Wortsalat an Speisekärtchen
In zeitgeistigen Restaurants müssen die Gäste mindestens zwei Begriffe googeln, um die Menükarte verstehen zu können
Einer traut sich noch. Bei der unverändert angesagten Barlegende Schumann’s in München gibt es als Unterlage zu Weltklasse-Cocktails nicht nur Roastbeef mit Bratkartoffeln, sondern auch Speckbrot mit Senf. Mit weißem Speck wohlgemerkt. Welch sprachliche Provokation! In der gehobenen Gastronomie herrscht doch seit Jahren stillschweigendes Einverständnis, die Fettbombe mit dem italienischen Euphemismus Lardo zu entschärfen.
Germanisten werden behaupten, dass Speisekarten und Kochbücher immer schon Texte waren, die Signale aussenden. Aber seit Kreativrezepte die Rouladenvertrautheit abgelöst haben, ist Sprache zu einem wichtigen Faktor kulinarischer Selbstdarstellung geworden.
VOR DER BESTELLUNG GOOGELN
Es begann mit gestelztem Herantasten ans Raffinement. Die ominöse Schäumchenpoetik an der confierten Aubergine oder der geschnitzten Topinamburwurzel war anfangs stilistisch so schlecht nicht, spiegelte sie doch die minimalistischen Ideale der nouvelle cuisine wider. Heute setzt man eher auf die spartanische Marotte „brutal ehrlicher“ Triaden mit markanten Schrägstrichen: Aal/Senfgurke/Birne oder Schwein/Alblinsen/Kerbelwurzel.
Andere wagen künstlerische oder geografische Metaphern: Gualtiero Marchesis Fischcarpaccio Dripping di pesce knüpft an Jackson Pollocks getropfte Klecksgemälde an, ein Kalauer wie Ox on the rocks blödelt nicht nur, sondern inszeniert Landschaften auf dem Teller. Klar, mit Essen spielt man wieder, manchmal dreist wie der Tabubrecher Massimo Bottura in Modena, der einen Käsekuchen auf den Teller plumpsen lässt: Oops, I lost the cake!
Trendy: Man zitiert die internationale Karte. Sprachlicher melting pot à la Londoner oder New Yorker Fusionsküche, wo von der Nage bis zum Timballo, vom Tom Yam bis zum Dim Sum alles in schöner Selbstverständlichkeit auf einem Menü zusammen tanzt. Wem das zu babylonisch klingt, der kann sich damit trösten, dass eine führende deutsche Tageszeitung jüngst festgestellt hat, dass man in einem zeitgeistigen Restaurant mindestens zwei unbekannte Begriffe aus der Karte googeln müsse.
Die könnten auch altdeutsch sein. Die Zeiten, wo Deutsch auf den Speisekarten gefordert wurde, sind zwar vorbei, dafür etabliert sich aber die Wiederentdeckung regionaler Nischenprodukte und Wörter. Sprachgourmets dürfte das Revival altfränkischer Kräuternamen wie Mädesüß entzücken. Ins Land einibeissn – kann man da nur werbeösterreichisch zitieren.
Bleiben die sprachlichen Vermittler. Die Kommunikationsbeauftragten der Gastronomie sind die Kellner. Die Armen, denn häufig werden sie gegen alle Prinzipien der Rhetorik in ein Korsett gepresst, das im Auswendiglernen von komplizierten Gerichtebeschreibungen der Tageskarte besteht, die dann vor den Gästen heruntergeleiert werden. Wie in der Schule bei einer Mutprobe, die oft mit Stottern endet. Sorry, liebe Gastronomen, freie Rede ist hier mehr.
Pickt ein Detail heraus, empfehlt ein Gericht a voce, erzählt eine Anekdote; Sprache ist Interaktion, weckt Gefühle. Der moderne Gast will auch unterhalten werden. Vorbei die Zeiten, wo ein gemurmeltes War’s recht? genügte.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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