Titelthema
Kopflos in die Marktwirtschaft
Warum die Treuhand bei der Privatisierung der volkseigenen Betriebe auf die Erfahrung vieler alter Kombinatsdirektoren nicht hätte verzichten sollen
Wie in einem Brennglas fokussiert die Treuhand die Umwälzungen von 1989 auf die zentrale Frage: War die DDR wirtschaftlich am Ende oder wurde sie nur zum Plündern freigegeben? Je nach politischem Standort stehen die Antworten fest. Aber sie halten sich weniger an die ökonomischen Fakten des drohenden Staatsbankrotts als an den Umstand, dass ein ganzes Gesellschaftsmodell wie ein Konkursfall abgewickelt wurde. Die immer gründlicheren Untersuchungen, die inzwischen vorliegen, offenbaren die ganze Ambivalenz dieser Treuhand, deren Name allein schon einer höheren Ironie entsprungen zu sein scheint. Sie kam wie aus dem Nichts und sie löste sich nach einigen Jahren auch wieder auf, ohne dass eine politische Verantwortlichkeit für die Folgen sichtbar wurde, obwohl man sie gleich nach der Wiedervereinigung zu einer ordentlichen bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts gemacht und unter die Aufsicht des Bundesfinanzministeriums gestellt hatte. Aber da war ihr Ruf schon beschädigt.
Ich selbst hatte (als Korrespondent der FAZ in Thüringen) im Sommer 1990 zum ersten Mal mit dieser Treuhand zu tun und kümmerte mich um die Außenstelle Erfurt, die gerade im Aufbau begriffen war. Im Haus des alten Wirtschaftsrats des Bezirks traf ich auf einen leitenden Treuhandmitarbeiter, einen ehemaligen Genossen, der mir in einem cremefarbenen Anzug gegenübersaß und wortreich erläuterte, was aus den bestehenden Staatsbetrieben in der neuen Marktwirtschaft nun werden sollte. Auf seinem Schreibtisch lagen gewaltige Stapel von Papieren; und während wir sprachen, zeichnete er ein Dokument nach dem anderen ab. Das ging viele Minuten lang so, bis ich nach einer Weile neugierig fragte, was er denn da wie am Fließband unterschreiben würde. „Ich bestelle Geschäftsführer“, war seine Antwort. „Und die kennen Sie alle“, wollte ich wissen. „Natürlich nicht“, sagte er, „keinen einzigen davon“.
An dieses Gespräch musste ich immer denken, wenn ich in der Folgezeit auf die neuen Herren in den alten Ostbetrieben traf. Windige Glücksritter waren die wenigsten darunter. Das viel größere Problem war die Ahnungslosigkeit, mit der viele Aufbauhelfer aus dem Westen im Osten auftraten. Man konnte ihnen das nicht zum Vorwurf machen. Denn die Kenntnisse über den Zustand der DDR, aber auch die Struktur der ostdeutschen Planwirtschaft war erschreckend gering, auch in den dafür zuständigen Institutionen. Einig war man sich nur in der Überzeugung, dass das alte System gescheitert war und seine Hinterlassenschaft als Konkursmasse zu betrachten sei. Das legendäre Schürer-Papier aus der Plankommission der DDR, das die katastrophalen Wirtschaftszahlen gegenüber der SED-Führung schon Ende der achtziger Jahre schonungslos offengelegt hatte, schien das zweifelsfrei zu belegen.
Verlust einer vertrauten Welt
Dass die Strukturen der DDR-Gesellschaft auf den Arbeitsplatz ausgerichtet waren und viele Versorgungseinrichtungen an den Betrieben und nicht an den Kommunen hingen, war den meisten Beratern zu Anfang nicht klar. Für die jungen, etwas nassforschen Betriebswirte aus dem Westen, wir nannten sie die BWL-Jünglinge, war das ohnehin nur sozialer Ballast. Weitaus wortgewaltiger traten die alten Haudegen aus den Wirtschaftswunderjahren auf, die nach dem Krieg im Westen ihre Betriebe aufgebaut hatten und jetzt im Osten noch einmal zeigen wollten, wie man das macht. Ihre Erfahrung war unbestritten, ihr Selbstbewusstsein aber auch. Es gab mitreißende Patriarchen darunter, die sich sofort um ihre enteigneten Betriebe kümmerten. Ein alter Fabrikant aus München ist mir noch in guter Erinnerung, der sich hochbetagt aufmachte, um seine frühere Firma für Autobatterien in Gera zu sanieren. Von seiner alten Belegschaft wurde er mit offenen Armen empfangen. Da wuchs wieder zusammen, was wirklich zusammengehörte.
Häufig aber kam die menschliche Seite zu kurz. Die wenigsten Berater hatten Lust, sich in die Existenzängste und Seelennöte von Belegschaften einzufühlen, denen von heute auf morgen ihre vertraute Welt abhandengekommen war. Über dieses Phänomen ist immer wieder geschrieben worden und es reicht zur Erklärung der Probleme meistens nicht aus. Aber der Transformationsprozess spielte sich eben nicht nur in der Welt der harten ökonomischen Fakten ab, sondern auch im täglichen Umgang miteinander. Aus dem Kollektiv waren Belegschaften geworden und der Wettbewerb machte vor dem Einzelnen nicht Halt.
Eine Gesellschaft ohne Führung
Ich kann mich an einen Großhändler für Autoersatzeile in Arnstadt erinnern (so etwas gab es tatsächlich in der DDR), der mir kurz nach dem Mauerfall sein Imperium gezeigt hatte: riesige Lagerhallen bis zum Dach voll mit Vergasern, Auspuffrohren, Stoßstangen, Keilriemen, Rückleuchten oder Scheibenwischermotoren. Ein unvorstellbarer Schatz zu DDR-Zeiten. Ich sehe noch seine stolze Gestalt im Bewusstsein dieser überbordenden Fülle. Über Nacht aber begann sich das meiste davon in Sondermüll zu verwandeln. Der Osten fuhr jetzt Westautos und brauchte Ersatzteile aus dem Westen. Ich habe den Mann später noch einmal besucht und ihn ratlos inmitten seiner leeren Hallen erlebt – für mich das tragische Sinnbild des Umbruchs.
Er traf eine Gesellschaft, die weitgehend führungslos war. Auch wenn die Mehrheit der Freiheitsdemonstranten sich die alten Funktionäre und Nomenklaturkader zum Teufel gewünscht hatten, so fehlte jetzt doch eine Führungsschicht, die hätte parieren können. Das scheint einer der schwerwiegendsten Umstände dieses Vereinigungsprozesses, dass er sich nie wirklich auf Augenhöhe vollzog. Die Feiertagsreden und Dankadressen an die friedlichen Revolutionäre waren das eine; der praktische Alltag aber sah anders aus. Sehr bald zeigte sich die neue soziale Schichtung, die bis heute psychologisch nicht überwunden ist: Die Westdeutschen setzten sich auf die Führungspositionen, die Mehrzahl der Ostdeutschen fühlte sich degradiert.
Auch bei diesem Vorgang spielte die Treuhand eine nicht unerhebliche Rolle. Zwar hatte sie einige Ostdeutsche in ihren Reihen, aber mit den Kombinatsdirektoren, der wirklichen alten Wirtschaftselite der SED, wollte man nichts zu tun haben. Sie waren politisch diskreditiert; und sie machte man mitverantwortlich für den Kollaps der DDR. Aber gerade unter diesen Kombinatsdirektoren gab es erfahrene und durchsetzungsstarke Managerfiguren, die sich nicht gescheut hatten, sich auch mit dem SED-Regime anzulegen, und eine realistische Vorstellung vom Zustand ihrer Betriebe besaßen. Sie wären bereit gewesen, sich am Wiederaufbau im Osten zu beteiligen, zumal sie den technologischen Vorsprung des Westens aus eigener Anschauung kannten. Aber sie störten bei der Zerschlagung der alten Strukturen und standen der überstürzten Privatisierungspolitik nur im Wege. Der letzte Direktor des VEB Weimar-Werks, Herbert Kroker, war so ein Mann, Arbeitersohn, altgedienter Kader, eine Zeit lang Parteiorganisator des ZK der SED mit einem Fernstudium als Diplomwirtschaftler. Zu DDR-Zeiten galt er als Troubleshooter, der überall eingesetzt wurde, wo es brannte, und der sich nicht scheute, sich selbst mit dem mächtigen Günter Mittag anzulegen. Dass er sich zuletzt noch als SED-Chef im Bezirk Erfurt zur Verfügung gestellt hatte, stempelte ihn endgültig zum Repräsentanten des alten Regimes.
Wie wichtig durchsetzungsstarke Führungsfiguren beim Umwandlungsprozess der ehemals volkseigenen Betriebe waren, konnte man dagegen bei den Carl Zeiss Werken in Jena erleben, wo mit Lothar Späth, dem früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, ein mit allen Wassern gewaschener Westprofi an die Spitze kam. Ich sehe ihn noch mit triumphierendem Lächeln aus den Verhandlungen mit der Treuhand kommen, weil es ihm gelungen war, die Mitgift für seine Jenoptik um eine halbe Milliarde zu erhöhen. Das war das Startkapital für eine der erfolgreichsten Privatisierungen in Ostdeutschland.
Es gab die spektakulären Treuhandfälle wie das Chemiefaserkombinat in Schwarza oder die Ansiedlung von Elf Aquitaine in Leuna, deren politische Umstände bis heute nicht ganz geklärt sind. Es gab aber auch die vielen stillen Auseinandersetzungen um die alten Familienbetriebe.
Der VEG Saatzucht Zierpflanzen PAC war so ein Fall, in der ein Dresdner Traditionsbetrieb aufgegangen war, weithin berühmt für seine Pelargonienzucht. Die Treuhand wollte kurzen Prozess machen und stand schon mit einem holländischen Großkonzern in Verhandlung. Doch der alte Eigner erkämpfte sich seinen Betrieb gegen alle Widerstände zurück und die Familie führt ihn heute in vierter Generation.
Die Rolle der Treuhand war dabei eher die einer Durchgangsstation, auch wenn man sie häufig für eine Betreuungsagentur halten wollte. Sie war Auffangbecken und Resteverwerter zugleich; und sie hat dem wiedervereinigten Deutschland vor allem erspart, sich den Mühlstein einer maroden Staatswirtschaft um den Hals hängen zu müssen. Das war ihr eigentlicher ordnungspolitischer Daseinszweck. Und mit den Privatisierungsgewinnen glaubte man, einen Teil der Kosten der Einheit bezahlen zu können.
Der falsche Schuldige
Aus der Rückschau betrachtet, war die Treuhand nicht schuld am Niedergang alter Industrien; sie war auch nicht verantwortlich für das Ausbluten der Landschaften. Das ging zu Lasten des alten Regimes. Dass man die Treuhand trotzdem für die Deindustrialisierung des Ostens haftbar gemacht hat, verkennt ihre Rolle und überschätzt ihre Funktion. Aber das passt in das Weltbild der Linken. Es ist nicht verwunderlich, dass die jüngste Debatte über die Treuhand mit dem Erstarken des Rechtspopulismus in den neuen Ländern zusammenfällt. Der rechte Protest, so die These, sei eine Folge sozialer Verelendung, und an der trage die Treuhand ein gerüttelt Maß Schuld. Wahrscheinlich ist der Zusammenhang aber ein anderer. Der populistische Protest regt sich nicht nur an den sozialen Rändern; er kommt aus der neu- entstandenen Mittelschicht nach der Wende. Dort fürchtet man seit der Flüchtlingskrise, ein weiteres Mal um seine Lebensleistung betrogen zu werden. Für diese Ängste ist die Treuhand nur das probate Symbol.
© Antje Berghäuser rotarymagazin.de
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