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Rotary-Porträt

Eine unbändige Lust auf Menschen

Rotary-Porträt - Eine unbändige Lust auf Menschen
© Sammy Hart

Der Rosenheimer Rotarier Günther Maria Halmer ist einer der wenigen deutschen Charakterschauspieler, die auch international gefragt sind.

Matthias Schütt01.06.2019


Zur Person

Günther Maria Halmer, RC Rosenheim, wurde 1943 geboren und schuf als Schauspieler mit dem „Tscharlie“ in den „Münchner Geschichten“ eine epochenprägende Kultfigur. Über 150 Rollen in Film und Fernsehen verzeichnet sein Lebenslauf. 2017 veröffentlichte Halmer seine Autobiografie „Fliegen kann jeder – Ansichten eines Widerborstigen“. Er lebt in Höhenmoos bei Rosenheim.


Der Treffpunkt ist nicht zufällig gewählt: „Die Kulisse“, ein Res­taurant-Café in der Maximilianstraße in München, hat dieselbe Adresse wie die berühmten Kammerspiele, die Günther Maria Halmer schon in früher Jugend ein Begriff waren. „Da saßen die Großen zusammen, Kortner, die Giehse, der Tappert, an denen ich damals ehrfürchtig aus der Ferne vorbeiging.“ Doch der Tag, an dem er selbst dort sitzen sollte, war gar nicht fern: In der „Kulisse“ wartete der 24-Jährige auf das Vorsprechen an der berühmten Falkenberg-Schule um die Ecke. Und noch ein paar Jahre später auf ein anderes Vorsprechen – gegenüber im Hotel Vier Jahreszeiten. US-Regisseur Alan Pakula suchte einen deutschen Charakterkopf für „Sophies Entscheidung“, ein KZ-Drama, mit dem Meryl Streep einen Oscar gewann.

Viele Projekte parallel
Über 50 Jahre Schauspielerei, und die „Kulisse“ war immer irgendwie ein Fixpunkt auf der beruflichen Laufbahn dieses Mannes, den jeder kennt, der den Fernseher nicht nur zu den Nachrichten einschaltet. Heute sind wir dort verabredet und sprechen über seinen Lebensweg, der so unwahrscheinlich begonnen hat, dass man darüber ein eigenes Stück schreiben könnte.
Er arbeitet immer noch „fast ständig“, wie er einräumt, vielleicht etwas wählerischer bei den Drehbüchern, die ihm angeboten werden. Gerade kommt er aus dem Synchronstudio, von den letzten Tonaufnahmen für „Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen“. Eine Hauptrolle ganz nach seinem Geschmack: ein alter Mann, demenzkrank, der in der Pflegerin aus der Ukraine seine verstorbene Ehefrau wiedertrifft und noch einmal aufblüht.
Ein anderes Filmprojekt ruht gerade, weil eine Schauspielerin erkrankt ist. Aber Leerlauf heißt das nicht. Er hat noch andere Sachen auf dem Tisch. Eine Theaterrolle für das Stück „Vier Stern Stunden“ von Daniel Glattauer ist zu lernen (älterer Schriftsteller, junge Geliebte …). Ende des Jahres geht er damit für 40 Vorstellungen auf Tournee durchs ganze Land. Sein Rollenprofil umschreibt er salopp mit „schlecht gelaunt, aber gutes Herz“, und fühlt sich darin pudelwohl. Dabei hat er einmal ganz anders angefangen, und zwar als Kultfigur.
Nach ersten Rollen an den Kammerspielen gelang 1974 ein bis heute nachwirkender Einstieg ins Fernsehgeschäft, als „Tscharlie“ in den „Münchner Geschichten“ des Bayerischen Rundfunks. Geschrieben hatte die Episoden ein kongeniales Talent, das ebenfalls noch prominent werden sollte: Helmut Dietl.
Mit der Kunstfigur des wenig ehrgeizigen, eher großspurig verpeilten, dafür charmanten Filous gelang den beiden ein Prototyp, der sprichwörtlich werden sollte: Der „Stenz“ war geboren, den später der „Monaco Franze“ Helmut Fischer auch im übrigen Deutschland bekannt machen sollte.
Vom Tscharlie stammt das Lebensmotto, das wie ein Orakel über Halmers Entwicklung steht: „Wer sich nix traut, wird nix im Leben!“ Und Mut brauchte der junge Mann, der in den 1950er Jahren an seiner engstirnigen Umgebung und der eigenen Ziellosigkeit zu scheitern drohte. Vor allem der Vater, ein wegen des Krieges erst spät in den Beruf gekommener Jurist, hatte ehrgeizige Pläne für den einzigen Sohn, die dieser allesamt verpulverte. Es brauchte diverse Anläufe und einen Umweg über die Knochenarbeit im kanadischen Bergwerk, um den Mut zur Herausforderung „Schauspieler“ zu finden. Dann allerdings ging es rasant voran.

Rollenangebote in Hollywood
Halmer ist einer der wenigen Deutschen, die es bis „nach Hollywood“ geschafft haben – doch halt, das kann er so nicht stehen lassen: „Ich war nicht in Hollywood, sondern bin von hier aus mehr oder weniger durch Zufall da reingerutscht.“ Auslöser für Rollenangebote in „Gandhi“ (1982) und im selben Jahr „Sophies Entscheidung“ war der Auftritt in dem ZDF-Vierteiler „Tödliches Geheimnis“, der in England und in Englisch gedreht wurde. Im Schneideraum wurde eine Casterin auf den Rosenheimer aufmerksam, die gerade eine deutsche Rolle in einem US-Film besetzen musste. In der Folge kamen dann durchaus interessante Angebote und, ja, Ben Kingsley und Meryl Streep, das waren schon faszinierende Begegnungen. Aber insgesamt ließ ihn „Hollywood“ eher kalt. Zum einen mochte er nicht die lange Trennung von der Familie, zum anderen waren manche Rollen einfach zu eindeutig deutsch: etwa die des KZ-Kommandanten Rudolf Höß.
Charaktere wie diesen Kriegsverbrecher zu ergründen, den Menschen hinter dem Monster aufzuspüren, für sich erklärbar und darstellbar zu machen, diesem Reiz konnte er sich dann doch nicht entziehen. Diese unbändige Lust auf Menschen und die Akribie, mit der er den Schlüssel zu seinen Charakteren sucht, treibt Halmer auch zu Rotary. Das Interesse, mit dem er Ego-Berichten und Vorträgen aus dem Berufsleben folgt, gründet auch in diesem professionellen Suchen. Wobei: Das wahre Rotary hat er für sich nicht in der bayerischen Provinz oder in „schnöseligen“ Großstadtclubs gefunden, sondern im Ausland, in Kanada zum Beispiel oder Ecuador. „Dort hat Rotary eine ganz andere gesellschaftliche Bedeutung, die bei uns doch eher untergeordnet ist. Wenn in Calgary das Meeting beginnt und die kanadische Nationalhymne angestimmt wird, schafft das eine ganz andere Verbundenheit, als wir sie hier kennen.“
Wenn er nicht dreht, kümmert er sich ehrenamtlich um das Ambulante Kinderhospiz München. Auch reist er gern und spielt Golf mit seiner Frau. Weitere Pläne hat er nicht, außer „gesund alt werden“. Dafür geht er regelmäßig zum Fitnesstraining. Sport ist überhaupt ein wichtiges Thema für Halmer. Auch hier steht das Fernsehen im Mittelpunkt, allerdings genießt er diesmal die Zuschauerrolle und zappt begeistert durch alle Disziplinen.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.