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Weinlese des RC Ulm mit den elsässischen Freunden vom RC Sélestat. Die beiden Clubs sind seit fast 60 Jahren freundschaftlich verbunden – nicht nur auf dem Papier. © privat (alle)

...doch in vielen Clubs mit ausländischen Partnern lässt das Interesse aneinander immer stärker nach.

Matthias Schütt01.06.2018

Spricht man mit Experten des Internationalen Dienstes bei Rotary, muss man auf Ernüchterung gefasst sein. Zumindest was die Situation in Deutschland angeht. Past-Gov. Gerhard Lintner, der das Ressort im Deutschen Governorrat vertritt, malt ein düsteres Bild, wenn er vorrechnet, dass in manchen Distrikten nur gerade 50 Prozent der Clubs ein Partnerschaftsverhältnis mit einem ausländischen Club haben und die Präsenz deutscher Freunde auf internationalen Veranstaltungen notorisch dürftig ausfällt. Seine Zwischenbilanz im Rotary Magazin 4/2017 war entsprechend deutlich: „International? Von wegen!“

Das Bild wird auch von anderer Seite nicht schöner: So spendenfreudig die deutschen Rotarier auftreten, bei internationalen Projekten in Zusammenarbeit mit der Rotary Foundation (Global Grants) bleiben wir weit unter unseren Möglichkeiten: 2017 waren deutsche Clubs gerade einmal mit 4,4 Prozent an den 1260 Global Grants beteiligt, in absoluten Zahlen waren das 55. Bei insgesamt 1082 Clubs in Deutschland ist gerade mal einer unter zwanzig bereit beziehungsweise in der Lage, die beträchtlichen Zuschüsse der Rotary Foundation für ein eigenes Projekt zu nutzen.    

1258 ausländische Partner

Man sollte es nicht glauben: Das Land der langjährigen Reiseweltmeister versagt auf internationalem Parkett. Dabei verzeichnet der Rotary Verlag für 2017 immer noch 1258 Kontaktverhältnisse, zu weit über 90 Prozent in Europa. Doch viele dieser Partnerschaften, die einmal fester Bestandteil der Clubkultur waren und vielen Mitgliedern nicht nur neue Horizonte, sondern auch persönliche Freundschaften brachten, verfallen in Routine und trocknen allmählich aus. Man kennt sich und die Sehenswürdigkeiten des anderen zur Genüge, die Besuchsabläufe sind eingespielt, Neues ist nicht in Sicht. Oder wie Gov. elect Udo Noack die Problemlage umreißt: „Die Alten können nicht mehr reisen und die Jungen wollen nicht.“ Wobei – das sei hier schon verraten – es auch in vermeintlich eingeschlafenen Partnerschaften neue Impulse geben kann, wie es in Noacks eigenem Club Hildesheim-Rosenstock gerade die jüngere Fraktion erprobt.

Der negative Trend wird auch von den Beauftragten der österreichischen Dis­trikte 1910 und 1920 bestätigt. Dabei müsste schwindendes Interesse der Partner zunächst kein Anlass zur Besorgnis sein, man könnte es sogar als gutes Zeichen deuten. Denn die Kontaktverhältnisse waren einmal von enormer politischer Bedeutung, als es nach Krieg und Wiederaufbau darum ging, nicht nur miteinander auszukommen, sondern ein gemeinsames europäisches Haus zu bauen. Mit beträchtlicher Dynamik hat dieser Gemeinschaftsimpuls zu 321 Kontaktverhältnissen allein mit Frankreich geführt.

Man hat sich arrangiert …

Wenn man heute nichts Neues mehr erwartet, darf man vermuten, dass man sich (gut) arrangiert hat. Die Dringlichkeit, sich persönlich einzubringen, ist nicht mehr wie früher gegeben. Andererseits: Die neuen nationalistischen Bewegungen gerade auch in Deutschland und Frankreich geben schon zu denken, ob das gemeinsame europäische Haus tatsächlich so stabil steht, wie wir glauben möchten.

Erfahrene Rotarier raten einerseits zu Gelassenheit und andererseits zu kreativer Neuorientierung. Kontaktverhältnisse unterliegen einer „Wellenbewegung“, die durchaus normal sei. „Es gibt Phasen, in denen ein Club sich stärker mit sich selbst beschäftigen will oder andere Schwerpunkte setzt“, weiß Past-Governor Paul Jankowitsch (RC Baden), der auch Beispiele kennt, wo sich Partnerclubs ganz friedlich wieder getrennt haben, weil etwa die Aufnahme von Frauen nach Auffassung einiger Rotarier ein Ungleichgewicht in das Kontaktverhältnis gebracht habe.

Dennoch sollte man nicht vorschnell kündigen, sondern Durststrecken überbrücken. Wenn es gewachsene persönliche Bindungen gibt, sollte das möglich sein. Denn Kontaktverhältnisse sind wertvoll, weit über die formale Beziehung hinaus. Sie sind die naheliegende und oft auch einzige Verbindung eines Clubmitglieds in das weltweite Netzwerk. International ist nicht zufällig Rotarys Nachname; ohne diese Dimension fehlt der Mitgliedschaft eine entscheidende Facette.

Ein Mehrwert für Dritte

Mit dem fehlenden internationalen Bewusstsein gerät aber noch ein zweites Kernelement rotarischen Selbstverständnisses ins Rutschen: die Hilfe für Menschen in den benachteiligten Regionen der Welt. Die verschiedenen Überlegungen, wie man Clubs zu Partnerschaften motiviert, zielen denn auch auf die größere Aufgabe, einen substanziellen Beitrag zum humanitären Auftrag der Rotarier zu leisten. Ein Mehrwert für Dritte, die Verbindung von Kontaktverhältnissen und internationalen Projekten, ist auch deswegen naheliegend, weil Jüngeren heute kaum vermittelbar sein dürfte, warum man weite Wege nur zum Sightseeing und Feiern auf sich nehmen sollte.

Junge Clubs gehen da ganz anders ran. Wie die Initiative „B Active“, in der sich mehrere Clubs mit dem Anfangsbuchstaben B – darunter Berlin-Global eClub, Bor/Serbien, Bern und Belgrad – zusammengefunden haben. Beim ersten Treffen 2017 in Berlin sortierten und putzten die Teilnehmer gemeinsam Lebensmittel für die Berliner Tafel. Dieses Jahr wurden in Bor Bäume gepflanzt. Zeit zum Feiern blieb natürlich auch. Zwei weitere B-Clubs – Berlin-Pankow und Bern-Kirchenfeld – wollen ebenfalls mehr als eine formale Vereinbarung. Sie haben beide gescheiterte Partnerschaften hinter sich und deshalb die neue Zusammenarbeit von vornherein befristet: Zunächst drei Jahre soll eine ­Pilotphase dauern, in der man sich gegenseitig bei Clubprojekten unterstützen will. Ziel jedoch sind gemeinsame Projekte: „Wir sind überzeugt, dass eine Freundschaft wachsen muss, um dann auch gemeinsame Projekte zu stemmen“, heißt es im Konzeptpapier der beiden Clubs.

Der Eindruck, gemeinsame Projekte seien eine brandneue Erkenntnis, wäre jedoch falsch. Sie gehören oft bereits seit vielen Jahren zum Programm von Partnerclubs, etwa zwischen Sélestat (Frankreich) und Ulm. Seit 60 Jahren sind die Clubs bereits Partner und seit zehn Jahren auch in einem schönen Projekt verbunden: dem jährlichen gemeinsamen  Herbstwochenende mit Partnern und Kindern zur Riesling-Lese im Elsass.  

Doch das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Wenn aber der eigene Kirchturm zum Nabel der rotarischen Welt wird, sind Vordenker gefragt mit Ideen, wie man die Clubs zu stärkerem internationalem Engagement führt. Ein Ansatzpunkt ist es, die oft ins Feld geführte Scheu vor dem Antragsverfahren für Global Grants zu nehmen. Dazu hat der in Foundation-Dingen versierte Peter Enderle, RC Wiesbaden, eine interessante Idee: Nachbarclubs entwickeln Projekte gemeinsam. Konkret: Nutzen wir doch die kleine Struktur der von den Assistant Governors geführten Unterdistrikte mit ihren 10 bis 15 Clubs, um die Zusammenarbeit bei Global Grants zu fördern! Dann verteilt sich auch die finanzielle Belastung von den obligatorischen 15.000 Dollar Minimum-Clubbeitrag für ein Global-Grant-Projekt. In seinem Club wird das auf Stadtebene mit dem „Wiesbadener Modell“ (vier Clubs finanzieren jedes Jahr bei wechselndem Vorschlagsrecht ein gemeinsames Global Grant) bereits seit mehreren Jahren umgesetzt.

 

Das Reha-Zentrum DETSTWO in Königsberg (Kaliningrad) wurde in einem Projekt der
Clubs Berlin-Schloss Köpenick und Königsberg mit einem neuen Spielplatz speziell für
Kinder mit erhöhtem Förderbedarf ausgestattet.

Duale Ausbildung für Afrika

Eine Ebene höher setzt Bernhard Baumgartner aus dem Distrikt 1920 an, der gemeinsam mit dem österreichischen Nachbardistrikt 1910 ein mehrjähriges Afrika-Projekt aufbauen will. „Wir wollen über die kleinen, eher zufälligen Hilfsprojekte hier und dort hinauskommen und ein großes nachhaltiges gestalten. Und zwar indem wir unser bewährtes duales Ausbildungssystem nach Afrika exportieren und den jungen Menschen dort zu einer soliden Zukunftsperspektive verhelfen.“ Er rechnet mit 15 bis 20 Clubs aus beiden Distrikten, die sich beteiligen werden, nicht nur mit Geld, sondern auch mit dem Know-how ihrer Clubmitglieder. Ähnliche Ideen schweben seinem Governor-Kollegen Wernt Brewitz (RC Salzgitter-Wolfenbüttel-Vorharz) vor, der sich Partnerschaften zwischen deutschen und afrikanischen Distrikten vorstellen kann. Zwischen den USA und Südafrika sei so etwas bereits im Werden.

Past-Governor Bernhard Maisch (RC Marburg) schließlich sieht eine Schlüsselrolle bei den Länderausschüssen, die für ihn „die Stiefkinder Rotarys“ sind: Sie haben Wissen, aber kein Geld und nur wenig Einfluss. „Wenn wir mehr Clubs für Global Grants gewinnen wollen, reichen Appelle nicht aus. Wir brauchen Initiativen, die die Clubs zum Einsteigen motivieren. Deshalb wäre es sinnvoll, den Länderausschüssen ein eigenes Antragsrecht auf Global Grants zu geben, dann fällt Clubs das Mitmachen leichter. Die bürokratische Hürde wäre jedenfalls schon mal genommen.“

Die in den Länderausschüssen versammelte spezifische Erfahrung wird viel zu wenig abgerufen, ist nicht nur Maisch überzeugt. Dabei sind sie die natürlichen Türöffner, um den Clubs bei internationalen Kontakten zu helfen.

Und der Bedarf ist da, sagt Hans-Joachim Billert, RC Idar-Oberstein, der vor Kurzem die Leitung des Länderausschusses Slowenien übernommen hat. „Bei den Staaten im Südosten besteht immer noch ein großer Nachholbedarf an europäischen Kontakten, denen wir uns nicht entziehen dürfen“, ist sein Appell. Zwar gibt es einige Clubpartnerschaften, doch es dürfen gerne mehr werden. Thematischer Ansatzpunkt könnte das Interesse an Umwelt und Naturschutz sein. Slowenien, so Billert, hat die höchste Biodiversität in Europa und rund 35 Prozent des Staatsgebiets unter Naturschutz gestellt.

Enthüllung einer Bücherzelle des RC Bad Kreuznach- Nahetal zusammen mit Vertretern seiner Partnerclubs

Die Hoffnung ist nicht abwegig, dass über die Vermittlerrolle der Länderausschüsse der Weg in den internationalen Dienst erleichtert wird. Aber machen wir uns nichts vor: Ohne intrinsische Motivation kann das nichts Nachhaltiges werden. Oder anders gesagt: Clubs mit ausgeprägtem rotarischen Selbstbewusstsein werden auch die Länderausschüsse nicht benötigen, um ihre Ziele zu erreichen. Ihre landwirtschaftliche Schule in Mozambik haben die vier Partner Berlin-Brücke der Einheit, Warschau-Sobieski, Paris-Avenir und Brüssel-Europa auch ohne Global Grant vorangebracht. Wie auch der RC Berlin-Schloss Köpenick beim Spielplatzprojekt mit dem RC Kaliningrad sich das Antragsverfahren bei der Rotary Foundation einfach geschenkt hat.

„Das muss Rotary aushalten“

Und wie man ganz ohne Projektpläne eine eingefahrene Clubpartnerschaft wiederbelebt, kann man derzeit beim oben erwähnten RC Hildesheim-Rosenstock beobachten. Hier haben sich die jüngeren Clubmitglieder einfach mal zusammengesetzt und gefragt, was sie sich von den bestehenden Kontakten nach Polen, Israel und Belgien wünschen. Neue Ansichten zu aktuellen Themen, die uns alle betreffen, war die Antwort. Dann fand sich ein Freund aus dem RC Tel Aviv-Yafo zum Vortrag ein und löste eine unerwartet fruchtbare, lebhaft-kontroverse Diskussion aus, wie der Clubbeauftragte Kristian Folta-Schoofs berichtet. Das hat beide Seiten so beeindruckt, dass man diesen Austausch auf jeden Fall ausbauen will. Kontroversen nicht ausgeschlossen, im Gegenteil: „Das muss Rotary aushalten können“, so Schoofs. Mit den weiteren Partnern Wroclaw (Breslau) und Deinze in Belgien verspricht er sich ein flexibles Spiel über vier Bande – mit der Chance, über mehr Informationen auch mehr Verständnis füreinander zu gewinnen.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.