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Erkenntnisse aus der Generali-Altersstudie 2013

Die Alten geben mehr als sie nehmen

Die Alten und Älteren sind eine für die Zukunftssicherung der Gesellschaft ungemein wichtige, bisher zu oft vernachlässigte, in ihrem Handlungswillen zu wenig berücksichtigte Zielgruppe.

Henning von Vieregge12.02.2013

Zwei Altersbilder konkurrieren in den Medien und wahrscheinlich auch in unseren Köpfen: Alte Menschen sind arm, krank und hilfebedürftig. Alte Menschen sind reich, fit und egoistisch. Auch wer sagt, beides stimme, erfasst damit nicht die ganze Realität. Eine große Gruppe älterer Menschen ist nämlich finanziell ziemlich gut gesichert, (relativ) gesund und keineswegs nur auf das eigene Wohlergehen bedacht. Diese Menschen helfen materiell und mit teilweise bedeutendem Zeiteinsatz innerhalb der eigenen Familie, aber auch Dritten. Damit sind sie keineswegs Exoten. In einem 2008 in Bayern im Auftrag des damaligen Ministerpräsidenten Günter Beckstein durchgeführten Bürgergutachten wurde gefragt, wie die Herausforderungen der künftigen Bevölkerungsentwicklung in Bayern gemeistert werden sollten. Mit Vorsprung auf Platz 1 von 15 Nennungen gaben die befragten Bürger als Antwort „Generationsübergreifendes Zusammenleben und -arbeiten.“

Dass die Älteren und Alten hierzu ihren Beitrag leisten, zeigt die vor wenigen Wochen vorgelegte Generali Altersstudie 2013, eine von Allensbach durchgeführte, repräsentative Umfrage unter 65 bis 85-Jährigen. Sie ist keine Eintagsfliege, sondern tritt mit dem Anspruch an, Gegenstück zur seit Jahren eingeführten Shell-Jugendstudie zu sein, mit Fortsetzung ebenfalls im vierjährigen Turnus. Das kann man nur begrüßen. Fast 600 Seiten umfasst der Bericht in Buchform. Befragt wurden Themen wie Lebenszufriedenheit, materielle Lebensverhältnisse, Wohnsituation, Mediennutzung, persönliche Netzwerke, Gesundheit, Pflege, Erwartungen an staatliche und gesellschaftliche Akteure und bürgerschaftliches Engagement. Man erfährt, „wie ältere Menschen leben, denken und sich engagieren“, so der zutreffende Untertitel der Studie.

Generationenzusammenhalt

 Der Dortmunder Gerontologe Gerhard Naegele stellt mit Blick auf die Transfers an Geld und Zeit zwischen den Generationen die These auf, der große Generationenvertrag „wirkt positiv und stabilisierend auf den kleinen Generationenvertrag zurück.“ Im Klartext: Die Jungen zahlen mit ihren Beiträgen in die Rentenversicherungen die Alterseinkommen der Älteren (großer Generationenvertrag). Diese geben in Form von Geld und Zeit einen Teil zurück (kleiner Generationenvertrag). Naegele bezieht sich mit seiner Aussage auf die Ergebnisse der Generali Altersstudie. Allensbach hat den monetären Transfer Alt (65 bis 95) zu Jung auf 9,7 Mrd. Euro jährlich hochgerechnet. Zugrunde liegt ein Wert von 157 Euro monatlich der Eltern, die ihre Kinder regelmäßig unterstützen; das sind mehr als ein Drittel (38 Prozent). Der monetäre Transfer dürfte aber deutlich höher liegen. Hinzu kommen jene Eltern, die bei finanziellen Schwierigkeiten ihrer Kinder einspringen (37 Prozent) oder bei größeren Anschaffungen unterstützen (30 Prozent bei Mehrfachnennungen). Umgekehrt liegen die Zahlen deutlich niedriger: Drei Prozent regelmäßige Hilfe, fünf Prozent bei Schwierigkeit, fünf Prozent bei größeren Anschaffungen durch die Jungen an die Alten.

Hinzu kommt die Zeitinvestition. Sie liegt im Durchschnitt bei 15 Stunden im Monat. Allensbach rechnet vor, dass bei einer Grundgesamtheit von 15,25 Millionen 65 bis 85-Jährigen 2,4 Milliarden Stunden pro Jahr an familialer Zeithilfe durch die ältere Generation geleistet wird, was umgerechnet für 1,4 Millionen Vollzeitstellen steht. Umgekehrt helfen Kinder ihren Eltern vor allem bei kleineren Arbeiten und Reparaturen im Haushalt oder bei der Erledigung von Besorgungen. Man kann zusammenfassend vermuten, dass die Älteren in der Regel bis ins hohe Alter mehr geben als nehmen, weil sie es können und wollen.

Bürgerengagement

Nimmt man noch die Antworten zum Generationenverhältnis prinzipiell und zu generationsspezifischen Wertvorstellungen mit in den Blick, so lässt sich das Fazit der Autoren der Studie nachvollziehen. Es lautet: „Die Generationen innerhalb einer Familie haben ein beeindruckend gutes Verhältnis, das sich sowohl aus der vielfältigen gegenseitigen Unterstützung im Alltag, des Füreinandereinstehens in schwierigen Lagen sowie schließlich des allgemein engen emotionalen Zusammenhalts innerhalb der Familien manifestiert.“

Jahrelang galt auf der Grundlage der Freiwilligensurveys, die das Bundesfamilienministerium im Abstand von fünf Jahren, zuletzt 2009, durchgeführt hat, die Drittel-Formel: Ein gutes Drittel der Bevölkerung (36 Prozent) ist engagiert, ein weiteres Drittel ansprechbar, ein drittes Drittel verschlossen. Für die Älteren (65–74) gehen diese Umfragen von gegenüber dem Durchschnitt etwas niedrigerer, aber in den drei Befragungswellen angestiegener Beteiligung aus (1999: 26 Prozent, 2004:31 Prozent, 2009: 33 Prozent). Die Generali-Altersstudie 2013 kommt nun zu einer deutlich höheren Beteiligungsquote von 45 Prozent, obwohl auch die 75- bis 85-Jährigen in diese Befragung einbezogen wurden. Entscheidend für die Quote ist die Begrifflichkeit. Gefragt wurde nicht nach klassischem Ehrenamt, sondern nach Eingagement außerhalb der Familie. In jedem Fall ist Bürgerengagement von drei Faktoren abhängig: Einkommen, Bildung und Gesundheit. Gesundheit scheint ein besonders wichtiger Faktor zu sein. Hier sollte vertiefende Forschung ansetzen.

Um- und hochgerechnet steht der freiwillige Zeiteinsatz der Älteren für 870.000 Vollzeitbeschäftigte, der Spendenumfang 1,2 Mrd. Euro für die Gruppe der 65 bis 85-Jährigen.

Belegt wird, wie beim Freiwilligensurvey auch, dass Bürgerengagement deutlich steigerbar ist, sowohl unter bisher nicht engagierten als auch unter schon engagierten älteren Bürgern. Übrigens ist jeder zweite der Engagierten Neueinsteiger im Alter, ein überraschendes und erfreuliches Ergebnis. Überraschend, weil bisher davon ausgegangen wurde, Engagement müsse unbedingt früh beginnen. Aber auch hier, wie beim Lernen überhaupt, gilt: Hans kann noch lernen, was Hänschen versäumte. Das Potential liegt nach Allensbacher Berechnung in der Währung „Vollzeitstelle“ bei 510.000. Würde man es erschließen, würden die Älteren in etwa gleich viel Zeit in Familien- und Gesellschaftseinsatz investieren. Die Preisfrage lautet: Wie aber kann das geschehen? Die Frage muss sich jeder selber beantworten. Die Andockpunkte für gesellschaftliches Engagement sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen, zum einen aus Ressourcenknappheit, zum anderen, weil gute Beispiele anstecken und Institutionen wie Schulen, Altersheime öffnen, auch dank Vermittlungsstellen wie Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros, Mehrgenerationenhäuser, insgesamt mehr als 2000 bundesweit, also für jeden Suchenden erreichbar. Auch bilden sich immer neue Initiativen, immer mehr Bürger werden Sozialunternehmer. Aber, das zeigt die Umfrage: Immer noch bleiben Wünsche nach Mittun unerfüllt. Die persönliche Ansprache ist der Schlüssel zur Verstärkung (37 Prozent der Engagierten) und erst recht zur Aufnahme von Engagement. Fast jeder Zweite der bisher nicht engagierten Bürger wünscht sich dies. Eine entscheidende Triebfeder zum Engagement ist der Wunsch nach Mitgestaltung. 32 Prozent der Befragten sehen „die Verantwortung für die künftige Entwicklung der Gesellschaft vor allem als Aufgabe der jüngeren Generation an, 57 Prozent widersprechen dieser Sichtweise und sehen die Verantwortung auch bei der eigenen, älteren Generation“.

Solche Ergebnisse sind wichtige Impulse für alle diejenigen, die – bezahlt oder unbezahlt – die entstehende Bürgergesellschaft weiter ausbauen möchten. Es lässt sich konstatieren: Die Alten und Älteren sind eine für den Zusammenhalt und die Zukunftssicherung der Gesellschaft ungemein wichtige, bisher zu oft aufgrund überkommener Altersbilder vernachlässigte, in ihrem Handlungswillen zu wenig berücksichtigte Zielgruppe. Innerhalb der Älteren findet sich eine starke Gruppe, die man als „soziale Leistungsträger der Gesellschaft“ charakterisieren kann. Sie sorgen in Familie und Gesellschaft für Zusammenhalt und treiben den Wandel hin zu einem besseren Miteinander der Generationen mit ihrem je unterschiedlichem Mix aus individuellen, familialen und gesellschaftsbezogenen Lebensanteilen voran. Sie vedienen mehr Respekt – und mehr Unterstützung.


Buch-Tipp

Generali Altersstudie 2013. Wie ältere Menschen leben, denken und sich engagieren.
Generali Zukunftsfonds (Hrsg.) und Institut für Demoskopie Allensbach.
Fischer Taschenbuchverlag 2012, 592 Seiten.