Porträt
Juckpulver für Zeitungsleser
Der Bonner Rotarier Burkhard Mohr ist einer der führenden Karikaturisten Deutschlands – und spürt den Wandel in seinem ganz besonderen Metier.
Politischer Zeichner ist ein ungewöhnlicher Beruf. Burkhard Mohr übt ihn bereits seit mehr als vier Jahrzehnten aus und erlebt die Entwicklung in der Medienlandschaft auch als Zeitenwende im eigenen Beruf. Da sind zum einen die digitalen Medien, die die „Presse“ – sein angestammtes Biotop – immer mehr an den Rand drängen. Zum anderen kann die klassische Bildsprache der Karikatur als pointierte zeichnerische Umsetzung eines aktuellen Themas in Teilen der Gesellschaft nicht mehr auf Verständnis hoffen. Junge Leute könnten mit der Dramaturgie dieser Kunstform häufig nichts mehr anfangen, meint Mohr (63). Der Gedanke hinter der Karikatur müsse sich ihnen schnell erschließen. Die kleine Verzögerung bis zur Erkenntnis, das sei heute nicht mehr gefragt.
2022: ein Rückblick in Bildern
Angesichts der Political Correctness spüre er immer häufiger eine Schere im Kopf. „Wirklich provokant oder boshaft, wie meine Kollegen in Frankreich oder England, darf ich nicht sein“, sagt Mohr. Der Zeichner bedauert, dass damit ein Wesenskern der Karikatur verloren geht: „Karikaturen sollen optisches Juckpulver sein, das den Betroffenen zwingt, sich zu kratzen.“ In den vergangenen Jahren hat Mohr zudem eine stärker werdende Tendenz hin zu Comics oder Cartoons beobachtet. Sprechblasen ersetzten heute oft die gezeichnete Kritik. Die Folge: Die Zeichnung selbst wird unverfänglicher und verliert an subversiver Wirkung.
Bildende Kunst
Das jedoch war für ihn der entscheidende Reiz bei der Berufswahl. Mohr stammt aus einem musischen Elternhaus, vor allem der Vater trat neben seinem Brotberuf auch als Dichter hervor. Den entscheidenden Anstoß indes gab die Mutter: Als Redakteurin der FAZ am damaligen Regierungssitz Bonn präsentierte sie ihren Chefs die ersten Karikaturen ihres 19-Jährigen, der sofort als Mitarbeiter engagiert wurde.
Dennoch zog es ihn nach dem Abitur zunächst zur bildenden Kunst. In sechs Jahren entstanden neben dem Studium in München und in drei Jahren in Belgien Karikaturen nur nebenbei. Der kreative Mittelpunkt dieser Lebensphase waren Skulpturen, die er auch später noch in der eigenen Schmiede anfertigte, unter anderem einen „Dukatenscheißer“, der vom damaligen Bundestagsvizepräsidenten Julius Cronenberg dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gestiftet wurde, eine Willy-Brandt-Büste für die Landesvertretung Rheinland-Pfalz oder auch eine überlebensgroße Münchhausen-Figur für das Museum in Bodenwerder. In Eisen schmiedete er auch sogenannte Politiker-Grotesken, die vom Haus der Geschichte in Bonn angekauft wurden und dort viele Jahre in einer Dauerausstellung zu sehen waren.
Exklusive Karikaturen
Erst Ende der 1980er Jahre kehrt er hauptberuflich zum Zeichenbrett zurück, wieder als Mitarbeiter der FAZ, später des Handelsblatts und der Süddeutschen Zeitung sowie einer großen Gruppe von Regionalzeitungen. Für die Leitmedien zeichnet er vertragsgemäß und exklusiv ein- beziehungsweise zweimal die Woche, den regionalen Medien, deren Verbreitungsgebiet sich nicht überschneidet, liefert er eigene Karikaturen.
Im Durchschnitt entstehen jeden Tag zwei Werke: „Das beginnt am Vormittag mit der gedanklichen Recherche, welche Themen sich für den Folgetag aufdrängen“, umreißt Mohr seinen Tagesplan. „Gegen 13 Uhr folgt eine Skizze und bei einem Okay der Chefredaktion die Umsetzung bis spätestens halb fünf.“
Außerdem ist Burkhard Mohr nach wie vor als Bildhauer tätig. In seinem Atelier entstehen heute Skulpturen in Bronze als Auftragsarbeiten, oder er ist unterwegs, um als Schnellzeichner bei Veranstaltungen aufzutreten. Seinen Rotary Club Bonn Süd-Bad Godesberg erfreut er in der clubinternen Whatsapp-Gruppe mit exklusiven täglichen Karikaturen. „Ein sehr dankbares Publikum“, sagt Mohr und lächelt verschmitzt.
Zur Person
Burkhard Mohr wurde 1959 in Köln geboren und wuchs im Siebengebirge auf. Nach Lehr- und Wanderjahren kehrte er in die Region zurück, die er nicht zuletzt wegen ihres toleranten politischen Klimas schätzt – eine Voraussetzung für einen Beruf, der von der Lust auf Widerspruch lebt. Karikaturen sind zwar eine Art "Tageskunst", aber oft zu schade fürs Altpapier. Deshalb legt Mohr immer wieder Sammlungen seiner besten Stücke vor, ganz aktuell unter dem Titel Keine Angst vorm Morgengrauen! (zu bestellen direkt bei Burkhard Mohr). Die Zeichnungen daraus sind derzeit auch in einer Ausstellung im Uni-Club Bonn zu sehen (bis 31. Januar 2023).
Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.
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