Peters Lebensart
Weltenbürger aus Amerika
Als Süppchen, frittiert oder in Pasta: Des Kürbis Trumpf ist seine Vielseitigkeit
Wer im Herbst durch deutsche Lande streift, der trifft häufig am Wegesrand auf Berge bunter Feldfrüchte, die in Rottönen, Gelb und scheckiger Grünmaserung leuchten. Kürbisse vom toffeefarbenen Butternut bis zum kugeligen Muskat und dem knallorangen japanischen Hokkaido gehören zu den Impressionen der Saison – und da ausgewachsene Exemplare oft mehrere Kilo wiegen, lohnt sich der Transport in den Supermarkt nicht. Viele Bauern setzen da lieber auf Direktvermarktung.
Die Beliebtheit dieser hartschaligen Gemüse hat in den letzten Jahren dermaßen zugelegt, dass Zeitungen gern vom „Kürbisboom“ sprechen. Ich persönlich kann mich noch gut an meine ersten Kürbisse erinnern: Sie erschienen mir als etwas Ausgefallenes, denn zu Hause gab es so etwas bei meiner Mutter nicht. Es waren süßsauer eingelegte Würfel, die als Beilage zum Rindfleisch in unserer Tiroler Ferienpension gereicht wurden. Später beim Studium in Wien erfuhr ich, dass burgenländische Köchinnen zum Tafelspitz statt Spinat lieber „Kürbiskraut“ servieren, und erhaschte so einen Einblick in die pannonischosmanischen Wurzeln der Kürbisküche. Bis heute ist süß geschmorter Kürbis beliebt von Istanbul bis Kandahar, afghanische Restaurants zelebrieren auch hierzulande minzgewürzten Boorani Kadu.
Dann kam der Hype um das steirische Kürbiskernöl. Schwarzgrün schillernd und zähflüssig, galt es als derbe Bauernnahrung, bis Haubenköche darauf verfielen, einen neuen Klassiker wie Kürbissuppe mit Ingwer zu zaubern, die mit gerösteten Kürbiskernen und Schlieren des schwarzen Goldes getoppt ist. Dass so manches Kürbiskernöl beim Discounter in PRC, sprich Peoples Republic of China, abgefüllt ist, verweist auf den Weltmarktführer in Sachen Kürbisanbau.
Für mich war der nächste Probierschritt Italien. Ich mag die putzigen Venediggemälde Pietro Longhis, wo Verkäuferinnen in Rokokotracht im Karneval herausgebackene Fritole, eine Art Kürbiskrapfen, anbieten. Ganz zu schweigen von einem meiner absoluten Lieblingsgerichte. Dottergelbe hauchdünne Tortellini, gefüllt mit grob gestampftem orangem Zucca-Mus, das mit Senffrüchten und Mandelamaretti aromatisiert ist. Zu Recht der Stolz Mantuas und der lombardisch-emilianischen Küche!
Basta mit diesen Erinnerungen, denn unser aktueller Kürbishype ist eher transatlantisch. Er kommt daher, wo bis auf den Flaschenkürbis alle anderen Sorten historisch herstammen: aus Amerika. Genauer gesagt, den USA. Dass die deutsche Erntemenge sich im vergangenen Jahrzehnt mehr als verdoppelt hat, wird auch auf die wachsende Popularität von Halloween mit seinen geschnitzten Kürbismasken zurückgeführt. Und die Speisefolklore, die sich um den Puterbraten des Thanksgiving Day rankt, propagiert nebenbei auch US-Klassiker wie Squash Puree und Pumpkin Pie. Längst sind diese Moden auch auf die Britischen Inseln geschwappt, wo Pumpkin Soup, manchmal verfeinert mit Sellerie oder Äpfeln, so ziemlich in jedem Coffeeshop serviert wird und Jamie Oliver Rezepte für Pumpkin Curry verrät.
Und was stellen deutsche und österreichische Haushalte mit Cucurbita, so der lateinische Name, an? Wir respektieren die Internationalität dieses Weltenwanderers und machen genauso gern Kürbismarmelade wie Kürbisfritten, köcheln die Suppe mit Zitronengras oder strecken sie brav mit Kartoffeln, panieren mit Kürbiskernen und können nicht von unserer kulinarischen Italiensehnsucht lassen: Ein vegetarischer Renner ist das zerfaserte Fruchtfleisch vom Spaghetti-Kürbis, gefüllt mit Strauchtomaten, überbacken mit Parmesan.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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