Peters Lebensart
Heimat geht durch den Magen
Alte Genüsse aus Omas Töpfen reüssieren als angesagte Kultküche
Deutschland hat jetzt ein von der CSU geführtes Heimatministerium. Doch nicht nur in der Politik, auch in der Küche hat das lange als verstaubt bis reaktionär geltende Etikett Konjunktur. Als Tim Mälzer 2014 ein Kochbuch simpel „Heimat“ nannte und das minimalistische Cover mit Gartenzwergen schmückte, galt das als Tabubruch. Mittlerweile heißen topaktuelle Fernsehformate und Tablebooks „Heimatküche“. Wieso zieht das Wort auf einmal so? Wohl, weil eine neue Generation es völlig neu entdeckt und befreiter damit umgeht.
Heimat, das war früher Schutzraum, aber auch Enge. Und in der Küche oft Langeweile plus autoritärer Aufesszwang. Die jetzt angesagte kulinarische Heimat ist fast schon ein Stück Eventkultur. Nicht umsonst wurde dieses unverkrampfte Heimatgefühl erstmals in den 1990ern manifest, als ausgelassenes Jungvolk das altehrwürdige Oktoberfest kaperte und in die größte Partymeile der Republik verwandelte. Eierlikör, Sonntagsbraten oder die zum Gemüse des Jahres 2018 gekürte Steckrübe: für eine Generation, die häufig mit Pizza, Pasta, Pommes aufgewachsen ist, stellen diese altmodischen Genüsse eine Abwechslung zur globalisierten Patchwork-Nahrung dar.
Wenn man bedenkt, daß vor 15 Jahren in Münchner Kochstudios eine Riesenauswahl an Thai- und Italo-Kochkursen, aber kein Knödelkurs angeboten wurde, wundert es nicht, dass Gastronomen irgendwann in diese Lücke vorgestoßen sind: Der Regionalhype startete auch als Trotzreaktion auf kulinarisches Ungleichgewicht. Zumal sich hinter Heimat längst nicht mehr das „Blubbern dicker Saucen“ des „Deutschen Sonntags“ verbirgt, das einst den Liedermacher Franz-Josef Degenhardt abschreckte.
Heute denkt man viel eher an leichte Genüsse „aus deutschen Landen:“ Jetzt im Frühling frischgestochener Spargel oder ein Pesto von intensiv duftenden Bärlauchblättern, natürlich im Stadtwäldchen selbstgesammelt. Ab Mai die allerersten deutschen Erdbeeren, ab Juni hier geerntete Zuckererbsen ... Das Wort Heimat emotionalisiert den ausgeleierten Begriff Regionalküche, steht für Hoffnung auf kurze Transportwege und politisch korrekte Ernährung. Es verheißt eine Idylle kleiner Bauernhöfe und Wirtshäuser, gemeinsame Esserlebnisse, persönliche Kontakte zu Produzenten: Bodenhaftung als moderner Luxus.
Zugleich schwingt eine Idee von Bescheidenheit, von Sparund Resteküche und damit ein Gegenmodell zu unserer Wegwerfgesellschaft mit. Anders als Heimatvertriebenenküche oder Ostalgieshops, für die das Gefühl „Hauptsache von frü- her“ wichtiger war als die Qualität der Speisen, setzt zeitgeistige Heimatküche lieber auf Produktrecherche und verbindet heimische Kost mit Exzellenz-Kriterien. Hier geht’s eben nicht um eingeschliffene „Kantinen-Klassiker“ wie Bouletten mit Kartoffelbrei, sondern um neuentdecktes Soul food aus dem Kreativpotential der Vergangenheit: Das kann Buttermilchsuppe oder Holunderblütenplinsen sein, Karpfenschinken oder Sauerfleisch von der Gans mit Bratkartoffeln.
Alte Sorten wie Blauer Schwede, bitte! Zugegeben, diese inszenierte Heimat auf dem Teller zieht besonders junge urbane Eliten an. Wie die Tracht, die man zur Wiesn anlegt, ist solche Heimatküche nichts für den Alltag, aber sie kann anregen, was vor der Haustür wächst, zu schätzen und bewusster zu genießen. Und diese engagierte Auseinandersetzung mit dem verschütteten kulinarischen Erbe trägt dazu bei, dass sich Deutschland vor seinen Nachbarn, die ihre „Heimatküche“ ohne ideologische Überfrachtung immer hochgehalten haben, nicht mehr verstecken muss.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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