leert er alle Röhren. Nachdem die Stadtverwaltung von sich aus (!) die städtischen Schulen angeschrieben hatte, waren auch die zwölf verschmähten Tonnen schnell untergebracht.

Das Logo von Eintracht Braunschweig in den Schlossarkaden der Stadt: 80.000 Deckel und neun Stunden Arbeit für drei Tage Deckelwerbung

Meyer macht alles vom Sammeln und Vorsortieren bis zu den Fahrten zum Zwischenlager (zweimal im Monat). Mitunter stellt er sich auch mit Flyern in die Innenstadt. Von Rotary allerdings ist er enttäuscht: Ein Besuch bei einem Club in Salzgitter brachte höfliches Desinteresse. Und auch Rotaract war nicht die erhoffte Hilfe: „Dabei hätten wir in Braunschweig auf einen Schlag 20 Sammelstellen einrichten können. Die Chefin einer Edeka-Kette mit zehn Filialen kam auf mich zu. Ich habe die Rotaracter eingeladen und informiert. Sie waren durchaus interessiert, aber dass sie regelmäßig die Sammelstellen leeren müssen, hat die jungen Leute wohl abgeschreckt.“ Das aber ist für ihn das A & O: „Wenn wir nicht zuverlässig für den Abtransport der Deckel sorgen und die Säulen gar überlaufen, ist die Akzeptanz für das Projekt schnell verspielt.“ 

Grevenbroich

Dirk Gerardts hat die Aktion auf Föhr kennengelernt und gleich am Arbeitsplatz umgesetzt. Er leitet eine Betriebsstätte einer Werkstatt mit 700 behinderten Mitarbeitern und 150 Angestellten. Erster Schritt war das Sammeln der Deckel, die beim Eigenverbrauch anfielen. Dann wurde eine Sammelstelle eingerichtet, bei der auch Dritte abgeben können. Inzwischen betreut Gerardts 20 bis 25 Sammelstellen in Grevenbroich und Umgebung, bei denen um die 500.000 Deckel pro Monat zusammenkommen. Zwei Probleme erschweren ihm die Arbeit: Er muss aus den Lieferungen von Hand Fremdkörper raussortieren, die da nicht reingehören, Kronkorken und Batterien zum Beispiel. Und ihm fehlen die sogenannten Big-Bags. Das sind Behälter für 250 Kilo, in denen die Deckel zum Verwerter transportiert werden. Von dort kommen sie aber nicht zurück, sodass Gerardts immer wieder Sponsoren gewinnen muss. Ein wahrlich mühsames Geschäft.

München

Sigrid Dietzel ist nicht bei Rotary, aber mit Andrea Hellmann (RC München-Lehel) befreundet. Und die hat die Purserin der Lufthansa schnell gewinnen können. Dietzel fliegt als Chefin des Kabinenpersonals mit den ganz großen Vögeln (A 380) um die weite Welt und sammelt unterwegs alle Deckel, die beim Catering anfallen. Beim Briefing vor dem Abflug hat sie immer einen Flyer dabei und bittet ihre Kollegen um Mithilfe. Bei der Rückkehr in München führt der erste Weg zur Sammeltonne im Flight Operation Center (FOC). Die vollen Säcke bringt sie zu Freundin Hellmann, die einen Anhänger in ihrer Garage damit auffüllt. Eine weitere Clubfreundin fährt den Anhänger zur Deponie. „Bei Lufthansa München ist die Aktion inzwischen ein Selbstläufer“, berichtet Dietzel. „Immer neue Kollegen fragen, wo sie ihre Deckel abgeben können.“ Dem Image der Fluglinie kommt die Aktion ebenfalls entgegen, liegt sie doch auf der Linie des Umweltprogramms „Fly Greener“.

Wien

Erste vielversprechende Ansätze für ein Sammelkonzept in Österreich meldet Roman Haas, RC Wien-West. Er hat in diesem Magazin die Aktion kennengelernt und mit dem Deckel-Verein Verbindung aufgenommen. Die Idee hält er für pro­blemlos übertragbar, „die Umsetzung jedoch könnte kompliziert werden. Wir haben in Österreich eine andere Steuergesetzgebung bei gemeinnützigen Aktionen.“ Die breite Öffentlichkeit wurde bisher noch nicht informiert, Haas hat zunächst bei einigen Unternehmen vorgefühlt. Auch Gespräche mit einem Verwerter laufen schon. Tendenz positiv: „Ich bin sicher, dass wir das für Ost-Österreich schnell auf den Weg bringen können.“

Sogar auf der Tropeninsel Mauritius gibt es erste Sammelstellen.

… und Mauritius

Auch auf der Insel im Indischen Ozean werden bereits Deckel gesammelt. Eberhard Pohlmann war Präsident in Wyk auf Föhr, als die Aktion ins Rollen kam. Später hat er davon beim Clubbesuch in Grand Baie auf Mauritius berichtet. Und jetzt stehen erste Sammelstellen am Strand des tropischen Eilands.. 

deckel-gegen-polio.de

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.

 

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