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Peters Lebensart

Marmeladenzeit

Peters Lebensart - Marmeladenzeit
© Jessine Hein/Illustratoren

Laut EU-Definition muss Marmelade unbedingt Zitrusfrüchte enthalten. Zum Glück kann das allen Hobbyköchen egal sein. Hauptsache, es schmeckt

Peter Peter01.07.2018

What a mess! Die Schiffsfracht mit spanischen Orangen erwies sich als ungenießbar – alles bittere Pomeranzen statt süßer Apfelsinen. Ein Schnäppchen für den schottischen Händler James Keiller aus Dundee. Er übergab die Früchte seiner Mutter Janet, die sie mit viel Rohrzucker einkochte und so die Grundlage für eine Manufaktur legte, die den britischen Frühstücksgeschmack bis heute beeinflusst und Kindergaumen bis heute schreckt: thick cut marmalade mit bitteren Streifen von Agrumenschalen!

Auch wenn an der Story aus dem 18. Jahrhundert einiges hinkt, so ist doch der dem Portugiesischen entlehnte Name marmalade interessant. Ursprünglich bezeichnet er ebenfalls mit viel Zucker festgekochtes Quittenmus, wie es der provençalische Prophet Nostradamus 1555 in seinem Kandierbuch als königliche Delikatesse gepriesen hatte. Solche Zuckerbomben waren kostbar, denn Zucker war teuer – das gewöhnliche Volk rührte in stundenlanger Schwerstarbeit Latwergen wie Pflaumenmus oder Hiffenmark aus Hagebutten im eigenen Fruchtzucker. Heute geht das einfacher.

Jetzt beginnt wieder die Erntezeit, reifen zwischen Altem Land und Bodensee Erdbeeren und Kirschen, Himbeeren und köstliche Weinbergpfirsiche, die unkompliziert mit günstigem Gelierzucker und Pektin eingemacht werden können. Konfitüre selbst fabrizieren und mit handbeschrifteten Aufklebern zu verschenken ist gerade in jungen Familien wieder hochaktuell. Das hat auch damit zu tun, dass das Produkt unerbittlich nur so gut ist wie die verwendeten Früchte. Billigerer Industriefruchtaufstrich schmeckt halt häufig mehr nach übermäßig viel Raffinerie-Zucker denn nach aromatischem Obst. Wer einmal das geballte süßsäuerliche Aroma von Wachauer Marillen gekostet hat, greift nur zögerlich zum Standard-Aprikosenaufstrich vom Hotelbuffet oder aus dem Supermarktregal.

Aber auch der deutsche Norden, wo man beherzt in Frühstücksgraubrot mit Käsescheibe und Mehrfruchtaufstrich beißt, exportiert erfolgreich seine Idee, die Geschmäcker zu mischen. Gourmet-Restaurants servieren zum Käsegang passende Frucht-Chutneys und kreative Konfitüren mit exotischen Ausritten wie Blutorange/Schokolade/ Ingwer bis Stachelbeere/Birne/Mango. Jugendliche Start-ups profilieren sich mit Öko-Zutaten wie Rohrohrzucker und ansprechend designten Gläschen, die so klein sind, dass Schleckermäuler ihren Inhalt zu einer Mahlzeit vertilgen können und so dem einst gefürchteten Schimmelbefall ein Schnippchen schlagen.

Dafür werden Klassiker wie Apfelgelee zu Raritäten. Den Brexitbriten verdanken wir übrigens, dass all das EU-konform nur noch „Marmelade“ heißen darf, wenn Zitrusfrüchte drin sind. Immerhin, ein österreichischer „Marillenmarmeladenmärtyrer“ hat trotz Bußgeldandrohungen ertrotzt, dass auf Bauernmärkten und bei Ab-Hof-Verkauf das Wort weiter für bei uns reifende Früchte verwendet werden darf – sonst muss es „Fruchtaufstrich“ oder französisch „Konfitüre“ heißen. Snobs können denn auch nach Westlothringen fahren, um in Bar-Le-Duc die vermutlich teuerste Konfitüre der Welt zu erstehen.

In der angegrauten Residenzstadt werden mit Gänsefederkielen händisch die Kernchen aus weißen Johannisbeeren, die den royalen Namen Cassis de Versailles tragen, herausgepickt. Das Fruchtfleisch und die Häutchen werden sanft in Zucker geköchelt und in 85-Gramm-Gläschen abgefüllt, mit denen die Pariser Hautevolee gern protzt – kostet der Spaß doch an die 20 Euro. Leider schmeckt das Produkt trotz all der Mühe ganz im barocken Luxus-Stil mehr süß als fruchtig – vielleicht also doch lieber selber machen?

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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