Gedanken zur Weihnacht
„Die Krippe und das Kreuz sind aus einem Holz“
Weihnachten vor 15 Jahren. Im Zimmer 574 der Sankt-Elisabeth-Klinik Saarlouis liegt eine krebskranke Frau, 45 Jahre jung. Am Morgen von Heiligabend sagt der Arzt ihrem Ehemann, dass sie das Krankenhaus nicht mehr verlassen wird. Die beiden erleben gemeinsam die Übertragung der Christmette aus der Klinik-Kapelle im Fernsehen. Am ersten Weihnachtsfeiertag fällt die Kranke ins Koma, am zweiten schläft sie ein. Das Fest der Liebe und der Lichter wird zum Karfreitag. Von Weihnachtsfreude oder gar österlicher Hoffnung keine Spur. Karfreitag eben.
Diese Szenen haben das reale Leben und der reale Tod geschrieben. „Es ist ein Ros entsprungen“: Über Nacht hat sich auf die Weihnachtsblüte der Raureif des Karfreitags gesenkt. Und jetzt ist wieder Heiligabend. Über dem auch diesmal noch ein Hauch von Karfreitag liegt. Doch am Horizont steht schon Zuversicht. Die Einsicht wächst, dass Weihnachten, Karfreitag und Ostern untrennbar zusammengehören, dass Geburt, Tod und Leben eine Einheit bilden. Die Krippe und das Kreuz sind aus einem Holze geschnitzt. Auch wenn unsere Zeit die Wirklichkeit so gerne in Schubladen aufteilt: Hier das Gute und Schöne, dort das Böse und Hässliche; hier Gesundheit und pralles Leben, dort Ängste, Schmerzen, Krankheit, Tod. Und nur die einen steh’n im Licht ... Ein Theologe (wer sonst?) hat einmal diese provozierende Frage gestellt: „Ist, wer Weihnachten feiert, Christ? – Feiert, wer Christ ist, Weihnachten?“ In der Erwartung, dass die Antwort ein „Nein“ ist – aus Protest gegen Konsum-Reigen, Geschenke-Fetischismus und Besinnlichkeitsberieselung zum schönsten, ehrwürdigsten und volkstümlichsten aller deutschen Feste. Meine heutige Antwort auf die tückische Theologen-Frage ist aber ein entschiedenes „Ja“ – wenn die Verbindung von Weihnachten zu Karfreitag und Ostern gesucht wird. Wenn Heiligabend nicht isoliert gesehen wird und dabei an rührselige Hollywood-Filme von früher erinnert. Wenn aber Weihnachten mit Karfreitag und Ostern zusammenhängt, warum dann nicht in diesen Tagen im Neuen Testament einen Text lesen, der nicht den Stern von Bethlehem oder die Hirten auf dem Felde besingt? Nach der Überlieferung des Johannes-Evangeliums hat sich der Rabbi Jesus im Angesicht des Todes seines Freundes Lazarus der Tränen nicht geschämt. Und zu dessen Schwester Martha gesagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er sterben muss. Und jeder, der da lebt im Glauben an mich, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst Du das?“ Wenn diese Jesus-Worte zitiert werden, wird auch von modernen Schrift-Gelehrten die herausfordernde Frage „Glaubst Du das?“ oft ausgelassen. Dabei steht sie im Mittelpunkt der christlichen Botschaft. Unsere Vorstellungen über das Geschehen nach dem Tod bleiben sicher nur vertraut klingende, aber letztlich hilflose Versuche. In Wahrheit wird wirklich alles ganz anders sein, weil „keines Menschen Ohr und keines Menschen Auge“ es je wahrgenommen haben. Kardinal Michael von Faulhaber hat seine persönliche Antwort auf die Glaubensfrage von Jesus in dieses Bild gekleidet: „Sterben ist kein ewiges Getrenntwerden. Es gibt ein Wiedersehen an einem helleren Tag.“ Diese Sätze waren auch auf einer Grußkarte abgedruckt, die ein Freund geschickt hat: Ehrliche Worte der Zuwendung, die aus dem Herzen kommen, helfen noch am stärksten, schwarze Karfreitags-Wolken in Zeiten der Niedergeschlagenheit zu lichten oder irgendwann einmal sogar zu vertreiben. Aber auch Stille, Schweigen, Sprachlosigkeit sind gute Begleiter in dunklen Stunden.
Ist es ein Zufall, wenn das schönste deutsche Weihnachtslied, das die Welt erobert hat und in der Interpretation einer Mahalia Jackson erschaudern lässt, die „Stille Nacht“ als „Heilige Nacht“ preist? Als Zeit, die Heil bringt, die heilt? Tut uns allen nicht manchmal ein Innehalten in einer Welt der Hektik und der Kälte gut? Um vielleicht darüber nachzudenken, ob „der da oben“ über das Kind in der Krippe das Signal gegeben hat, dass wir nicht allein sind, so einsam wir uns fühlen mögen. Dass wir aufgefangen werden, wenn wir uns nur auffangen lassen. Die Theologie drückt diese Zuwendung, die Geborgenheit bringt, so aus: „Gott ist Mensch geworden.“
Warum schreibe ich diese persönlichen Gedanken und schweige nicht besser zum Tabu Tod, wenigstens zu Weihnachten? Weil es auch an Heiligabend 2012 zahllose Frauen, Männer und Kinder gibt, bei denen Schatten über dem Fest der Lichter liegen. Und weil auch sie sich aufgefangen fühlen können. Denn das Licht, das von Bethlehem ausgegangen ist, bricht sich selbst durch die Wolken und das Dunkel des Karfreitags seine Bahn und kündigt neues Leben an, das von Gott aus geboren wird. In diesem Sinne: Gesegnete Weihnachten!
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