Peters Lebensart
Krause Glucke und Totentrompete
Ausgefallene Namen, ungewöhnliche Geschmacksnoten: Pilze sind vielfältig.
Seltsame, ein bisschen gruselige Namen haben sie manchmal schon, die Pilze. Da ist etwa der Blutreizker, ein köstlicher Lamellenpilz, der aus der Restaurantküche praktisch verbannt ist, weil er eigentlich nur frisch gesammelt verarbeitet werden kann. Er heißt so, weil ein eher oranger „Saft“ aus ihm austritt, der dem kundigen Pilzgänger verrät, dass es sich um keinen giftigen „weiß blutenden“ Milchling handelt. Die grauschwarze Totentrompete ist, allen Unkenrufen zum Trotz, kein Totengräber wie der Knollenblätterpilz, sondern eine unter Kennern hoch geschätzte Delikatesse. Heute werden diese „Trüffel der Armen“ von deutschen Spitzenköchen gern als Herbsttrompeten angepriesen, während die Franzosen ungerührt beim Namen „trompettes de la mort“ bleiben.
Noch mehr Lust auf Skurriles, Ausgefallenes? Schafporling, Ziegenlippe oder ein paniertes Schnitzel vom größten aller heimischen Pilze, dem Parasol-Schirmling. Noch nie gegessen? Allenfalls vom Hörensagen bekannt? Gut möglich. Denn das Gros der Gastronomie kennt und verwendet hierzulande eigentlich nur noch zwei Wildpilze: Pfifferlinge, die regional auch Reherl oder Eierschwammerln heißen und in großen Mengen im Bayerischen Wald, der Steiermark, aber auch dem Balkan gesammelt werden. Und Steinpilze, die oft aus Böhmen oder Italien stammen, wo sie prosaisch „funghi porcini“ – Schweinepilze – heißen, während sie in Österreich als Herrenpilze geadelt werden.
Warum diese Fokussierung? Ganz einfach, diese beiden festfleischigen Sorten sind großhandelstauglich, transportfähig. Sie müssen nicht unbedingt am gleichen Tag verzehrt werden wie Rotkappen, Birkenpilze oder Maronenröhrlinge, die schneller verderblich sind. Im Luxussektor käme noch der sündteure dottergelbe Kaiserling dazu, der in Florenz als hauchdünnes Carpaccio von „funghi ovoli“ (Eierpilz) mit einem „Faden“ Olivenöl serviert wird: Verbreitungsgebiet Slowenien, Kärnten, Oberitalien. Und Trüffel, aber das ist ein eigenes Thema …
Längst stammt das Gros der verzehrten Pilze nicht mehr aus Wald und Wiesen, sondern aus Zuchten. Begonnen hat diese Technik schon unter Ludwig XIV. Weil der verwöhnte Sonnenkönig das ganze Jahr über Champignons essen wollte, experimentierte sein Hofgärtner La Quintinie mit Freiluftkulturen. Napoleon ließ dann in großem Stil in Katakomben und Munitionsstollen mit Pferdemist gedüngte Champignons de Paris züchten. Eine Duxelle aus feinstgewiegten Champignons wurde zu einem der Markenzeichen der französischen Haute Cuisine. Durch den Dialog mit asiatischer Kochkunst haben exotische Zuchtpilze den Markt erobert. Bissfeste Shiitake, winzige Enoki oder Mu-Err werden nicht nur von Veganern als Bereicherung unseres Speisezettels empfunden. Dieser Wandel weg vom wilden zum gezüchteten Produkt hat sicher zur Akzeptanz beigetragen: Die Vergiftungsangst, das magische Potenzial von Pilzen, der Hexenaberglaube, der den roten Fliegenpilz zum teuflischen Attribut dämonisiert, hatten jahrhundertelang dazu geführt, dass in historischen Kochbüchern kaum Pilzgerichte auftauchen.
Erstaunlich, dass wir durch chinesische Rezepte auch einen Pilz wiederentdecken, der fast als einziger diesem Bann entgangen war: die Morchel. In Frankreich bis heute hoch geschätzt, hat sie auch in der eleganten deutschen Küche ihren Stammplatz. Zusammen mit einem krepproten Flusskrebs krönt dieser Frühlingsspross ein echtes Leipziger Allerlei aus zarten Frühgemüsen.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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