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Entscheider

"Die Mischung macht’s"

Entscheider - "Die Mischung macht’s"
Treibt vehement die Themen Automatisierung, Produktsicherheit und Nachhaltigkeit voran: Herbert Forke. © Sarah Larissa Heuser

Siegwerk-Chef Herbert Forker über Strategien, Oldtimer und Konzernstrukturen im Familienunternehmen

Björn Lange01.12.2019

Das Werksgelände am Fuße des Michaelsbergs liegt mitten in der Siegburger Altstadt. Die alten roten Backsteingebäude versprühen einen frühindustriellen Charme, die neueren Gebäude stören dieses Bild. Im ersten Stock der Verwaltung ist alles hochmodern – die Konferenzräume, die Büros, die Beleuchtung. Ein Wasser, ein Keks, los geht’s.

Aus einer 1824 gegründeten Manufakturwarenhandlung entwickelte sich auf Basis der Druckkompetenz aus der späteren „Kattunfabrik“, einer Druckerei für Stoffe, ein internationaler Druckfarbenhersteller. Heute hat das Unternehmen mehr als 5000 Mitarbeiter in 30 Ländern. Wie viel Familienunternehmen steckt noch im Siegwerk?
Auf der einen Seite sind wir wirklich ein Familienunternehmen. Wir denken in Generationen, haben eine sehr geringe Verschuldung, der mehrheitliche Eigentümer und Aufsichtsratsvorsitzende Alfred Keller wohnt um die Ecke, ist also physisch da. Im Jahr 2002 haben wir das Unternehmen von einer GmbH in eine AG umgewandelt und damit die Strukturen für die Vererbung in die siebte Generation geschaffen. Aber in einigen Punkten haben Herr Keller und ich uns nicht gefunden: Ich sage, eine gewisse Verschuldung muss sein, um eine vernünftige Eigen kapitalrendite zu erreichen. Er sagt, er möchte ruhig schlafen können und lieber keine Schulden. Das andere ist die Kommunikation. Auf der einen Seite wollen wir im Stillen wirken, sind Hidden Champion, auf der anderen Seite müssen wir in der Öffentlichkeit stattfinden, um auch für potenzielle Fachkräfte sichtbar zu sein.

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Herbert Forker vor dem neuen Mischwerk am Siegburger Stammhaus: 2000 Kundenfarben aus 163 Einzelkomponenten © Sarah Larissa Heuser

Das klassische Familienunternehmen zeichnet sich durch flache Hierarchien, eine hohe Identifikation der Mitarbeiter mit der Inhaberfamilie sowie durch langfristiges statt quartalsweises Denken aus. Wie klappt das in diesen Konzernstrukturen?
Wir waren im Sommer mit 40 Führungskräften und Ehepartnern beim Eigentümer zum Abendessen. Die Kollegen schätzen das sehr. Was mich motiviert, ist, dass wir das Familienunternehmen professionell führen dürfen. Herr Keller sagte einmal, dass er sich wünscht, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich sagte: Es kann sein, dass ich alles ändern muss, damit es für Sie so bleibt, wie es ist. Als ich vor 20 Jahren kam, gab es nur Siegburg und ein Tochterunternehmen in den USA. Heute sind wir organisiert nach Regionen, nach Business-Units und nach Funktionen wie Personal und Finanzen. In einer solchen dreidimensionalen Matrix-Organisation brauchen wir Menschen, die nicht auf Herrschaftswissen bestehen, sondern müssen das Wissen aller zusammenführen. In anderen Kulturen, in der Türkei, in Russland und China wollen die Leute richtige Chefs. Da haben auch wir Macho-Manager. Aber auch die müssen sich an unsere Regeln halten und die Motivation haben, über alle Grenzen zu kooperieren. Dazu brauchen wir diese Konzernstrukturen.

Inhaber Alfred Keller holte Sie 1999. In 20 Jahren haben Sie aus einem gewöhnlichen Mittelständler einen Global Player mit 1,116 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Welches waren Ihre wichtigsten Maßnahmen?
Dass wir von Printmedien auf Druckfarben für Verpackungen umgestellt haben, war die erste und wichtigste Maßnahme. Aber für die großen Kunden der Branche wie Philip Morris und Nestlé waren wir zu klein. Die sind global organisiert, also mussten wir es auch sein. 2000 haben wir unsere erste Akquisition in Thailand getätigt, kurz darauf eine Firma in den USA gekauft. Mitte der 2000er wollten uns Branchenriesen wie BASF und Akzo Nobel übernehmen, aber das kam für Herrn Keller nicht infrage. Dann, 2005, haben wir die Verpackungsdruckfarbensparte des Schweizer Konkurrenten Sicpa kaufen können, wodurch wir auf einmal Kontakte hatten nach ganz Südamerika, Asien und Frankreich – Länder, in denen wir bisher nicht waren. Das ergänzte sich super und war unser Durchbruch. Dafür mussten wir erstmals Schulden aufnehmen. Wir hatten damals 1300 Mitarbeiter, Sicpa hatte 2800, das war wie ein Reverse-Takeover.

Aber dann mussten Sie auch die inneren Strukturen verändern.
Ich habe High-Performance-Teams geschaffen, die sich ergänzen. Unser Finanzvorstand ist eher vorsichtig, fokussiert, denkt langfristig. Ich bin extrovertiert und offensiver. Wir ergänzen uns gut. Und das funktioniert auch auf anderen Führungsebenen. Jede unserer Führungskräfte hat einen Test durchlaufen, kennt jetzt ihre Stärken und Schwächen, anhand derer wir einzelne Profile kombinieren. Jeder gute Vertriebler bekommt einen guten Controller an die Seite. Die Mischung macht’s.

Spüren Sie den Fachkräftemangel?
Ja, aber mehr in China als in Siegburg. Wir sind ein spezialisiertes Hightech-Unternehmen. Wir haben dort Kollegen eingestellt, diese zu Schulungszwecken nach Europa geholt und dann zurückgeschickt.

Wie finden und binden Sie Mitarbeiter?
Wir haben eine gute Location mitten im hochattraktiven Köln-Bonner Raum. Wir sind hochprofessionell, profitabel und wachstumsgetrieben einerseits. Wir denken groß, bieten große Gestaltungsspielräume, helfen und unterstützen. Auf der anderen Seite haben wir uns die Wohlfühlatmosphäre eines Familienunternehmens bewahrt, dieses Heimatgefühl. Insgesamt sind wir attraktiv, weil wir immer digitaler werden und Werte wie Nachhaltigkeit leben. Das zieht junge, gute Leute an. Und gute Leute wollen mit anderen guten Leuten zusammenarbeiten. 

Wo liegen die Wachstumsmärkte?
Der wichtigste Wachstumsmarkt ist Asien, allen voran China, aber auch Indien, Vietnam und Indonesien. Wir wachsen mit dem Wachstum in Asien. Die Bevölkerung wächst, es gibt dort immer mehr Einzelhaushalte, die verpackte Waren kaufen. Wir liegen jetzt bei 21 Prozent unseres Umsatzes in Asien, rund 53 Prozent machen wir in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika, 17 Prozent in den USA und neun Prozent in Südamerika.

In den vergangenen fünf Jahren investierten Sie im dreistelligen Millionenbereich. Wo lagen die Schwerpunkte?
Ein hoher zweistelliger Millionenbetrag floss nach China. Dort haben wir ein neues Forschungszentrum aufgebaut und in zwei bestehende Werke investiert. In Siegburg haben wir viel Kapital in die Automatisierung investiert und stecken derzeit eine beträchtliche Summe in ein neues Mischwerk, mit dem wir aus 163 Einzelkomponenten etwa 2000 Kundenfarben herstellen können. Außerdem investieren wir stark in die IT und Infrastruktur, zum Beispiel haben wir weltweit SAP eingeführt. Man kann mit Investitionen in Höhe eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags pro Jahr rechnen.

Wie ist die strategische Ausrichtung der nächsten Jahre?
Ein großes Thema ist die Effizienz, allein schon wegen der Inflation. Unsere Kunden wollen, dass wir jedes Jahr günstiger und besser werden. Darum investieren wir in neue Anlagen und Prozesse. Wir arbeiten auch an einem neuen Knowhow-Management mithilfe künstlicher Intelligenz. Außerdem wollen wir weiter wachsen, und zwar aus eigener Kraft und durch Zukäufe. Und als Chemie-Unternehmen beschäftigen wir uns natürlich mit Nachhaltigkeit.

Wie gehen Sie das an?
Die Themen heißen Kreislaufwirtschaft und Produktsicherheit. 80 Prozent des Plastik-Verpackungsmülls in den Weltmeeren kommen aus Asien, und zwar aus fünf Flüssen in fünf Ländern, nur zwei Prozent aus den USA und Europa, der Großteil des Rests aus Afrika. Wir versuchen, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, um Wertstoffe immer wieder zu recyceln. Dazu möchten wir Mehrschichtverbundfolien durch Einschichtfolien mit denselben Funktionen ersetzen. Geruchsschutz, UV-Schutz und andere Funktionen werden dann durch Lacke aufgetragen, die wieder abwaschbar sind. Verpackungsmüll soll so in seine einzelnen Bestandteile zerlegt werden können, um die Stoffe wieder für den gleichen Zweck einsetzen zu können. Auf dem Gebiet des mechanischen und chemischen Recyclings wollen wir Vorreiter sein.

Der Stamm Keller hält die Mehrheit der Aktien. Wie wahrscheinlich ist es, dass er welche in den freien Handel gibt?
Bei null! Die Banken leihen uns mit Kusshand Geld. Unsere Verschuldung ist so gering, dass wir uns für 0,5 Prozent Geld leihen können. Wir brauchen kein frisches Kapital von Anlegern.

Wie oft lassen Sie sich in Ihrem Club, dem RC Köln-Hahnentor, blicken?
Meine Präsenz liegt zwischen 30 und 40 Prozent. Ich schätze die Gesellschaft der Clubfreunde und das Netzwerken. Es ist ein guter, aktiver, attraktiver Club. Wir hatten auch schon zwei Veranstaltungen hier im Haus.

In Ihrer Freizeit, so hört man, sind Sie wild unterwegs.
Ich habe eine Harley-Davidson-Gang. Vor acht Wochen waren wir in Peru unterwegs, allerdings mit BMW-Enduros. Solch eine Tour haben wir auch schon in Bhutan und Nordindien gemacht. Ich muss immer Wind um die Nase haben, bin ein Outdoor-Mensch. Darum liebe ich das Oldtimerfahren. Am liebsten bin ich mit meinem Austin Healey in „british racing green“ und mit meinem roten Triumph TR6 unterwegs. Und ich bin Jäger. Jedes Jahr geht’s mit ein paar Freunden zur Hirschjagd nach Schottland, und mit der gleichen Truppe einmal im Monat zur Weinprobe. Der Gastgeber sucht die Weine aus und die anderen Gäste müssen Traube, Jahrgang oder Land erraten und welcher Wein nicht zu den anderen passt.

Björn Lange
Björn Lange arbeitete seit April 2019 zunächst als stellvertretender Chefredakteur des Magazins im Rotary Verlag. Seit Juli 2020 ist er Chefredakteur des Rotary Magazins. Zuvor war er unter anderem Redaktionsleiter des Pressedienstleisters Rheinland Presse Service in Bonn und des B2B-Wirtschaftsmagazins inside B in Offenburg.