editorial
Ein schicksalhaftes Verhältnis
Johann Michael Möller über unser Verhältnis zu Russland und mehr
Es ist noch einmal gut gegangen, könnte man im Sinne der berühmten Kölner Lebensregel über die jüngste Syrienkrise sagen und die scharfe Reaktion der Westmächte auf den wahrscheinlichen Giftgaseinsatz. Das Säbelrasseln war gewaltig. Aber die politischen Sicherungen haben gehalten, und am Ende hat das rationale Kalkül obsiegt. So könnte das Fazit des begrenzten Militärschlags Mitte April wohl lauten. Zwischen dem amerikanischen Präsidenten und seinen tödlichen Waffen stand eben noch ein erfahrener Militär wie James Mattis. Das ist die beruhigende Botschaft dieser Tage, und sie scheint nicht nur für Donald Trump zu gelten, sondern auch für Wladimir Putin: Noch wissen sie alle, wo die roten Linien tatsächlich verlaufen. Und der Einsatz von Giftgas ist eine davon.
Aber es gibt auch eine schlechte Botschaft. Überdeutlich hat sich gezeigt, wie fragil die internationalen Beziehungen geworden sind – und wie labil die handelnden Personen. Fast überall geht es nur noch um Innenpolitik. Die schwer angeschlagene Theresa May kämpft ums politische Überleben, Putin braucht den Wagenburgeffekt, Trump will vor heimischer Kulisse imponieren und Macron möchte sein Land wieder zur Führungsnation erheben. Derweil kämpft die deutsche Kanzlerin mit den Startproblemen ihrer Koalition. Während die Welt bebt, trifft sich das Bundeskabinett in Meseberg. Wohin aber zielt die diplomatische Offensive, die jetzt lautstark gefordert wird? Und wo bleibt eine deutsche Ostpolitik, die diesen Namen verdient? Aber wer soll sie auch formulieren, wenn man den Außenminister zum Lehrberuf macht und den Russlandbeauftragten gleich mit dazu? Dabei hätten wir Deutschen allen Grund, unsere Beziehungen zu Russland zu pflegen. Jetzt rächt es sich, dass es uns in all den Jahren nach dem Mauerfall nicht gelungen ist, die Zivilgesellschaften beider Länder einander näherzubringen, trotz vieler Städtepartnerschaften und einem regen deutsch-russischen Jugendaustausch. Das wäre jetzt das Fundament für eine erfolgreiche Diplomatie: dass wir viel mehr voneinander wissen und Land und Leute nicht mit der Regierung verwechseln.
Wer heute durch Russland reist, wird ein Land entdecken, das bunter und vielfältiger ist als es uns die meisten, noch immer auf den Kreml fixierten Berichte vermitteln. Viele junge Russen sind längst in der freien Welt angekommen. Sie haben sich dem Westen zugewandt voller Hoffnungen und Erwartungen – und fühlen sich heute doch zurückgestoßen von dieser westlichen Welt. Denn für diese sind sie Fremde geblieben. Das ist die menschliche Seite dieser weltpolitischen Tragödie, und sie fordert mehr denn je unser persönliches Engagement. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen sind die Zivilgesellschaften gefordert. Denn wo Menschen sich kennen und einander vertrauen, hat die Machtpolitik kein ganz so leichtes Spiel.
In diesem Sinne widmen sich die Beiträge im aktuellen Magazin einem wichtigen Partner – und unserem schicksalhaften Verhältnis zu ihm.
Es grüßt Sie herzlichst Ihr
Johann Michael Möller
Herausgeber
© Antje Berghäuser rotarymagazin.de
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