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Rotary International

Global Outlook: Wasser und Hygiene

Der Bereich Wasser und Hygiene ist einer der sechs Schwerpunktebereiche der humanitären Arbeit von Rotary

The Rotarian14.05.2012

1. Spendenprioritäten überdenken. Mehr Kinder unter fünf Jahren sterben an – meist durch Pathogene im Trinkwasser verursachten – Durchfällen als durch AIDS, Malaria und Masern zusammen. Doch diese Tatsache schlägt sich nicht gerade in den von Prominenten unterstützten guten Zwecken nieder. „HIV/AIDS und Malaria bekommen so viel öffentliche Beachtung, dass die öffentliche Meinung davon ausgeht, diese seien die Hauptgesundheitsprobleme der Kinder dieser Welt. Aber das stimmt nicht“, sagt Greg Allgood, Direktor des Children’s Safe Drinking Water Program bei dem amerikanischen Konzern Procter & Gamble.
Ein weiteres Problem: Spendengelder, die Wasserprobleme beheben sollten, kommen nicht an. Eine UN-Studie 2010 ergab, dass nur 42 Prozent von für Wasserprojekte bestimmten Hilfsgeldern den armen Ländern zugutekommen – und nur 16 Prozent der Gelder unterstützen tatsächliche Basissysteme für Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.

2. Verbindungen sehen. Es macht mehr und mehr Sinn, das Problem Wasser ganz oben auf der globalen Agenda anzubringen, angesichts des all­umfassenden Effektes, den die Versorgung mit Wasser auf das Leben eines Menschen hat. Kinder mit chronischen Durchfällen, die durch kontaminiertes Wasser verursacht werden, können zum Beispiel die Nährstoffe in der Nahrung nicht verwerten. Und da kommt es auf jeden Cent an. „Die Kosten für Essen und Lebensmittel sind ungleich höher als die Kosten, sauberes Trinkwasser bereitzustellen“, führt Allgood aus und fügt hinzu, dass er echte „Lazarus-Effekte“ bei AIDS-Patienten in Entwicklungsländern gesehen habe, nur weil sie gutes Wasser erhielten.
Die Verbesserung der Wasserver­sorgungs- und Hygienesituation wirkt sich erwiesenermaßen auch positiv auf den Schulbildungsstand unter Frauen und Mädchen aus, deren traditionelle Aufgabe vielerorts die mühsame Wassersuche ist. Viele Mädchen können nicht zur Schule gehen, weil sie lange Wege zu Wasserstellen zurücklegen müssen oder weil es keine Schulen mit sanitären Anlagen gibt. Und: Saubere Schultoiletten und sauberes Trinkwasser wirken sich auf die Fehlquote aus, weil die Kinder weniger krank werden.

3. Volkswirtschaftlich argumentieren. Alle 20 Sekunden stirbt ein Kind an unhygienischen Verhältnissen. Mag diese Tatsache dem moralischen Argument Vorschub geben, in lebensrettende Wasserinfrastruktur zu investieren, so ist das wirtschaftliche Argument ebenso schlagend: für jeden Cent, der in Basissanitäreinrichtungen investiert wird, winkt eine Rendite von 9 Cent in erhöhter Wirtschafts­entwicklung und -leistung. Eine Erfüllung der Vorgaben zur Sanitärversorgung, wie sie in den UNO-Millenniumszielen formuliert wurden, würde für Entwicklungsländer einen enormen wirtschaftlichen Nutzen bedeuten. Allein aus erhöhter Produktivität, niedrigeren Gesundheitskosten und vermehrten Einnahmen aus dem Tourismus würden sich jährlich 38 Milliarden US-Dollar ergeben. „Wenn Sie in Kambodscha bei der Regierung vorsprechen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Hygienemangel und Durchfallerkrankungen ursächlich miteinander verbunden sind, ist das ein Problem für den Gesundheitsminister. Wenn Sie aber darauf hinweisen, dass das Land sieben Prozent seines Bruttosozialprodukts aufgrund einer fehlenden Hygieneinfrastruktur einbüßt, ist auf einmal der Finanzminister mit dabei, und die gesamte Diskussion sieht anders aus“ weiß Jae So, Manager des Water and Sanitation Program bei der Weltbank.
Wasser ist ebenso wichtig für den Privatsektor. Allein der industrielle Weltverbrauch an Frischwasser liegt bei 20 Prozent. Unternehmen sind sich dieser materiellen Dimension sehr bewusst und unternehmen ihre eigenen Schritte zum Schutz der Ressource, sowohl für ihren eigenen Betrieb als auch für die Gemeinwesen, in denen sie angesiedelt sind. Das betont auch Monica Ellis, Leiterin von Global Water Challenge, einer Koalition von im Wassersektor aktiven Vereinigungen (darunter auch der Water and Sanitation Rotarian Action Group). „Ein solches Engagement ist ebenso eine Arbeits­marktmaßnahme wie auch eine soziale Betriebslizenz, besonders in Schwellenländern“, betont Frau Ellis.

4. Hygiene kommt zuerst. In städtischen Regionen Indiens ebenso wie in anderen Entwicklungsländern findet man öffentliche Wassersysteme – doch werden diese aus gutem Grund in der Regel von denen gemieden, die sich das leisten können. „Wir haben immer Wasser in Flaschen dabei, wohlwissend, dass Millionen es sich nicht leisten können, abgefülltes Wasser zu kaufen“, sagt Kamal Kar, ein Mann mit Pioniergeist aus Kalkutta, dessen Initiative Community-Led Total Sanitation (CLTS) einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt: Es ist eine Methodik zur Verhaltens­änderung, sagt er, um Menschen davon abzubringen, ihre Notdurft auf freiem Feld, am Straßenrand oder in leeren Gebäuden zu verrichten. „Wenn sie Leitungswasser auf einem Bahnhof oder sogar in einem Krankenhaus trinken, laufen Sie Gefahr, dass es fäkal kontaminiert ist. Eine große Zahl unserer Proben kommt mit coliformen Bakterien verseucht zurück. Wasser bedeutet hier nicht Leben – es ist ein Killer.“ Rotarier und Wasserspezialist Steve Werner unterstützt die Ansicht und betont, dass die Veränderung von Hygienegewohnheiten in diesen Regionen ein Langzeitprozess ist und daher große Beharrlichkeit bei den vor Ort tätigen humanitären Gruppen erfordert.
Doch nur so geht es: Wenn die Menschen weiter ihr Wasser in verschmutzten Behältern sammeln, ist nichts gewonnen.“

5. Technologische und institutionelle Hilfe balancieren. Wasser ist immer zuerst ein lokales Problem. Manche Orte haben zu viel, andere zu wenig. Manchmal ist Wasser anorganisch verseucht, manchmal organisch. Viele Spendenhelfer verschreiben sich ganz einer bestimmten Technologie: Sanitärsysteme, Biosandfilter, UV-Bestrahlung usw.“, führt Rot. Werner weiter aus. „Doch Technologie ist nur ein Teil im gesamten Puzzle. Training, Kapazitätenaufbau, nachhaltige Finanzierungsmodelle und lokale Behörden­unterstützung sind genauso wichtig als Elemente, wenn Programme überlebens- und tragfähig sein sollen.“ Und Clarissa Brocklehurst von UNICEF fügt hinzu: „Letztlich ist es unerheblich, wie gut ihre Pumpen oder Filter funktionieren können, wenn sie kein System etabliert haben, um deren Betrieb zu gewährleisten. Das ist eine ungeheure Herausforderung für in dem Bereich tätige Nichtregierungsorgani­sationen, denn ein solcher institutioneller Wandel muss zeitgleich für alle erfolgen.“

6. Systematisch arbeiten. Langfristige Lösungen erfordern einen systematischen Ansatz. Das vielleicht größte Hindernis bei der Zugangsverbesserung zu Wasser- und Sanitäreinrichtungen ist die Implementierung der Nachhaltigkeit, denn diese erfordert die Zusammenarbeit mit einer Reihe von Institutionen – und mit der Politik. Ein langfristiger Erfolg ist nur möglich durch eine Partnerschaft mit Regierungsstellen und offiziellen Vertretern, die ihrerseits an langlebigen Lösungen interessiert sind. Und noch eines ist wichtig: Bei diesem Umgang sind Helfer, ob Personen, Unternehmen oder NGOs, auf eine Kooperation angewiesen. Denn allzu oft ergeben sich im Entwicklungssektor Duplizierungseffekte – oder kollidierende Hilfsinteressen, die sich letztlich kontraproduktiv auswirken. Oft bieten hier öffentlich-private Partnerschaften einen Weg, sagt Monica Ellis. „Durch die Koordination von Initiativen kann jeder Akteur auf den Leistungen der anderen aufbauen. Auf diese Weise sind exponentielle Erfolge auf dem Weg zu flächendeckender Wasser- und Sanitärversorgung möglich.“

7. Nachfrage nutzen?… Man beachte folgende Statistiken: Von den sieben Milliarden Menschen, die derzeit auf diesem Planeten leben, haben 2,6 Milliarden, das sind 37 Prozent der Weltbevölkerung, keinen Zugang zu grundlegenden Sanitäranlagen. 1,4 Milliarden (20 Prozent) leben von weniger als einem Euro pro Tag. Man mag sich da ausmalen, wenn eine solch arme Familie von einer gemeinnützigen Organisation eine 300-Dollar-Toilette gestellt bekommt. „Wenn Ihr anderes Hab und Gut bestenfalls aus einer Ziege besteht, dann wird die Toilette zum Gebetsraum oder Studienzimmer für den Sohn, was auch immer, aber die öffentliche Notdurft geht weiter“, beklagt sich auch Kamal Kar aus Kalkutta. Seine CLTS-Methode setzt hier an. Er hilft, den Menschen klipp und klar verständlich zu machen, dass sie Fäkalien essen und trinken.
Wenn dies einmal bewusst ge-macht wurde, ändert sich die Dynamik und Menschen sind bereit zu Problemlösungen. Und die Initiative zur Veränderung kommt aus dem Gemeinwesen selbst.

8. Lokale Behörden einbinden. Wie bereits unter Punkt 6 thematisiert, ist jedes Projekt ohne entsprechende politische Unterstützung vor Ort zum Scheitern verurteilt. Hygienefragen fallen besonders in Ländern Sub-Sahara-Afrikas zumeist in den Kompetenzbereich von Gesundheitsministerien, deren Mitarbeiter aber oft mehr an Heilungsmedizin und kurativen Ansätzen interessiert sind als an Fragen des Wasserbaus. Selbst in Ländern wie Kenia sind zuständige Regierungsstellen oft hoffnungslos unterfinanziert. Die kenianische Gesetzesreform 2002 änderte die Vorschriften und den gesetzlichen Rahmen für das dortige Wassermanagement dramatisch. Doch alle Regierungsstellen und Agenturen, die eingerichtet wurden, um die Änderungen zu implementieren, sind heute zur Untätigkeit verurteilt, weil das Geld fehlt. Das jedenfalls sagt Edward Kairu, Mitglied des RC Nairobi und Executive Director von Maji na Ufanisi (Water and Development), einer Nichtregierungsorganisation. „Bis heute waren die Zuteilungen für den Wassersektor im Vergleich zur Landwirtschaft und im Vergleich zum Verteidigungsbudget sehr ge­ring. Deren Budgets sind riesig. Doch wenn wir mehr Gelder für Wasser und Hygiene bekämen, würden wir zum Beispiel im Gesundheitssektor so viel einsparen können.“

9. Mehr verlangen. Über das letzte Jahrzehnt hinweg hat sich der Gesamtbetrag an Entwicklungshilfe für den Wasser- und Hygienebereich verringert. Auch das geht aus der bereits erwähnten UNO-Studie von 2010 hervor. Um diesen Trend umzukehren, bedarf es der Vorsprache bei Regierungen. Und hier ist nach Meinung der Experten der Punkt, wo Rotary ins Spiel kommt. „Es wäre wunderbar, wenn Rotarier sich wieder so als Fürsprecher und Interessenvertreter einschalten könnten, wie sie das so erfolgreich für Polio getan haben“, hofft auch Steve Werner. Rotarier verfügen über die notwendigen Kontakte, Einflussmöglichkeiten und das entsprechende Fürsprachetalent, um existenziell wichtige Weichen für erfolgreiche Projekte der Zukunft zu stellen.