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Peters Lebensart

Lecker farbig

Peters Lebensart - Lecker farbig
© Jessine Hein/Illustratoren

Weil das Auge bekanntlich mitisst, locken Speisen weltweit mit optischen Reizen – eine Reise durch Zeiten und Länder.

Peter Peter01.01.2020

Tinte im Gartenpool, im schwarz drapierten Salon russisches Roggenbrot, dunkle Oliven, Kaviar, Lakritzsaucen, Schokocreme, Mokka, Porter und Stout, all das serviert von Afrikanerinnen: Dekadenter lässt sich monochromes Essen nicht zelebrieren als in dem Trauermenü, das der Pariser Poet Joris-Karl Huysmans 1884 ersann. Tatsächlich pflegt Frankreich, die Nation der bunten Herrensocken und bunten Kirchenkerzen, auch aktuell zum Essen einen farbenfreudigen Zugang. Ein gefeierter Pâtissier zaubert kreischbunte Rubikwürfel aus Nougat und Kakao. In der Markthalle Paul Bocuse in Lyon werden Gänse leberpasteten in Pyramidenform zur Schau gestellt, lasiert mit Aspik, das in schrillen Schlieren von Grün- und Blautönen glänzt. Und für Macarons gilt, je verblüffender der Farbton, desto angesagter. Denn in unserem Nachbarland spielt man gern mit Essen und respektiert es zugleich, indem man die virtuose Verwandlungsleistung edler Grundprodukte durch den Kochkünstler bewundert.

Wegen dieser Staunküche verfremdende Farbspiele bei Lebensmitteln zu verwerfen geht an den Bedürfnissen (oder Täuschungsmöglichkeiten) des Konsumenten vorbei. Auch unsere Biosupermärkte strahlen ihre Fleischtheke rot an und Bratwürsten wird Natriumnitrit beigemengt, damit sie nicht natürlich grau aussehen. Italienische Kids sind scharf auf Puffo-Eis, weil es schlumpfblau ist. Wer durch orientalische Basare schlendert, kann nachvollziehen, welch appetitanregenden Blickfang goldgelber persischer Safranreis, dunkelrotes Tandoori oder selbst in leckerem Orange eingefärbte burmesische Hühnerkrallen darstellen. Die flämische Stilllebenmalerei wird durch moderne Food-Posts bestätigt: Was schöner aussieht, lässt uns vermuten, dass es auch besser schmecke. Besonders aktuell ist dieser ästhetische Aspekt bei der veganen Küche. Denn oft sind alte Sorten wie blaue Kartoffeln, dunkelrote Mohrrüben, schwarzgrüne Ochsenherztomaten nicht nur aromatischer als Neuzüchtungen, sondern reizen auch die kulinarische Neugierde. Nicht umsonst werben Homepages mit der Farbenpracht von violetten Auberginen, orangen Chioggia-Rüben oder fahlgrünen Artischocken. Frauenzeitschriften raten: Gebt euren Kindern verlockende Pausenbrote mit viel buntem Gemüse mit!

Essfarben können symbolisch wirken wie das Weiß der Hochzeitstorte oder die Verklärung von Pizza Margherita und Insalata Caprese zur kulinarischen Trikolore Italiens. Sie können jahreszeitliche Assoziationen auslösen wie ein Dinner in Green mit Frühlungskräutern und Salaten. Ein rotes Mahl mit Rotbarben oder Roastbeef, Roten Rüben, Radicchio, Kirschmus und rotem Rosengesteck würde zu einem operettenhaften Verführungsszenario passen – oder abschreckend schwülstig wirken. Doch diese exzentrischen Menüvorgaben weichen häufiger einer esoterischen Farbenlehre: Wenn im Yoga Farben ganz bestimmte Heilwirkungen zugeordnet werden, so kann sich das eben auch auf die ayurvedische Küche und die Farbe der Speisen beziehen. Rot, wen wundert’s, wirkt anregend, Gelb den Intellekt anspornend, Orange wärmend und beruhigend. Aber auch das Christentum hat einen berühmten Farbenesser hervorgebracht. Papst Johannes XXII., der von 1316 bis 1334 in Avignon residierte, ernährte sich ausschließlich von weißen Speisen. Seine elegante „Engelsdiät“, die sich von der carnivoren Blut- und Grillkost des weltlichen Adels absetzte, umfasste Blancmanger (süßer Mandel-Pudding mit fein gewiegtem Huhn), Fischpasteten, Ziegenkäse und weißrippigen RomanaSalat, den er eigens für sein Farbfasten aus Italien importiert hatte.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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