Corona
Nach dem Hammer wollen wir wieder tanzen!
Viele erwarten derzeit, dass die weltweite Corona-Krise unser Leben, die Politik, die Wirtschaft grundlegend verändern wird. Irgendwann wird alles gut, und dann sogar besser. Der Wunsch ist Vater des Gedankens. Denn die menschliche Natur und die Erfahrungen aus der Geschichte nähren diese Hoffnung nicht.
Dieses verdammte Virus wird wenigstens unsere Welt verändern. Jetzt endlich wird den Menschen klar, was sie immer schon gespürt haben, im gut verborgenen Unterbewusstsein. Jetzt endlich wird die Gigantomanie der letzten Jahrzehnte offenkundig, jetzt leuchten auch den verbohrtesten Kapitalisten die Nachteile der hemmungslosen Globalisierung ein, jetzt spüren wir wenigstens die Abhängigkeit von Produktionsmitteln in fernen Kontinenten, die Oberflächlichkeit unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Jetzt leiden wir, und danach wird alles anders. Dann wird alles gut.
Optimismus ist großartig. Naivität ist dumm.
Schon nach wenigen Wochen des Shut-downs, als die Regierung erste Lockerungen der strengen Beschränkungen zuließ, dominierte allerorten der Wunsch nach völliger "Normalität". Nach dem, was vorher "normal" war. Klar, man will wieder einkaufen, sich mit anderen treffen können, sich zum Abendessen in einem guten Restaurant verabreden dürfen und keine Angst um seinen Arbeitsplatz haben müssen. Und sonst? Normal war bisher aber auch, billig T-Shirts aus Bangladesh zu beziehen, Medikamente in China produzieren zu lassen und Kartoffeln von Italien nach Dänemark zum Waschen zu transportieren, um sie dann wieder in Italien zu verkaufen. Das soll sich jetzt aber doch ändern, bitte!
Ein kleines Virus demonstriert, wie selten etwas davor, die Naivität der Menschheit. Bei aller Hoffnung, dass man aus der Krise Lehren zieht, kann man ohne Risiko die Prognose wagen, dass sich langfristig gar nichts ändern wird. Für ein paar Monate natürlich, aber nicht auf Dauer. Wer glaubt denn, dass nicht weiterhin ein Gerät oder Ersatzteil in Fernost produziert wird, wenn er dort trotz Transportkosten um einen Cent pro Stück billiger ist als in Europa? Das Gedächtnis, was Krisen anbelangt, ist ein kurzes. Sobald Covid-19 nicht mehr präsent ist, werden die guten Vorsätze, ab jetzt alles (naja, vielleicht wenigstens vieles) anders zu machen, vergessen sein. Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler, sagte Ingeborg Bachmann. Die Spanische Grippe, die ab 1918 weltweit rund 50 Millionen Tote hinterließ - manche Schätzungen gehen sogar bis zum Doppelten - hat die Ausgelassenheit der wilden Zwanzigerjahre keineswegs gebremst. Lebenshunger ignoriert Gefahr. Nebenbei bemerkt: Die Spanische Grippe hatte ihren Ursprung in den USA. Trotzdem nennt sie niemand Amerikanische Grippe. In Dankbarkeit dafür bezeichnet der amerikanischen Präsident Corona als Chinesisches Virus.
Nicht nur nach der Spanischen Grippe, auch in der jüngsten Vergangenheit haben Wissenschafter (oder Bill Gates bereits 2015) immer wieder vor einer Pandemie und den Folgen für unser hochsensibles, vernetztes System gewarnt. Wirklich einkalkuliert haben das weder Weltwirtschaft noch Politik. Gier ignoriert Gefahr. Der Tourismus ist weltweit eingebrochen. Nicht nur Regionen, ganze Länder leben davon. Natürlich wünschen sie sich wieder volle Hotels. Venedig stöhnte ob der Menschenmassen. Jetzt hätte man gerne wieder ein paar Kreuzfahrtschiffe in der Lagune. Die verstummten Flugzeuge freuen nur die Siedler in den Einflugschneisen. Der de facto stillgelegte Flughafen Wien-Schwechat ist das Symbol für eine neue Ruhe. Die Manager von Airports und Airlines freilich rotieren. An Boeing, Airbus & Co. hängen Millionen Arbeitsplätze. Nicht nur dort wünscht man sich, dass alles wieder so wird, wie vorher. Die Sorge um den Existenzverlust will nicht wahrhaben, dass der Irrsinn mit billigen Flügen den Globus längst überhitzt hat. Angst ignoriert Gefahr. Es sind immer nur die, die gerade nicht betroffen sind, die der Katastrophe auch etwas Positives abgewinnen. Die Einheimischen in Salzburg, die die Getreidegasse immer "wegen der vielen Touristen" mit gerümpfter Nase gemieden haben, hätten jetzt die Chance, sich dort wieder die Einkaufshoheit zu sichern. In den ersten Tagen der gelockerten Maßnahmen geschah das nicht. Alle, die - flüchtend vor Masken tragenden und schnell fotografierenden Touristen aus Korea, Japan und China - Hallstadt nur noch großräumig umfahren haben, hätten jetzt die Chance, dieses Weltkulturerbe vor der eigenen Haustür zu entdecken. Mal sehen. Der Inlandstourismus, früher nannte man das Sommerfrische, könnte ein Krisengewinner sein. Kurzfristig. Aber schon jammert man in Zell am See, dass Niqabs und Burkas kein Geld mehr bringen. Und in Ischgl wirbt man jetzt bereits wieder um die (angesteckten) Gäste, die doch bitte nicht nachtragend sein sollen!
Was also wird sich ändern? Nicht viel.
Dass ein Corona-Virus die Lernfähigkeit des Menschen erhöht, hat bisher noch keine der vielen Studien ergeben. Sobald ein Medikament und ein Impfstoff die Sorgenfalten glätten, wird der Planet wieder so tanzen (wollen), wie nach der Spanischen Grippe. Unternehmen und Behörden werden draufgekommen sein, dass man nicht zu jeder Besprechung eine Dienstreise braucht, kleine Händler werden erfahren haben, dass man Amazon & Co. nicht völlig paralysiert und kampflos das Feld überlassen muss, Schulen und Unis werden gelernt haben, dass die digitale Welt zumindest für Teilbereiche Vorteile bringt. Ein Teil dessen, wohin wir jetzt ausgewichen sind, wird Normalität. Und sonst?
Wir werden uns, eine Zeitlang, an Distanz gewöhnen. Der Bussi-Bussi-Alltag ist passé, aber menschliche Nähe fehlt. Trotzdem wird man selbst engen Freunden gegenüber mit leichtem Mißtrauen im Bauch vor einer Ansteckung begegnen.
Die Wirtschaft wird einen Wiederaufbau brauchen. Viele Unternehmen werden auf der Coronastrecke liegen geblieben sein. Eine Rezession ist unvermeidlich. Es könnte der größte Einbruch seit den 30er-Jahren werden. Aber anders als bei früheren Rezessionen sind die ökonomische und kommunikative Infrastruktur und deren Instrumente unversehrt erhalten. Nichts ist, wie nach der Spanischen Grippe im Ersten Weltkrieg, physisch zerstört, die politische Weltordnung muss nicht erst neu gestrickt werden, und die Organisation des Finanzwesens ist nach der Bankenkrise 2008 zumindest etwas stabiler geworden. Das gibt Hoffnung. Wie lange der Wiederaufbau braucht, ist eine Frage, wie viele Unternehmen und Volkswirtschaften am Boden sind. Ein Jahr, drei Jahre, fünf Jahre? Man wird sehen. Es wird eine Art von Gründerzeit geben, einen Boom nach der Ernüchterung. Wir in Österreich kennen das ja. Jetzt ist die US-Wirtschaft im freien Fall. Die EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen redet von einem Marshall-Plan in Billionen-Euro-Höhe. Wird diesmal Europa den USA auf die Beine helfen müssen? Wie wir wissen, haben nach dem Zweiten Weltkrieg die USA noch mehr vom Wiederaufbau Europas profitiert als die zerstörten Länder hier. Vielleicht ist es diesmal umgekehrt. Wenn es gelingt, die schon bisher gekannte Unverfrorenheit Chinas als Krisengewinner im Zaum zu halten. Die Anzeichen dafür stehen freilich nicht gut. Wirtschaftspolitik ist Machtpolitik. Und Machthunger ignoriert Gefahr.
Sozialträume oder Schadensminimierung?
Dessen ungeachtet bringen sich hierzulande auch schon die ideologischen Grabenkämpfer in Position. Da sind die einen, die im Niedergang von Unternehmen, denen im Einbruch des Konsums die Luft ausgeht, simpel und zynisch eine ohnedies notwendige Marktbereinigung sehen. Und da sind die anderen, Linke und Träumer, die im Zuge der Hilfsmaßnahmen der Regierung gleich ein Über-Bord-Werfen unseres gewachsenen Sozialsystems verlangen, indem sie glauben, dass man Sozialhilfen, Arbeitslosenunterstützung, Kindergeld und Pensionen einfach abschaffen soll und stattdessen ein "arbeitsloses" Grundeinkommen für alle einführen soll. Als ob Verteilung per Gießkanne die Menschen zu dem motivieren könnte, was wir jetzt brauchen: neue Anstrengung. Auch Dummheit aus jedweder Richtung ignoriert Gefahr. Weder mit Zynismus noch mit Sozialträumerei wird sich das Geld wieder verdienen lassen, das jetzt zur Schadensminimierung vorgeschossen wird. Geld kommt bekanntlich eh nur aus dem Bankomaten, so wie Strom aus der Steckdose. Die neue Zukunft braucht sicher neue Ideen. Aber, wie der Friedensforscher Werner Winterstein formulierte: "Wir werden nicht bessere Menschen, nur weil wir in einer Pandemie sind". (Salzburger Nachrichten, 14. April 2020) Schlechtere hoffentlich auch nicht.
Schon keimt die Sorge, und nicht zu unrecht, dass der Wiederaufbau nach Corona alle guten Vorsätze in Sachen Klimaschutz und Ökologie verdrängen wird. Ganz sicher wird weiterhin die Natur in Chile oder im Kongo hemmungslos mit Kinderarbeit für die Gewinnung von Lithium und Kobalt ausgebeutet, damit in China mit Strom aus dreckigen Kohlekraftwerken Batterien hergestellt werden, die hierzulande mit fragwürdiger Elektromobilität das Gewissen der Autofahrer und der Politik einlullen soll.
Die alten Gleise liegen noch
Wie die Wirtschaft wird auch die Politik die alten Gleise suchen. Manchmal auch die ganz alten. Die Krise um ein kleines, heimtückisches Virus hat zu einem Rette-sich-wer-kann geführt. Keine Rede von globalisierter Solidarität (die es ohnedies nie gab), keine Rede von abgestimmten Maßnahmen, keine Rede von gemeinsamem Handeln. Die EU war - nach der Flüchtlingskrise 2015 - jetzt schon zum zweiten Mal ohnmächtig, ihr Bauplan ließ gleich einmal keine Koordination der Anti-Corona-Maßnahmen zu. Schon die deutschen Bundesländer und Kanzlerin Merkel mussten um Kompetenzen streiten, und die EU ist nach Grenzschließungen, Eifersüchteleien um Schutzmasken und dem Streit um die richtigen Finanzinstrumente zum Wiederaufbau (Stichwort Corona-Bonds) von einer Einheit weiter entfernt denn je. Selbst die Rolle als große Freihandelszone ist beschädigt, denn sogar Nachbarschaftshilfe war zum Fremdwort geworden, wie die deutsche Sturheit beim Unterbinden des Transitpendelns durch das Kleine deutsche Eck bewiesen hat. Derart kleinlicher, uralter Nationalismus erlebt eine Renaissance, diesmal nicht ideologisch bedingt, sondern virologisch. Das ist die wahre Gefahr in Europa. Sie wird begleitet von der unverschämten Aushöhlung der Privatsphäre. Der gläserne Mensch ist in China längst Realität. Im Windschatten von Covid-19 wird auch in westlichen Demokratien an digitaler Überwachung gebastelt. Winston Smith, der verratene Protagonist in George Orwells 1949 erschienenen Roman "1984", wird per "Teleschirm" und Gedankenpolizei politisch gesteuert und überwacht. (George Orwell, Nineteen Eighty-Four, London, 1949) Inzwischen ist Orwells Dystopie von der Realität längst eingeholt. Wenn wir nicht aufpassen, nicht nur in China.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz brachte den Begriff des Comebacks ins Spiel. Klingt besser als Wiederaufbau. Aber kann man dafür das rechte Maß verordnen? Wohl kaum. Regionalisierung hört sich jetzt gut an, aber die Globalisierung wird nicht gebremst, im Gegenteil. Die kommende Wirtschaftskrise wird die Kleinen zum Fraß für die Großen machen. Die Konzentration auf die Riesen wird zunehmen. Amazon ist der Krisengewinner schlechthin, auch wenn viele kleinere Händler jetzt munter geworden sind. Hier lenkend einzugreifen wäre die Aufgabe starker Politik. Da freilich ist Vorsicht geboten, schon jetzt gibt es Sorge um Privatsphäre und Demokratie. Der Schulterschluss zwischen Regierung und Opposition war ohnedies nur kurz, schon wird wieder prinzipiell alles für schlecht befunden, was von der anderen Seite kommt.
Evoluitionsbeschleuniger
Der Zukunftsforscher Mathias Horx sieht im Corona-Virus einen Evolutionsbeschleuniger. Also einen Treiber dafür, was ohnedies ansteht. Er erwartet, dass "die Unterbrechung der Konnektivität – durch Grenzschließungen, Separationen, Abschottungen, Quarantänen – … nicht zu einem Abschaffen der Verbindungen (führt). Sondern zu einer Neuorganisation der Konnektome." (Mathias Horx, "Die Welt nach Corona": www.rotary.de/a15677) Ein "Phasensprung der sozio-ökonomischen Systeme" werde zu einer neuen Tragfähigkeit der Lebensformen führen. Sein Wort in Gottes Ohr. Jedenfalls wird Corona lange Zeit Teil der Erinnerungskultur werden. Zur Erinnerung an eine Zeit, wo man auch ohne Umarmungen Nähe gesucht hat, wo man nach konjunktureller Überhitzung im Tourismus, im Handel und der Industrie einen Schub für die Suche nach dem rechten Maß bekommen hat. Wahrscheinlich würde der Menschheit der Rückzug von Gigantomanie und hemmungsloser Globalisierung gar nicht so schwer fallen. Eine Zeit lang zumindest. "Small is beautiful" war schon das Credo des Philosophen Leopold Kohr. Wirklich durchgesetzt hat sich der Salzburger freilich nicht. Vielleicht schafft das Covid-19. Dieses Virus ist jetzt ein Hammer für die Welt.
Der amerikanische Autor Tomas Pueyo prognostizierte, dass das Virus selbst nach einem massiven Hammerschlag zur Niederschlagung der Pandemie mit rigiden Beschränkungen weltweit innerhalb von 18 Monaten in kleineren Wellen immer wieder kommen werde, also mit uns tanzen wird. Und wir mit ihm tanzen müssen. (https://medium.com/@tomaspueyo/coronavirus-the-hammer-and-the-dance-be9337092b56) Selbst der Hammer wird den Tanz nicht erschlagen. Das gilt für das Virus. Und für den Menschen. Man könnte die Krise als Chance sehen, einiges in unser Kommunikation, in der Politik und in der Wirtschaft zu ändern. Es ist zu befürchten, dass aber nur das geändert wird, was absolut unvermeidlich ist. Denn so wie wir gebaut sind, werden wir alles daran setzen, die Beule des Hammerschlags zu verdrängen, notfalls auch zu überschminken, um möglichst schnell wieder zum Tanz zu kommen.
Hubert Nowak
RC Perchtoldsdorf
(3. Mai 2020)
© Interfoto
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