Peters Lebensart
Avocado – Superfood in der Sinnkrise
Die „Alligatorenbirne“ hat ihre Unschuld verloren
Montezumas Beitrag zur eleganten Küche: eine Guacamole, von flinken Obern im weißen Jackett am Tisch zubereitet. Das gelbgrüne Fruchtfleisch wird aus der ledrigen Haut der Avocado geschält, gewogen und mit Limettensaft, Salz, Pfeffer, klein gehacktem Korianderkraut und eventuell einer Minidosis Chilischoten vermengt. Dazu reicht man kanonisch Tortilla-Mais-Chips, aber auch der Crossover mit einem norddeutschen Graubrot schmeckt vorzüglich zu diesem veganen Tatar.
Hierzulande ist diese Zeremonie selten zu erleben. In Mexico City oder New York gehört sie zum Standardrepertoire gehobener Restaurants oder angesagter TexMex-Tempel. Bei uns ist die einst exotische Avocado wegen ihrer fleischfreien Verlockungen eher in Haushalten, Bio-Cafeterias und Hipster-WGs zum Superfood avanciert. Vorbei die Zeiten, wo verdutzte Hausfrauen sich fragten, was man mit der aromaarmen, fettreichen Kalorienbombe anstellen sollte, um sie schmackhaft zu machen. Das Internet quillt über von Tipps für Avocado-Dips, Inka-Salat-Bowls mit Quinoa und süße Eiscreme auf guatemaltekische Art. Sogar die Urgroßmutter aller Eierliköre, eine hellgrüne „aguacate“- Pulpe mit Rohrzucker-Rum (die einst dem holländischen Ersatzprodukt Advokaat den Namen gab) wird wieder wie in Indio-Rezepten mit Avocado statt Dotter angemischt. Die naive Frage, ob man Avocados roh essen kann, wird klar bejaht. Wer die Alligatorenbirne, wie die grüne Frucht früher hieß, doch lieber etwas gart, kann sie einölen und grillen. Oder panieren und zu Avocado-Fritten verarbeiten. Ganz mutige Nix-wegwerfKonsumenten finden sogar Anweisungen, wie man auch den mineralstoffreichen Kern verwerten kann.
Die buttrige Birne (botanisch gilt Avocado als beerige Steinfrucht) ist zum idealen Fleischersatz geworden. Der Konsum in ernährungsbewussten europäischen und amerikanischen Haushalten (und in der Kosmetikindustrie) steigt rapide an. Der Weltmarktpreis auch. Dieser Gesundheitstrend hinterlässt leider einen katastrophalen ökologischen und sozialen Fußabdruck. Denn Avocado-Bäume sind dauerdurstige Wasserschlucker: Für ein Kilo Früchte, also zwei bis drei Stück, werden 1000 Liter von dem Nass verbraucht! In Mexiko hat der Boom nicht nur zu illegalen Abholzungen für Neupflanzungen, sondern auch zu deutlich erhöhten Pestizidbelastungen des Grundwassers sowie zu Trinkwasserverknappung geführt. Und zweitens war die nahrhafte stärkefreie Frucht ein traditionelles Grundnahrungsmittel weiter mittel- und südamerikanischer Bevölkerungsschichten, das nun für Einheimische unerschwinglich wird.
Die Avocado hat ihre Unschuld verloren. Ein irischer Sternekoch rüttelte 2018 mit der provokanten Formulierung auf, Avocados seien die „Blutdiamanten Mexikos“ und für Vegetarier das, was für Fleischesser Käfighühner seien. Trotzdem werden wir nicht ganz auf die cremigen eiweißhaltigen Aztekenfrüchte verzichten wollen. Aber es empfiehlt sich dringend, nach fair produzierter BioWare, wie sie zum Beispiel in Madeira, Südspanien und neuerdings in Sizilien produziert wird, zu suchen. Auch wenn sie manchmal deutlich teurer ist. Zumal man dadurch das Risiko minimiert, verholzte oder faul gewordene Billigschnäppchen wegwerfen zu müssen. Eine praktische Frage bleibt freilich spannend: Wann ist der entscheidende Reifezeitpunkt gekommen, um die grüne Riesenbeere anzuschneiden? Und nicht weniger praktisch: Hast du eine Zitrone parat, um die Schnittstellen mit Saft zu bestreichen, sodass sie nicht oxidieren, sondern ihre edle mattgrüne Farbe behalten?
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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