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Die Kraftprobe
Zum 100. Todestag Franz von Defreggers widmet das Tiroler Landesmuseum in Innsbruck dem Künstler eine ebenso gewagte wie beeindruckende Ausstellung.
Dass ein Künstler in Vergessenheit gerät, kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Der Zeitgeschmack hat sich geändert, die ästhetischen Entwicklungen sind über sein Werk hinweggegangen oder sein gesellschaftliches Umfeld hat sich tiefgreifend gewandelt. Die Malerfürsten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren gefeierte Stars und wurden fast über Nacht unmodern und altmodisch oder galten als akademisch, was in der Ära der Sezessionen fast der schlimmste Vorwurf war. Es gibt viele Beispiele dafür. Man war dem Zeitgeschmack verhaftet und ist mit ihm untergegangen. Aber es gibt auch die vielen zu Unrecht Vergessenen in der Kunstgeschichte. In bestimmten Fällen spricht man sogar von einer verlorenen Generation.
Damit sind vor allem jene Maler und Schriftsteller gemeint, die der erste Weltkrieg aus ihrer Lebensbahn geworfen hat, aber auch jene, die vor der Nazi-Herrschaft fliehen mussten und nirgendwo mehr richtig Fuß fassen konnten. Es sind tragische Schicksale darunter, wie das des Schriftstellers Karl Wolfskehl, der im fernen Auckland bald nach dem Krieg verbittert feststellen musste, dass er vollkommen vergessen war, ja, dass man in Deutschland offenbar nicht einmal mehr wusste, dass es ihn je gegeben hat. Er war zuvor ein bekannter Autor gewesen und Mittelpunkt der geistigen Salons seiner Zeit.
Es gibt zum Glück immer wieder Versuche, die zu Unrecht Verkannten oder Vergessenen für unsere Zeit wiederzuentdecken. Es sind auffallend viele Frauen darunter, denen der Kunstbetrieb, aber auch eine männlich dominierte Kunstgeschichte oft kaum eine Chance gab. Der vor den Nazis nach Schweden emigrierten Malerin Lotte Laserstein wird erst seit wenigen Jahren auch in Deutschland eine Wertschätzung zuteil, die ihr in ihrer Exilheimat immer entgegengebracht wurde. Viele ähnliche Schicksale warten bis heute darauf.
Geglückte Gratwanderung
Ganz anders ist das im Falle der großen Künstlerfürsten, die zu ihrer Zeit hochberühmt waren, aber bald nach der Jahrhundertwende aus dem Kanon der zeitgenössischen Kunst herausfielen. Eine künstlerische Avantgarde beherrschte seither das Feld, dem die moderne Kunstgeschichtsschreibung fast ausschließlich ihre Aufmerksamkeit schenkte. Der Berliner Bildhauer Reinhold Begas war so ein Fall. Von seinem einst repräsentativen Werk haben nur noch klägliche Reste überlebt. Oder die pompösen Vertreter der Münchner Schule? Wer kennt außerhalb Münchens heute wirklich noch Carl Theodor von Piloty, einst der einflussreichste Vertreter der realistischen Historienmalerei in Deutschland, zu dessen Schüler so berühmte Maler wie Franz von Lenbach, Hans Makart oder Franz von Defregger zählten. Lenbach hat seinen Platz im öffentlichen Leben Münchens behauptet, Makart wurde zum Inbegriff einer schwül-erotischen Illustration des inneren Orients spätbürgerlicher Wohnkultur. Und Franz von Defregger bediente die großstädtische Sehnsucht nach der bäuerlichen Welt. Sein Todestag jährt sich in diesem Jahr zum hundertsten Mal. Weil Hitler ihn besonders schätzte und seine Motive zur Ideologie der Nazizeit passten, haben ihn die Kunsthistoriker nur noch mit ganz spitzen Fingern angefasst, obwohl seine bäuerlichen Motive und Szenen aus dem Tiroler Freiheitskampf bei Reproduktionshändlern unter dem harmlosen Stichwort Romantik geführt werden und immer noch sehr beliebt sind. Fast in jedem Geschichtsbuch ist das berühmte Bild von der Heimkehr der Tiroler Landesschützen zu sehen, dessen illustrative Bedeutung die künstlerische weit überwiegt. Es ist bis heute eine Ikone des Tiroler Selbstbewusstseins geblieben.
Defregger eine Jubiläums-Ausstellung zu widmen, wie es das Tiroler Landesmuseum jetzt gemacht hat, ist daher kein unheikles Unterfangen. Die notwendige kritische Intervention muss sich mit einer Suggestivkraft von Bildern und Motiven auseinandersetzen, die in vielerlei Hinsicht überwältigend sind. Defregger war ein „brillanter Kolorist und technisch versierter Maler“, wie sich auch seine kritischsten Betrachter eingestehen müssen.
Das Tiroler Landesmuseum hat sich im wahrsten Sinne auf eine Gratwanderung begeben und ist dabei nicht abgestürzt. Die Ausstellung sortiert sehr sauber den Mythos Defregger, seinen ideologischen Missbrauch und die überraschend modernen Seiten dieses Malers, die lange übersehen wurden, weil die Bilder dazu im Privatbesitz waren. Defregger hatte eben auch in Frankreich gelernt, hatte eine heimliche Liebe zum französischen Stil, die er wohl verborgen hielt, um sein – wie der Katalog es nennt – „äußerst erfolgreiches Geschäftsmodell“ nicht zu gefährden.
Aber es gibt in dieser Ausstellung noch andere überraschende Seiten zu entdecken, wie die offenkundige Faszination dieses scheinbar so tief in seinem Tiroler Heimatboden verwurzelten Malers am Fremden und Exotischen, was freilich nur auf den ersten Blick ein Widerspruch ist. Defregger hat an diesem Image des Bauernmalers selbst kräftig gestrickt, aber er kam aus durchaus betuchten Verhältnissen, hatte den väterlichen Hof früh verkauft und wollte eigentlich nach Amerika auswandern. Fernweh und Heimweh sind manchmal eine seltsame Verbindung eingegangen.
Nur scheinbare Widersprüche
Die Ausstellung wird bei dieser Frage sogar richtig übermütig und stellt ihrem Katalog das Porträt eines Afrikaners mit weißem Kopftuch von 1862 vorweg, welches man bei Defregger wohl zuletzt erwartet hätte. Offenbar wurde darüber im Kreis der Ausstellungsmacher auch lange diskutiert; und natürlich hat man sich mit den notwendigen Bemerkungen über die Sichtbarmachung nichtweißer Menschen auch ordentlich abgesichert. Aber das verrät einen unnötigen Kleinmut, den es bei dieser Ausstellung gar nicht gebraucht hätte. Sie ist in bemerkenswerter Weise kritisch geblieben und macht doch zugleich neugierig, wie es dieses vielfach überschriebene und ideologisch vereinnahmte Werk Defreggers wohl verdient hat. Auf eine beunruhigend faszinierende Weise wird sichtbar, wie widersprüchlich, wie ambivalent diese Moderne stets war. Urbanes Leben und die Sehnsucht nach Einkehr widersprechen sich nicht; es geht auch nicht um Versöhnung und Kompensation. Wenn man von den Bildern Defreggers die Motive abkratzen könnte, käme ein Künstler zum Vorschein, der sich der ästhetischen, der wirtschaftlichen und letzten Endes der existenziellen Moderne verdankt.
Katalog zur Ausstellung
Tiroler Landesmuseum Innsbruck
Defregger. Mythos – Missbrauch – Moderne,
Katalog herausgegeben von
Peter Assmann und Peter Scholz sowie von Angelika Irgens-Defregger und Helmut Hess,
Hirmer Verlag 2020, 312 Seiten, 45 Euro
Die Tiroler Landesmuseen
werden voraussichtlich ab Montag, 8. Februar, wieder öffnen (Stand: 21. Januar). Da das Ferdinandeum montags geschlossen ist, wird die Ausstellung „Defregger. Mythos – Missbrauch – Moderne“ erst ab Dienstag, 9. Februar, zu sehen sein. Die Ausstellung wird bis zum 2. Mai 2021 verlängert.
© Antje Berghäuser rotarymagazin.de
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