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Ärzte im freiwilligen Einsatz

»Die Arbeit ist viel intensiver«

Ärzte für freiwillige Einsätze in medizinisch unterversorgten Länder nzu gewinnen, das war 1998 die Idee zur Gründung der German Rotary Volunteer Doctors (GRVD). Doch was die Organisation heute leistet, geht weit darüber hinaus.

Matthias Schütt26.08.2015

„Ich habe hier an einem Tag mehr Notfälle erlebt als in fünf Jahren an der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg“, sagt Felix Mauz, der zurzeit als Gynäkologe in Eikwe im westafrikanischen Ghana arbeitet. Der junge Arzt ist begeistert vom Hospital St. Martin de Porres am Atlantik, von der Motivation von Ärzten, Pflegepersonal und Verwaltung. Er spürt aber auch jeden Tag die Grenzen seiner Möglichkeiten: „Die Arbeit ist viel intensiver, weil man als Arzt ganz anders gefordert ist. In Deutschland erlebt ein Patient von der Aufnahme bis zur Entlassung im Krankenhaus einen automatisierten Ablauf. Hier bin ich wegen der kleinen Ausstattung mehr auf meine ärztliche Erfahrung und Intuition angewiesen. Ich muss beständig abwägen, was ich tun müßte und was ich tatsächlich tun kann.“ Das bestätigt ein erfahrener Kollege, der Chirurg Prof. Dr. Werner Peitsch (RC Essen-Baldeney), der schon mehrfach für die German Rotary Volunteer Doctors e.V. (GRVD) in Ghana war und von einer Ausstattung „gleich null“ spricht. Und trotzdem: „Chirurgen und Gynäkologen müssen hier alle Operationen machen können“, umschreibt er die besondere Herausforderung in einem Tropenkrankenhaus am Ende der Welt.

Dazu gehören zum Beispiel die 3000 Geburten im Jahr, darunter viele Kaiserschnitte und andere Notfälle. Besonders bedrückt Mauz, dass er frühgeborenen Babys fast nichts zu bieten hat. Statt Wärmebett kann er nur eine Energiesparleuchte anschalten…

Der Mangel an Ausstattung ist aber nur ein Grund für die hohe Kindersterblichkeit in Eikwe. Ein anderer ist die Schwellenangst der Menschen vor dem Krankenhaus. In einer Gesellschaft, die darauf vertraut, dass sich alle Beschwerden – ob Kopfschmerzen oder Malaria – mit traditionellen Methoden und Kräutern behandeln lassen, genießt der Arzt zunächst keinen Vertrauensvorschuss. Viele kommen zu spät in die Klinik, auch weil sie zu arm sind und die staatliche Krankenkasse nicht funktioniert.

Wenn sich die Einstellung zu den Ärzten allmählich ändert, liegt das nicht zuletzt an den Fachleuten, die über den GRVD geschickt werden. Sie bauen Vertrauen auf, weil sie verlässliche, treue Partner ihrer Krankenhäuser in Ghana, Nepal oder Indien sind. Die Konzentration auf wenige Einsatzländer ist ein Markenzeichen des Vereins, wie Past-Gov. Christoph Reimann erläutert, der seit 2009 den Vorsitz hat. In Ghana sind es 13 Partnerkrankenhäuser, in Nepal sechs. Dazu kommt als Sonderfall Indien: Hier fährt ein Arzt aus Hattingen seit über zehn Jahren zu OP-Einsätzen nach Jalna.

Seit 1998 besteht der Verein, der damals mit einigen engagierten rotarischen Ärzten ganz klein anfing. Heute zählt Reimann über 1100 Mitglieder, beträchtliche Spendenleistungen und bis zu 170 Einsätze pro Jahr. „Das ist aber das absolute Limit für unsere kleine Organisation von Ehrenamtlichen“, betont der Essener Rotarier und verweist auf eine gewandelte Aufgabenstellung. „Wir waren einmal eine reine Volunteer-Vermittlungsorganisation. Seit einigen Jahren bauen wir in enger Zusammenarbeit mit Rotary Clubs ganze Krankenhausabteilungen auf und legen immer mehr Wert darauf, die einheimischen Ärzte und Pfleger weiterzubilden. Zum Teaching & Training, übrigens auch von Stipendiaten, die wir nach Deutschland holen, gehört die Bereitstellung von Geräten wie Ultraschall, Röntgen, Wehenschreiber (CTG), EKGs, um nur einige zu nennen.“ Dazu verschifft GRVD über die von Julia Seifert (RC Lüdenscheid-Zeppelin) geführte Geschäftsstelle jedes Jahr fünf bis acht Container in die Einsatzländer.

Das erste große Projekt dieser neuen Phase in Ghana war die Sanierung des Krankenhauses in Dodi Papase in der östlichen Volta-Region. Die Kosten von über 500.000 Euro wurden finanziert vom RC Lüdenscheid und seinen Partnerclubs sowie dem Distrikt 1900, der Rotary Foundation und weiteren Spendern. Da Bauvorhaben von der Rotary Foundation nicht gefördert werden, suchte man den Kontakt zu Bengo. Das ist eine Agentur des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die speziell private Projektträger berät und finanziell fördert. Gerade erst wurde im Krankenhaus von Techiman eine neue Entbindungsstation eingeweiht, finanziert ebenfalls mit Zuschüssen von Bengo und vielen rotarischen Spendern. Dabei fungiert GRVD ausschließlich als Anreger und Vermittler, die Projekte liegen in der Verantwortung der Clubs. Das Budget des Vereins wird ausschließlich für die Arbeit der Volunteers eingesetzt.

Wobei Volunteers ein weiter Begriff ist. Das sind Ärzte und Zahnärzte, Hebammen, Krankenschwestern oder zum Beispiel auch Andrej Federenko. Der 27-Jährige ist geborener Kasache, lebt seit seinem 16. Lebensjahr in Deutschland und arbeitet als staatlich geprüfter Medizintechniker im Helios-Klinikum München-West. Er hörte über einen Kollegen von GRVD und nahm drei Wochen Urlaub für die Reise in verschiedene ghanaische Kliniken. „Ich bin überzeugter Ehrenamtler“, sagt Andrej, der auch beim DRK und im Rettungsdienst arbeitet. Ihn erwartete ein Haufen Arbeit, denn die Geräte aus Deutschland müssen aufgebaut, überprüft und auch repariert werden. Oft fehlt es an Kleinigkeiten wie passenden Anschlüssen, Kabeln oder Schrauben, die richtige Herausforderung für Tüftler. Für größere technische Projekte wie den Bau von Verbrennungsöfen arbeitet GRVD mit dem von Rotariern gegründeten Verein „Technik ohne Grenzen“ zusammen, dessen Teams GRVD ebenfalls in die Einsatzgebiete schickt.

„Maintenance“, die Wartung der zumeist teuren Geräte, ist ein Kardinalproblem in Ghana. Oft werden nicht einmal Gerätebücher geführt, um Schaltpläne, Einsatzzeiten, Wartungsintervalle u.ä. zu dokumentieren. Im Notfall, auch diese Einstellung ist keine Seltenheit, wird der Doktor aus Deutschland schon für Ersatz sorgen…

Und so falsch ist der Eindruck ja nicht. Dr. med. Henner Krauss, Internist aus Bad Reichenhall und Ghana-Koordinator des GRVD, stellt sein Gepäck immer auch unter dem Aspekt zusammen, was vor Ort gebraucht wird. Diesmal hat er Dispenser mitgebracht, das sind Spender für Desinfektionslösungen am Eingang zu OP und Krankensälen. Damit soll nicht nur die Klinik in Techiman sukzessive ausgestattet werden, sondern auch die Krankenhäuser der gesamten Volta-Region. Dies ist ein Global-Grant-Projekt des RC Wetter-Herdecke-Ruhrtal mit dem RC Ho in Ghana.

Gerade weil die Mentalitätsunterschiede manchmal an den Nerven nagen, ist Krauss ganz begeistert, wenn etwas besser funktioniert als erwartet. Im Labor in Sogakofe freut er sich über ein breites Leistungsspektrum und das Engagement eines älteren Laboranten, der sogar einen Spendedienst für seine Blutbank aufgebaut hat – in Ghana ist Blutspenden für Fremde völlig ungewöhnlich. Insgesamt ist sein Eindruck positiv: Es geht voran, GRVD hat einen hervorragenden Ruf, nicht nur unter Ärzten und Pflegern, sondern auch bei den kirchlichen Trägern, den Behörden und nicht zuletzt bei den Chiefs, den traditionellen Oberhäuptern der Bevölkerungsstämme. Denn wenn die Krankenhäuser Ärzte über Land schicken, damit sie medizinische Versorgung in die Dörfer bringen, ist das auch eine Leistung, die über die Ärzte aus Deutschland aufgebaut wurde.

Von seiner Inspektionsreise durch die GRVD-Kliniken in Ghana ist Krauss mit einer langen Wunschliste zurückgekehrt. Damit er mit vollen Taschen wieder losfahren kann, setzt GRVD auf Mitglieder, Spender und Clubs, die sich für ein Projekt zugunsten der Menschen in medizinisch unterversorgten Gebieten engagieren. Der Bedarf ist so groß, dass es keinen Besucher dieser Krankenhäuser kalt lassen könnte.

 

Weitere Informationen: www.grvd.de