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Die Rolle des Internets während der Revolution

Mit Mausklick an die Macht?

Malte Herwig27.04.2011

Er ist jung, gut ausgebildet und mutig, und er ist das Gesicht der arabischen Revolution. Als im Februar 2011 der Thron von Ägyptens Diktator Hosni Mubarak wankt, ist der Google-Manager Wael Ghonim der Mann der Stunde. Elf Tage hatte ihn Mubaraks Geheimpolizei festgehalten, weil Ghonim auf der Internet-Plattform Facebook an einen zu Tode gefolterten ägyptischen Blogger erinnert und zu Demonstrationen gegen Mubarak aufgerufen hatte. Elf Tage wusste niemand, wo der Google-Marketingleiter für Nahost war. Sein Arbeitgeber tat das, was er am besten kann: Er ließ nach Ghonim suchen. Am Tag nach seiner Freilassung sprach Ghonim vor hunderttausenden Demonstranten auf dem Tahrirplatz in Kairo und rief sie zum Widerstand gegen das Regime auf. Innerhalb von 24 Stunden hatte er auch im Internet mehr als 130.000 Unterstützer, die ihn zum Sprecher der Revolutionäre kürten. Wenige Tage später war das Spiel für den Diktator aus. Weltweit riefen die Medien Mubaraks Sturz – wie den des tunesischen Herrschers Ben Ali zuvor – zur „Online-Revolution“ aus. Ghonim selbst sprach von einer „Revolution 2.0“ und verglich die Arbeit der Aufständischen mit der Internet-Enzyklopädie Wikipedia: „Jeder steuert Inhalte bei, aber die Namen der Beiträger sind unbekannt“. Zugegeben, ein verlockender Gedanke: Ein Mausklick reicht, um Machthaber zu stürzen. Vor dem heimischen Computer konnte sich sogar der deutsche Sesselhocker schon als Revolutionär fühlen, der auf Facebook Solidarität mit den Aufständischen in Ägypten und Tunesien bekundete. Der Mann, der westlichen Internet-Utopisten nun den Stecker zieht, heißt Evgenij Morozov. Als gebürtiger Weißrusse kennt er sich aus mit Diktaturen und Meinungsfreiheit. In seinem Buch „The Net Delusion“ (Der Netztrug) untersucht er den Einfluss von neuen Medientechnologien auf autoritäre Regime. Die Zusammenarbeit zwischen tunesischen und ägyptischen Cyber-Aktivisten habe gar nicht im virtuellen Raum stattgefunden, berichtet Morozov, sondern auf geheimen Treffen in Kairo, bei denen Blogger und Aktivisten aus beiden Ländern sich über Strategien und die Umgehung der Zensur verständigten.

Ende einer Illusion

Dass Facebook, Twitter und Mobiltelefone nützlich für die Organisation von spontanen Protesten sind, bestreitet auch Morozov nicht. Doch ihr Einfluss sollte nicht überschätzt werden, wie das Beispiel der iranischen Oppositionsbewegung zeigt: Am Vorabend der Wahlen 2009 waren nur 19.235 Twitterkonten in Iran registriert, was einem Bevölkerungsanteil von 0,027 Prozent entspricht.

Zudem können auch autoritäre Regime das Internet nutzen, wie das Beispiel China zeigt. In Tunesien waren zuletzt 600 Cyberpolizisten für das Ausspionieren und die Überwachung von Regimegegnern zuständig. Die Entscheidung fiel zuletzt nicht im Internet, sondern auf den Straßen von Tunis und Sidi Bouzid.

„Es ist schön, wenn man Twitter hat“, kommentierte die Los Angeles Times den Ausgang der tunesischen Revolution, „aber noch schöner, wenn die Armee auf deiner Seite steht.“