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Die Tourismusbranche während der Schuldenkrise

Braun gebrannt am Krisenstrand

Als vor einem Jahr der Arabische Frühling ausbrach, profitierten vor allem die Badestrände in Spanien und Griechenland von den Unruhen. Jetzt sind sie selbst zu Krisengebieten geworden

Malte Herwig24.08.2012

In diesem Sommer verreisen weit weniger Deutsche nach Griechenland, Spanien oder Portugal als noch im Jahr zuvor. Dabei wäre ein bisschen griechischer Wahnsinn die beste Voraussetzung, um die Euro-Krise zu verstehen. Für Europa ist der Sommer 2012 ein Sommer des Missvergnügens. Die Griechen kämpfen mit dem Staatsbankrott, die Deutschen mit dem schlechten Wetter. Da muss doch etwas gehen, dachte sich der deutsch-griechische Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis und schlug einen Handel zum gegenseitigen Nutzen vor: Staatliche Reisezuschüsse sollen die Bundesbürger dazu bewegen, dem deutschen Dauerregen auf einen Last-Minute-Trip an die sonnigen Gestade von Hellas zu entfliehen.
Böswillige Kritiker mögen Chatzimarkakis’ Idee für eine typische Ausgeburt des Sommerlochs halten. Aus dem kroch in vergangenen Jahren schon so manche fragwürdige Schlagzeile: Nummernschilder für Fahrräder (2009), die FastFood-Abgabe auf Currywurst & Co. (2004) oder der Klassiker aller politischen Rohrkrepierer von 1993, als der CSU-Bundestagsabgeordnete Dionys Jobst vorschlug, die Bundesrepublik könne den Spaniern Mallorca abkaufen und sich als 17. Bundesland einverleiben – für 50 Milliarden Mark.
Doch seit der Finanzkrise von 2008 klingen auch ungewöhnliche Ideen zur Ankurbelung der europäischen Konjunktur auf einmal gar nicht mehr so verrückt, wie sie zuerst erscheinen. Und Milliardenbeträge gehören seitdem zum kleinen Einmaleins der Krisenpolitik.

Stunde der ausgefallenen Ideen

Der US-Ökonom Nouriel Roubini forderte in der Bild-Zeitung, die deutsche Regierung solle am besten gleich jedem deutschen Haushalt einen 1000-Euro-Reisegutschein schenken, zum ausschließlichen Gebrauch „für Urlaub in den Krisenländern“. Außerdem schlug Roubini Steuerzuschüsse für alle vor, die sich in den Südländern eine Ferienimmobilie kaufen.
Abwrackprämien, Schuldenbremsen, Rettungsschirme – angesichts der Milliardenbeträge, mit denen die Krisenmanager der EU-Staaten hantieren, scheint eine staatliche Urlaubsprämie vergleichsweise harmlos. Sie würde nicht nur ausgebrannten Arbeitnehmern hierzulande eine Atempause ermöglichen. Sie würde auch der griechischen Tourismusindustrie helfen – dem einzigen Wirtschaftszweig in dem bankrotten Land, der nach wie vor auf einer soliden Grundlage steht: Sonne, Sand und Meer.
Fast jeder fünfte Grieche verdankt seinen Arbeitsplatz dem Tourismus. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat errechnet, dass Urlauber im vergangenen Jahr 10,5 Milliarden Euro in Griechenland ausgegeben und damit gut fünf Prozent zum griechischen Bruttoinlandsprodukt beigetragen haben. Nicht anders in Spanien, Italien und Portugal.
„Mehr Gäste wären gerade für die südeuropäischen Krisenländer wichtig“, erklärt IW-Chef Michael Grömling, „denn deren Wirtschaft kann jeden Euro gebrauchen.“
Krisenland – vor einem Jahr verband man mit dem Begriff noch Urlaubsziele wie Ägypten und Tunesien. Als dort der Arabische Frühling ausbrach und die Menschen auf dem Tahrirplatz in Kairo demonstrierten, profitierten vor allem die Badestrände in Spanien und Griechenland von den Unruhen in Nordafrika und verzeichneten einen Zuwachs von bis zu zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Doch jetzt sind sie selbst zu Krisengebieten geworden. Während die hohe Politik in Brüssel schon über ein Kern- und ein Resteuropa verhandelt, treffen an den Mittelmeerstränden die Vertreter einer europäischen Zweiklassengesellschaft aufeinander. Oder eben nicht. Braun gebrannt am Krisenstrand? Spaß haben, wo andere sparen müssen? Ein schlechtes Gewissen hat man als Urlauber nicht gern im Gepäck. Bei manchem deutschen Touristen herrscht die Angst, dass man als Sparmeister Europas nicht länger willkommen ist.

Ungewöhnliche Sorgen

In diesen Tagen haben Reiseveranstalter mit vielen Anfragen besorgter Kunden zu tun. Was passiert, wenn die Griechen mitten im Urlaub aus der Währungsunion aussteigen? Markus Bruchmüller, Deutschlandmanager des Reiseveranstalters TUI, empfiehlt verunsicherten Touristen: „Urlauber, die sich selbst versorgen und etwas auf eigene Faust unternehmen, sollten etwas mehr Euro-Bargeld mitnehmen.“
Das Risiko aber wollen viele Touristen offensichtlich nicht auf sich nehmen. In Spanien gingen die Übernachtungszahlen um ein Drittel zurück. Viele Urlauber kommen kürzer und versorgen sich selbst: Die einheimischen Gasthöfe bleiben leer. Auch die Griechen haben mit drastischen Einbußen zu kämpfen, daran konnten selbst Last-Minute-Schnäppchen nichts ändern.
Bei den Reiseveranstaltern Thomas Cook und Alltours brach das Griechenland-Geschäft in der ersten Jahreshälfte 2012 ein. Michael Tenzer, Touristik-Geschäftsführer von Thomas Cook, sagte der Wirtschaftszeitung Euro am Sonntag: „In der deutschen Reisebranche lagen die Buchungszahlen für Urlaub in Griechenland bis Anfang der Sommersaison um 30 Prozent unter dem Vorjahr.“
Für Alltours-Chef Willi Verhuven ist die Lage schlicht „dramatisch“ – und das trotz Preisnachlässen von bis zu 30 Prozent. „Die Deutschen lassen sich offenbar von einigen radikalen Demonstranten und extremistischen Politikern in Athen abschrecken“, sagte Verhuven der Wirtschaftswoche. Doch die Angst sei unbegründet: Kreta, Rhodos, Korfu sind friedlich wie eh und je.
Auch TUI-Chef Bruchmüller beschwichtigt: „Von unseren Partnern vor Ort wissen wir, dass die Hoteliers und alle, die vom Tourismus im Lande abhängig sind, deutsche Urlaubsgäste mit offenen Armen empfangen.“ Krisengewinnler sind Länder wie die Türkei und Kroatien, aber auch Polen, Slowenien und Russland.
Dabei sind gerade die deutschen Urlauber wichtig für die Griechen, und Griechenland ist wichtig für deutsche Tourismusunternehmen. Noch 2011 kamen zweieinhalb Millionen deutsche Touristen nach Griechenland – mehr als aus allen anderen Ländern.
Aber die von der Tourismusindustrie genährte Hoffnung auf günstige Last-Minute-Angebote sorgt dafür, dass aktuelle politische Ereignisse wie Demonstrationen in Athen schon kurzfristig zu massiven Buchungsrückgängen führen können, weil die Urlauber sich spontan doch noch anders entscheiden.
Das ist nicht schwer, denn die Deutschen fahren Marktstudien zufolge zwar noch genauso oft in Urlaub wie eh und je. Aber sie entscheiden immer kurzfristiger, wohin die Reise gehen soll. Für Reiseunternehmen wie TUI, Alltours oder Thomas Cook ein Problem: Sie planen langfristig.
Allein TUI bringt jeden dritten Urlauber nach Griechenland und hat das dortige Angebot für 2012 um 39 Hotels erweitert. Die Investitionen müssen sich auszahlen. Das tun sie nicht, wenn die Gäste ausbleiben. Als Demonstranten in Athen auch deutsche Fahnen anzündeten, „war erst mal Stillstand“, sagt ein TUI-Manager. Die Bilder gingen um die Welt und mancher Bundesbürger änderte seine Reisepläne.
Menschen wie der Reiseleiter Iannis auf Rhodos bekommen das als Erste zu spüren. „Wir fühlen uns vom Staat verlassen“, klagte der Fremdenführer in der Süddeutschen Zeitung. „Wir sind nicht die Gauner Europas. Die Krankheit ist der Staat. Die Politiker müssen bestraft werden, die uns so lange etwas genommen haben.“
Tatsächlich tobt in Griechenland längst ein ordnungspolitischer Bürgerkrieg, und der Reiseführer Iannis ist nicht allein in seiner Verbitterung über die Verhältnisse, die ja auch in Spanien, Portugal und Italien nicht viel besser sind.
Die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds und die EU-Kommission mögen als Zuchtmeister auftreten. Dass sich die Wut der Hellenen aber weniger gegen die Deutschen als gegen die eigene Regierung richtet, bestätigt der Tourismusmanager Nikos Sofos auf Kos: „Es sind mehr griechische Fahnen in Athen verbrannt worden als deutsche.“

Vom Staat verlassen

„Wir haben Fehler gemacht, viele Fehler“, gesteht auch der Hotelier Andonis Cambourakis auf Rhodos: „Wenn es dafür eine Todesstrafe gibt, dann erschießt uns. Wenn Europa wie eine Schule ist, dann bestraft uns.“ Aber die Gäste, die jetzt nicht mehr kommen, die seien nicht schuld: „Unser Problem ist nicht der Tourist, unser Problem sind die Medien, die sagen, Griechenland sei ein unsicheres Ziel.“
Immerhin: Der Wahlsieg der Euro-Befürworter in Athen hat dafür gesorgt, dass die Buchungen für Griechenland in den letzten Wochen wieder ein wenig angestiegen sind. Die Reiseveranstalter helfen mit Rabatten von bis zu 30 Prozent nach. So viel gibt es sonst nur für Reisen nach Ägypten, wo sich die frisch in die Regierung gewählte Muslimbruderschaft gerade mit der Armee anlegt.
Vielleicht bekommen die Griechen also im Sommer 2012 noch eine zweite Chance. Schließlich ist ihre Gastfreundschaft so legendär wie ihre Lebenskunst. Die hat den hellenischen Staat zwar erst in die Krise geführt, könnte seinen Einwohnern aber auch bei der Bewältigung derselben helfen.
„Wir Griechen tanzen und singen auch unsere Trauer aus uns heraus“, erklärt der Fremdenführer Iannis dem deutschen Reporter und klingt da schon fast ein bisschen wie der Nationalheld des modernen Griechenland, jener Alexis Sorbas, den Anthony Quinn im gleichnamigen Film sagen lässt: „Ein Mann muss ein kleines bisschen wahnsinnig sein, damit er die Courage hat, das zu tun, was er tun will.“
Eine Portion Wahnsinn und Courage – diese Kombination dürfte im europäischen Krisensommer nicht nur in Athen hilfreich sein.

Malte Herwig
Dr. Malte Herwig ist Reporter und Autor. Zuletzt erschien „Die Frau, die Nein sagt. Rebellin, Muse, Malerin - Françoise Gilot über ihr Leben mit und ohne Picasso “ (Ankerherz Verlag 2015). Für das Rotary Magazin befragt er regelmäßig Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft.  malteherwig.com