Peters Lebensart
Teegedanken
Prasselnder Ofen, gemütliches Sofa, leckere Kekse, interessante Lektüre, was fehlt? Heißer Tee. Über dessen ideale Zubereitung kursieren weltweit viele Meinungen.
Winterzeit, Teezeit. Anlass, in ostfriesischer Stövchen-Gemütlichkeit zu schwelgen, auf den duftenden Blättertrank vorsichtig mit dem Löffel Sahne aufzulegen und dem Knistern zu lauschen, wenn die Kandis-Kluntjes in der Hitze zerspringen. Bei Schmalzplätzchen könnte man über das Mif-Problem fachsimpeln, das den britischen Smalltalk beim High Tea auf Touren bringt. Angeblich stehen ja Arbeiterklasse und Labour-Wähler darauf, erst Milch und Zucker in ihren Henkel-Mug zu geben und dann heißen Tee darauf zu schütten („milk in first!“), während Tories es dem Adel gleichtun und es genau umgekehrt, also fast ostfriesisch, bevorzugen. Wer glaubt, diese milchige Melange sei wie die Cappuccinoisierung des schwarzen arabischen Kaffees ein Beispiel für westliche Verfremdung, der irrt. Die Wurzeln der Sitte liegen im Raj, im Kolonialreich Britisch-Indien. Zu meinen köstlichsten Reiseerinnerungen zählt es, an einem „tea stall“ mit Kardamom und Ingwer gewürzten Schwarztee, der direkt mit Milch aufgebrüht wird, zu trinken. Chai Latte, den hierzulande Coffeeshops anbieten, ist nur ein müder Abklatsch dieses indischen Volksgetränks. Nicht Milch ist also der britische Anteil, sondern die Teesorten!
Seit England durch die portugiesische Prinzessin Catherine of Braganza auf den Geschmack gekommen war, waren die ständigen Ausgaben für Chinatee ein handelspolitisches Ärgernis. Nach dem Opiumkrieg (1839–1842) ging Großbritannien in einem Akt von Biopiraterie daran, Tee im indischen Hochland von Darjeeling anzupflanzen. Dazu kam die Entdeckung heimischer Sträucher in Assam. Im Gegensatz zum Grüntee aus dem Reich der Mitte setzten die Briten auf fermentierten Schwarztee, der sie an „russischen“ Karawanentee erinnerte, der von Kamelen durch Zentralasien herangeschleppt wurde. Kräftiger Schwarztee wird bis heute von Husum bis Dublin und Delhi mit Milch gemixt und steckt auch in taiwanesischen Bubble-Teas. Zu Partikeln gecrusht, füllt er Teebeutel, eine praktische, wenn auch geschmacklich umstrittene Erfindung des Dresdner Unternehmens Teekanne. Auch Teetrinkernationen wie Libyen oder die Türkei setzen auf preisgünstigen gesüßten Schwarztee. Stichwort Jagatee. Man kann den Aufguss auch mit Rum und Obstler verfremden. Oder eleganter, mit echter Ber gamottenessenz: Earl Grey soll per Zufall entstanden sein, weil ein Bergamottenölgefäß auf einem Tee-Klipper auslief.
Snobs können Teeblätter von den Azoren oder dem winzigen Teegarten der Aussteigerkommune Monte Verità im schweizerischen Ascona aufbrühen. Aber eigentlich geht der Trend „back to east“, weg vom europäischanonymisierten Tee zum puren, fast vergeistigten Aroma asiatischer Grüntees. Die japanische Teezeremonie Chado strebt zenhafte Balance durch rituelle Verehrung dieses Naturprodukts an. Eine chinesische Parallele ist der Kult um wilden Pu Erh, der in der bergigen Provinz Yunnan wächst. Die astronomischen Preise für „single bush teas“ sind vergleichbar mit Geboten für Cru-Weine aus Spitzenlagen. Wertschätzung ganzblättriger Tees, von Hand zu Gunpowder eingerollt oder als winziger tanninarmer Silbertee geerntet, kontrastiert mit grünem Matchatee aus Uji, der mit aus Bambus geschnitzten Teebesen schaumig geschlagen wird und auch in Matchabaumkuchen verbacken Liebhaber findet. Denn Tee kann Räuchergewürz und sogar Gemüse sein. Frühe chinesische Texte mischen ihn mit Salz, Ingwer, Orangenschalen und Reis. Wem das zu bunt klingt, folgt besser dem Ratschlag von Lu Yu: Der Gelehrte aus der Tang-Zeit vertritt in seinem im Jahre 780 veröffentlichten „Buch vom Tee“ die Meinung, zu Teeblättern passe reines Bergquellwasser – und sonst nichts!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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