Peters Lebensart
Biss ins Glück
Zwischen Berlin, Wien und Norditalien haben Krapfen viele Namen, viele Gesichter und viele Geschmäcker. Eine Kulturgeschichte des Schmalzgebäcks
Vor der Kathedrale von Perugia, wo ich Italienisch studiert habe, steht die Fontana Maggiore, der berühmteste Brunnen des Mittelalters. Auf den Marmorplatten des Beckens haben die Bildhauer Niccolò und Giovanni Pisano die Sternzeichen und die dazu passenden Monatsarbeiten eingemeißelt. Das Dezemberrelief zeigt eine Schweineschlachtung. Und das bedeutet Schmalz, viel ausgelassenes Schmalz.
Womit wir fast schon beim Krapfen oder Berliner wären. Denn der ist ein typisches Wintergebäck, erfreut als Weihnachts-, Silvester- und Fastnachtsschleckerei. Und wurde bis vor wenigen Jahrzehnten ausschließlich in Schmalz herausgebacken, es sei denn, es herrschte katholisch-veganes Fastenverbot.
Ist Ihnen schon aufgefallen, dass moderne Pfannkuchen kaum noch einen knusprigen Boden haben? Das hängt damit zusammen, dass echtes Schmalzgebäck heute ziemlich verpönt ist – man frittiert lieber in veganen Ölen, die nicht so hoch erhitzbar sind. Wer heute noch echte Schmalzkrapfen kosten will, muss schon die Expedition in abgelegene Kärntner oder Tiroler Berghütten auf sich nehmen. Selbst die legendäre Münchner Schmalznudel am Viktualienmarkt, Erbin einer jahrhundertealten Tradition, frittiert ihre flachen Auszognen, ihre aus dem lombardischen Pavia über die Alpen gewanderten Pofesen und ihre Stritzerln nur noch in Sonnenblumenöl. Und auch die Frittelle-Bällchen, die überall im venezianischen Karneval angeboten werden, brutzeln längst nicht mehr im tierischen strutto.
Dafür ist dem Ideenreichtum der Füllungen und Glasierungen keine Grenze mehr gesetzt. Früher ging es um die Frage Puderzucker oder nicht und ansonsten um herbstliches Pflaumenmus, Erdbeerkonfitüre, Hiffenmark aus Hagebutten oder im Krapfenparadies Wien um Marillenmarmelade. Heute steht die Berliner Schickeria zu Silvester vor dem französischen Nobelkaufhaus Galeries Lafayette Schlange, um doughnut-bunte Pfannkuchen zu erwerben, die mit Champagnercreme, weißer Schokolade, Grand Marnier, Baileys, Nutella oder Erdnussbutter gefüllt sind. Der boshafte klassische Spottberliner, gefüllt mit Sägespänen oder Senf, ist nicht erhältlich. Den muss man schon selbst einspritzen.
Angesichts solcher Kreativität verblasst der alte lokalpatriotische Streit, wie die runden Gebäcke denn heißen. In Österreich, wo es auch salzige Zillertaler Bauernkrapfen mit Graukas und Pongauer Fleischkrapfen gibt, fabelt man von einer Wiener Krapfenerfinderin Cäcilie Krapf. Die tüchtige Feinbäckerin scheint es tatsächlich gegeben zu haben, ihre süßen mit Obst gefüllten Cilly-Krapfen fanden auf dem Wiener Kongress reißenden Absatz. Für den peniblen Historiker ziemlich spät, wenn man bedenkt, dass Dokumente bereits im 9. Jahrhundert das Wort crapho erwähnen. Dafür passt die Erfinderlegende des Namens Berliner perfekt zum militaristischen Image Preußens. Ein schießwütiger Geselle, der sich beim Alten Fritz als Kanonier beworben hatte, aber nur als Regimentsbäcker verpflichtet wurde, soll sich aus Frust seine Kanonenkugeln eben gebacken haben. Ziemlich erfolgreich, denn selbst in Paris heißen sie boules de Berlin – Berliner Kugeln, während Norditalien zuckerbäckermäßig an seiner k.u.k.-Vergangenheit festhält. Venedigs Pasticcerie schmücken ihre Auslagen jedenfalls gerne mit strudel und crafen, so die korrekte italienische Schreibweise. Ich persönlich hege allerdings eine bisher nicht ausgelebte Leidenschaft für den Aachener Begriff Puffel. Zumal da meine Lieblingsfüllung Pflaumenmus drin sein soll.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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