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Monika Midel, RC Khartum/Sudan

Jede Mücke zählt

Matthias Schütt03.06.2011

Dieses Jahrzehnt soll die Wende im Kampf gegen die Armut bringen. Das haben die Regierungschefs von 189 Ländern in einem Acht-Punkte-Programm, den sogenannten „Millennium Development Goals“, auf Initiative der Vereinten Nationen beschlossen. Eines der ehrgeizigen Ziele lautet, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren – ist das realistisch? Monika Midel ist skeptisch. Seit über 20 Jahren ist sie für die Deutsche Welthungerhilfe, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die UNO in der Entwicklungshilfe und Armutsbekämpfung tätig, im Tschad, in Kambodscha und Vietnam, zuletzt im Sudan. Dort war sie bis vor Kurzem als Stellvertretende Landesdirektorin für das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen verantwortlich. Es ist das größte und teuerste Projekt dieser Agentur: Elf Millionen Menschen müssen mit dem Notwendigsten versorgt werden, um den Tag zu überleben. Besserung ist nicht in Sicht.
„Ich mache mir keine Illusionen“, sagt die promovierte Soziologin, die in dem „gespaltenen Land“ das ganze Elend verpasster Chancen vorfindet: auf der einen Seite die bittere Armut von zwei Dritteln der 40 Millionen Einwohner, auf der anderen die Glitzerfassaden Khartums, der Metropole am Nil. Der Sudan hat Öl und viele ausländische „Interessenten“, aber außerhalb der Städte keine Infrastruktur, keine Elektrizität, keine Bildungsangebote. Die vor allem wären nötig für die Wende zum Besseren: 40 Prozent der Sudanesen sind unter 15 Jahre alt.
Statt über die Versäumnisse der Entwicklungshilfe zu lamentieren, zitiert Midel ein sudanesisches Sprichwort: „Wenn du denkst, du bist zu klein, um etwas zu bewirken, dann versuche in einem Zimmer mit einer Mücke zu schlafen.“ Sie sieht sich bestätigt in vielen kleinen Erfolgen, die zwar keine Wende bedeuten und doch das Leben vieler Armer nachhaltig verbessert haben. Etwa mit dem großflächigen Spar- und Kreditsystem, das sie im Tschad aufgebaut hat und das noch immer funktioniert.

Die Freude an dieser Arbeit beruht auf einem „genetisch bedingten“ Drang in die Ferne und der frühen Entdeckung der arabischen Welt, vor allem des Sahels, einer Welt von faszinierender Schönheit, die sich allerdings seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 grundlegend gewandelt hat. „In den 1980er Jahren konnte ich allein mit einem afrikanischen Fahrer in einem Lkw mit Nahrungsmitteln durch die Wüste fahren, das ist heute undenkbar.“

Die Reiterin von Kindheit an, die im Sudan ihr eigenes Pferd hat und ihre freie Zeit am liebsten in ihrem Haus in Oberbayern mit vielen Tieren verbringt, ist dennoch sofort bereit, den Schreibtisch in Bonn gegen ein Ticket nach Afrika einzutauschen. „Ich will lieber anpacken als verwalten.“ Das gilt auch für ihr rotarisches Engagement. Aufgenommen wurde sie 2005 in den RC Berlin-Gendarmenmarkt, als sie in der Hauptstadt das Verbindungsbüro des WFP aufbaute. Im Sudan wurde sie dann Mitglied im RC Khartum, dem bereits 1938 gegründeten ältesten Club des Landes (von insgesamt zwei), der besonders versiert im Umgang mit Mücken ist. Rotary ist in diesem Land mancher Anfeindung ausgesetzt, behauptet sich aber mit hartnäckigem Trotz. Das war dem Vielvölker-Distrikt 2450 die Auszeichnung als Club des Jahres 2009 wert, „wegen Tapferkeit“, wie Midel vermutet. Auch von Deutschland aus steht sie ihrem Club im Kampf gegen den Grauen Star zur Seite. Die 30 Khartumer Rotarier kümmern sich um ein Krankenhaus, in dem vor allem Kinder vor der drohenden Erblindung bewahrt werden.
Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.