Entscheider
„Der breite Konsens geht leider verloren“
EWE-Erneuerbare-Energien-Chef Jörg Buddenberg über die Herausforderungen der Energiewende
Das EWE-Gebäude ist ein schmuckloser Zweckbau an der Donnerschweer Straße in Oldenburg. Ebenso zweckmäßig sind die Büros im vierten Stock eingerichtet, auch das des Chefs: ein Tisch, fünf Stühle, ein Garderobenständer und ein stylischer Retro-Stehschreibtisch. Es lohnt sich auch nicht, sich das Büro hübsch einzurichten – zu oft ziehen die Mitarbeiter um. Nächste Woche ist es wieder so weit. Jörg Buddenberg trägt einen lässigen blauen Anzug, ein etwas knittriges, legeres weißes Hemd ohne Krawatte, und in den glänzenden schwarzen Slippers stecken leuchtend blaue Socken.
Die Leute im Süden sind komisch, oder?
Komisch? Wieso?
Sie nutzen Strom aus Windenergie, dulden vor ihrer Haustür aber vielerorts keine Windräder, etwa auf den Höhen des Schwarzwalds. Dann kommen sie in den Norden und schauen sich an, woher ihr Strom kommt.
Na ja, dafür produziert der Süden mehr Solarenergie. In Norddeutschland weht mehr Wind, im Süden scheint öfter die Sonne. So ist es nun einmal. Es gibt zwar eine grundsätzliche Akzeptanz für die Erneuerbaren Energien, aber innerhalb der Bevölkerung ein sehr breites Spektrum. Und es gibt auch immer noch viele Bürger, die den Klimawandel leugnen und darum keinen Handlungsbedarf sehen – das kann ich nicht verstehen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Deutschen die Energiewende wirklich verstanden haben?
Schwer zu sagen. Der Wahlerfolg der Grünen bei der Europawahl zeigt: Viele meinen, dass diesbezüglich noch nicht genug gemacht wird. Aber andere wiederum sind der Meinung, dass Atom- und Kohlestrom langfristig eine Daseinsberechtigung haben. Der breite Konsens geht leider verloren.
Bis 2030 sollen 65 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen stammen.
Das wird schwierig. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind da und sie funktionieren, aber wenn man sich die Genehmigungspraxis etwa für Windräder mal anschaut – da kann man verrückt werden. Zudem denkt und tickt die große Politik da anders als der Bürgermeister vor Ort, denn der muss im Rat eine Akzeptanz bei den Bürgern schaffen.
Was können Sie dafür tun, dass das in Zukunft besser läuft?
Ein Schlüssel ist es, die Bürger an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Wir wollen die Menschen von den Erneuerbaren Energien überzeugen, nicht überrennen oder sie zwingen. Ideal wäre eine gemeinsame Bewegung aus Bürgern, Umweltverbänden und lokaler Politik. Mal klappt das, mal nicht. Mal sind die Bürgermeister mutig, mal nicht. Sind die Bürgermeister eher restriktiv, sind wir nicht handlungsfähig.
Lässt sich das an Regionen festmachen?
Nein, gar nicht. In einer Gemeinde können wir Zuspruch finden, in der Nachbargemeinde auf Ablehnung stoßen. Ich würde mir von der Politik vor Ort manchmal mehr Mut wünschen. Auch in Bayern und Baden-Württemberg würde ich mir mehr Mut zur Windenergie wünschen, auch wenn der Norden dafür prädestiniert ist. Das Geschäft mit der Windenergie ist ein extrem lokales, und da wäre es gut, wenn man auch im Süden geeignete Orte bespielen könnte.
Im Norden wie im Süden mahnen die Kritiker, dass Windräder genau das kaputtmachen, was es zu beschützen gilt.
Das kann ich in manchen Ecken nachvollziehen, aber ich halte die Gefahr des Klimawandels für viel schlimmer als die überschaubaren Schäden, die durch den Bau von Windrädern angerichtet werden. Im Übrigen sorgen wir bei jedem Projekt durch individuelle Kompensationsmaßnahmen wie naturnahe Wiesen und Fledermausquartiere für Ausgleich. Manche Naturschützer übertreiben es in meinen Augen. Wenn wir Fische umsiedeln sollen, um Windräder errichten zu können, dann steht das doch in keinem Verhältnis zum globalen Nutzen der Energiewende.
Sie meinen: Einen Tod muss man sterben? Entweder man will die Energiewende ganz oder gar nicht?
Ja, so in etwa. Wir müssen als Gesellschaft entscheiden, was wir jetzt wollen und was nicht. Leider wird die Realisierung der Energiewende immer komplizierter. Und das können wir uns angesichts der Zielsetzung eigentlich nicht erlauben.
Welche Erneuerbaren Energien tragen sich wie gut?
Die Windkraft ist in Deutschland und bei uns im Unternehmen am umsatzstärksten. Die Anlagen werden immer größer, immer höher und effizienter, wodurch die Erträge steigen und die Kosten sinken. Die Solarenergie liegt auf Platz zwei. Die Panels haben einen dramatischen Preisverfall erlebt, durch den Einstieg Chinas, die Massenproduktion, durch den technologischen Fortschritt und die steigende Effizienz. All das sorgt heute schon dafür, dass Solarstrom pro Kilowattstunde in der Herstellung am günstigsten ist.
Und die Wasserkraft?
Sie liegt auf Platz drei, aber in Deutschland sind die Kapazitäten nahezu ausgeschöpft. Sie ist naturgemäß in Norwegen, in Österreich und in der Schweiz viel stärker. Erneuerbare Energien hängen nun einmal von den geografischen Verhältnissen ab. Darum betrifft die zentrale Frage des Gesamtenergiesystems sowohl die Stromerzeugung, die Verteilung über die Netze als auch die Speicherung.
Wie steht es denn um die Speicherfähigkeit?
In manchen Perioden, häufig im Winter, weht weder der Wind noch scheint die Sonne. Derzeit sind konventionelle Methoden der Energiegewinnung noch nötig. Batterien eignen sich nur für die kurzfristige Speicherung von Energie. Ideal sind Speicher immer dann, wenn sich viel Energie auf wenig Raum speichern lässt. Gut funktioniert die Umwandlung von Energie in Wasserstoff, synthetisches Gas oder Benzin – das lässt sich gut speichern. Aber jede Umwandlung bringt hohe Energieverluste mit sich. Die große Herausforderung besteht darin, dass wir alle technischen Möglichkeiten so miteinander verbinden, dass eine hohe Energieeffizienz und Nachhaltigkeit gewährleistet werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie sich Energie für die Mobilität nutzen lässt.
Die Elektromobilität ist wichtig, löst aber nicht das ganze Mobilitätsproblem. Denn wir werden ja auch weiterhin fliegen.
Gibt es dazu Ansätze?
Wir haben eine Biogasanlage, an der wir derzeit mit Audi aus Strom und dem Kohlendioxid, das in der Biogasanlage frei wird, synthetisches Gas für die Audi- E-Gas-Fahrzeuge herstellen. Zusammen mit einem Investor stellen wir an derselben Anlage durch Methanisierung, also durch die Verbindung von Wasserstoff und Kohlendioxid, ein synthetisches Flugbenzin her. Und diese globale Sicht auf die Erneuerbaren Energien gibt es leider in Deutschland noch gar nicht. Wir müssen die Energiewende global denken, nicht nur lokal.
29,42 Cent – das ist der derzeitige Preis pro Kilowattstunde Strom. Viel, oder?
Jein. Die Frage ist: Wie viel ist uns die Energiewende wert? Vielleicht muss man einkommensschwache Schichten entlasten. Es gibt in Deutschland diverse Sonderregelungen zur Steuerung des Strompreises, die korrigiert werden müssten. Es ist zum Beispiel Blödsinn, dass die Abgabenlast auf die verschiedenen Energieträger unterschiedlich hoch ist. Das führt zu falschen Lenkungsmechanismen. Damit kreieren wir künstliche Engpässe in der Weiterentwicklung des Energiesystems, was dazu führt, dass die Verbraucher weniger Akzeptanz haben.
Wann wird das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet?
Das beschlossene Jahr 2038 ist machbar, sowohl energiewirtschaftlich als auch sozialverträglich. Energiewirtschaftlich wäre das auch früher möglich, und das hat die Fridays-for-Future-Bewegung erkannt. Wir sind nicht konsequent in der Umsetzung der Energiewende – und das betrifft leider jeden Einzelnen von uns.
Mit Blick auf die Energiewende sagen Kritiker: Deutschland allein wird die Welt nicht retten.
Stimmt, aber die Klimaleugner auch nicht. Ich sage ja, dass wir global denken müssen. Ich merke, dass diese Diskussion die Gesellschaft spaltet und der Klimaschutz offenbar nicht allen Alters- und Gesellschaftsschichten gleich wichtig ist.
Die Bild-Zeitung fragte kürzlich: Wie reich muss ich sein, um Grün wählen zu können.
Tja, wie macht man die Energiewende sozialverträglich? Nicht jeder kann sich ein Elektroauto leisten. Ein Teil der Lösung liegt genau darin, solche Fragen zu diskutieren. Die gesamtökologische Debatte wird auch entscheidend sein mit Blick auf die weiter wachsende Weltbevölkerung.
Fangen wir im Kleinen an: Welches E-Auto fahren Sie?
Ich fahre einen Hybrid, ein älteres Modell, sehe aber noch sehr viel Verbesserungspotenzial. Mein nächstes Fahrzeug wird deutlich ökologischer. Außerdem versuche ich, viel mit dem Fahrrad zu machen oder die Bahn zu nutzen.
Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Mit Reiten. Ich war als Kind nicht sportlich, konnte nicht mit Bällen umgehen. Das Reiten hat etwas Archaisches und schafft eine große Naturverbundenheit. Dabei kann ich hervorragend abschalten.
Außerdem, so las ich, sind Sie ein Oldtimerfan.
So ist es. Ich habe einen Käfer Cabrio von 1969 und einen Citroën DS von 1965. Aber mehr als das Fahren reizt mich das Schrauben, Basteln und Instandsetzen. Das ist mein handwerklicher Ausgleich zur Büroarbeit. Auch Rotary hat immer viel meiner Zeit beansprucht. Ich habe einige Ämter bekleidet, war Clubpräsident, Clubsekretär und Distriktsekretär.
Das Gespräch führte Björn Lange.
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