Kassel
Ein gemeinsames Dach für alle Helfer
Pfarrer Krönung dankt dem Rotary Club Kassel-Wilhelmshöhe für die Spende eines Sonnensegels, das alle Helfer schützt.
Ein gemeinsames Dach für alle Helfer spannt St. Joseph am Kasseler Rothenberg zwischen der katholischen Kirche, dem Gemeindezentrum und der großen Eiche auf dem Kirchhof auf. "Ich freue mich über dieses Geschenk des Zusammenseins, das uns mit seiner Spende der Rotary Club Kassel-Wilhelmshöhe ermöglicht hat", sagt Pfarrer Stefan Krönung, dessen Kirche sich mit bis zu 680 Helfern zu einem Zentrum der Ukraine-Hilfe in Kassel und der ganzen Region entwickelt hat.
Der RC Kassel-Wilhelmshöhe hat St. Joseph mit einer Spende von mehr als 4000 Euro den Kauf eines großen Segels ermöglicht, das an Pfählen aufgespannt die Helfer im Sommer vor der sengenden Sonne, im Herbst vor den herabfallenden Eicheln und an trüben Tagen vor Regen schützen, aber an allen Tagen ein Symbol für Zusammenhalt und Gemeinsamkeit sein soll. "Es ist außerordentlich, mit welchem Engagement sich Helfer an diesem Ort, der Sozial- und Weltkirche in einem ist, für Menschen in Not in aller Welt einsetzen", würdigte der Präsident des RC Kassel-Wilhelmshöhe, Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden, den Einsatz des internationalen Teams am Rothenberg: "Das ist ein Dienst am Menschen, ein Beitrag zu Völkerverständigung und Frieden. Das sind Werte, die auch wir als überkonfessionelle internationale Organisation teilen und darum unterstützen."
Der Rothenberg ist für Stefan Krönung von 1906 an ein "interkulturelles Zentrum im Dienst am Menschen unabhängig von seiner Herkunft". Die Waggonfabrik Wegmann holte damals katholische Arbeiter nach Kassel, für die auf dem Rothenberg zunächst eine katholische Seelsorgestelle und Bibliothek sowie innerhalb eines Jahres die Kirche der St. Joseph-Gemeinde errichtet wurden. Bald hieß es: "Die Katholiken da oben am Berg, die geben allen." 1913 kam eine von Ordensfrauen geführte chirurgische Ambulanz samt Krankenhaus dazu, um die Arbeiter aus den umliegenden Industriebetrieben nach Arbeitsunfällen zu versorgen: das Marienkrankenhaus.
2007 kam Pfarrer Krönung auf den Rothenberg: "Ich habe die Kirche aufgemacht und gewartet, was da kommt." Dem Bischof in Fulda schrieb er – gestützt auf abgesicherte Analysen –, es sei die ärmste Pfarrei im Bistum. Und rasch wurde diese zur "Sozialkirche" mit Kleiderkammer, Tafel, Essensausgabe und Schlafplatz. Im Syrienkrieg, der in Wahrheit ein Nah-Ost-Konflikt mit Russland als zerstörerischer Kriegspartei ist, wurde der Rothenberg schon vor zehn Jahren zum Fluchtpunkt für Menschen, die Schutz vor den Bomben suchten, und die "ärmste Gemeinde im Bistum" organisierte mit den orientalischen Christen in Hessen eine Winterhilfe für Aramäer, Chaldäer, Muslime, Kurden – kurzum: für Menschen im Nordirak, die allesamt bedürftig waren. Sieben 40-Tonner gefüllt mit Spenden aus der Region brachen in den Irak auf.
Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde St. Joseph im Februar 2022 über Nacht zum Helferzentrum für die Menschen in und aus dem osteuropäischen Land, das sich zu demokratisieren begonnen und damit den Zorn Russlands auf sich gezogen hatte. 680 Mailadressen zählt die Helferkartei der Gemeinde unterdessen. Die verbindliche Helfergruppe umfasst nach Stefan Krönungs Schätzung etwa 70 Personen und es sind Tag für Tag etwa 15 bis 30 Menschen zum Dienst am Berg. "Wir sind bei mehr als 11.500 Dienststunden der freiwillig Engagierten allein in der Zeitspanne von Januar bis Oktober 2022", sagt der Pfarrer.
Die Helfer nehmen Spenden an, sortieren diese, sondern zu 40 Prozent Müll aus und packen die nutzbaren Gegenstände in Bananenkisten zum Versand. Herrenschuhe, sagt Stefan Krönung, werden immer gesucht, selbstverständlich gut erhalten und gerne auch neu. Und Leichenhüllen sind gefragt, aber stabile, die dem Einsatz im Wald und im unwegsamen Gelände Stand halten, spricht der Pfarrer ein ebenso intimes wie beschwiegenes Thema an. Denn in der Ukraine wird gestorben, und die Leichen der Menschen werden irgendwo vergraben, bis sie vielleicht eines Tages geborgen und unter der Anteilnahme von Angehörigen bestattet werden. Todesnachrichten treffen auch am Rothenberg ein, wo dann Frauen, die einen nahestehenden Menschen verloren haben, in der Kirche zum Beten niederknien.
Ein Mini-Care-Paket, erläutert die Maschinenbauingenieurin Sonja Gebauer, ist der jüngste Einfall für den Versand nach Osten. In 6500 ausgemusterten Erste-Hilfe-Kästen aus Fahrzeugen, die das Regierungspräsidium zur Verfügung gestellt hat, hat Sonja Gebauer mit anderen Helfern Haferflocken, Kondensmilch, diverse Nüsse, Energieriegel und Bonbons gepackt. "Damit kann ein Mensch zwei Tage überleben. Die handlichen, bruchfesten Boxen lassen sich rasch aus dem Autofenster reichen. Eine willkommene, lebensrettende Geste", sagt die junge Frau, die ihre Aufgabe am Rothenberg als Projektmanagerin beschreibt. Allein schon für 70 Helfer zu kochen, sei ein großes Projekt.
Die Kurdin und Muslima Basna Shokr kam mit der Familie, zu der vier muntere Kinder gehören, 2015 nach Kassel. Als Helferin der Malteser ist sie derzeit für die Logistik in der Kirche am Rothenberg verantwortlich. Sie hat kaum einen der bislang 44 Transporte nicht selbst beladen und die allermeisten Kisten der Transporte alle selbst mehrfach in ihren Händen getragen. "Zusammensein" heißt für Basna Shokr, Kommunikation, Austausch und ein neues Zuhause fern der ursprünglichen Heimat gefunden zu haben. Und für Hildegard Klimpel, die sich jüngst zu den Helfern gesellt hat, ist "das hier alles wie eine große Wundertüte".
Mehrere 10.000 Bananenkisten sind seit Februar 2022 vom Rothenberg aus allein in die Ukraine auf die Reise gegangen. Doch das sind nur die Kleiderkisten. Dazu kommen noch Dutzende Rollstühle, Krankenhausbetten, Stromgeneratoren, viele Paletten mit Hygieneartikeln, Rollatoren, sieben Tonnen Verbandmaterial und vieles mehr.
Hilfe erhalten weiterhin auch Menschen in Rumänien, Bosnien und Kurdistan. Zwischen all den Helfern spielen die Kinder, und Geflüchtete lernen Deutsch. Das Leben spielt sich draußen ab, wo Platz für so viele Menschen ist und diese die Luft zum Atmen haben in Zeiten der Pandemie. Das neue Sonnensegel überspannt sie alle – unabhängig davon, woher sie kommen, und wohin sie gehen werden.
Zu guter Letzt: Seit 2016 ist St. Joseph offiziell keine eigene Gemeinde mehr, sondern der Kirchort St. Joseph in der Pfarrei St. Elisabeth. Aber der Geist, der die Menschen hier beseelt, ist geblieben.
Claus Peter Müller von der Grün ist Journalist. 1960 in Kassel geboren kehrte er — nach dem Studium in Dortmund und verschiedenen beruflichen Stationen in Dortmund, Düsseldorf und Frankfurt — nach der Wiedervereinigung nach Kassel zurück. Dem RC Kassel-Wilhelmshöhe gehört er seit dem Jahr 2000 an. Im Jahr 2013/14 war er Präsident seines Clubs. Sowohl im Club, als auch auf der Distriktebene war er schon mehrfach in Sachen der Kommunikation aktiv, derzeit ist er Distriktberichterstatter von D1820.
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