Peters Lebensart
Eine Urspeise der Menschheit
Sommerzeit – Salatzeit. Frische Blätter, frische Farben, bitterer Radicchio, Lollo Rosso, Rucola, Löwenzahn oder Eisberg, dazu Radieschen, Tomaten, Paprikaschnitze. Ein Genuss, der uns so selbstverständlich geworden ist, dass wir uns kaum noch vorstellen können, dass unsere Ahnen dieser mediterranen Idee höchst skeptisch gegenüberstanden. Wir Deutschen hielten uns lieber an Luthers Diktum: „Iss was gar ist, trink was klar ist, lieb was rar ist, red was wahr ist“. Was dazu führte, dass manch altdeutscher Salat aus Gegartem bestand – Bohnen, rote Beete, Sellerie, Kartoffeln. Eine konservative Küche wie die Wiener kennt bis heute Kochsalat und könnte sich dabei auf Hildegard von Bingen berufen. Die visionäre Lieblingsernährungsberaterin hatte ganz im mittelalterlichen Zeitgeist gegen Blattsalat gewettert, dass er ohne Nährwert sei, dafür aber blähe und Verdauungsbeschwerden verursache. Übrigens – jede Indien-Reisegruppe sieht das heute noch so und meidet das Salatbuffet wie der Teufel das Weihwasser. Salatdiät ja, aber lieber zu Hause.
Paradegericht der »cucina povera«
Das Wort verrät, wo die kulturellen Wurzeln angesiedelt sind: im Italien der Renaissance. Salat, das bedeutet einfach das Gesalzene – in manch volkstümlicher Trattoria kommen bis heute zur insalata nur das Salzfässchen, Essig und Öl auf den Tisch. Hinter dem Konzept Salat steht eine geistige Welt: Er ist das Paradegericht der cucina povera, der „armen Küche“ der erntefrischen Zutaten, die schnell und schonend zubereitet werden. Dieses Denken ist typisch für den culinary turn der Renaissance, als die Gewürzpreise verfielen und es schicker wurde, Einheimisches als Zimt und Muskatnuss-Aromen auf den Tisch zu bringen. Freilich, ein bisschen hatten die Kochintellektuellen am „primitiven“ Image rohen Salats zu knabbern, „der ja den Tieren weggegessen wird“, so Costanzo Felice 1569. Andere wie der Mantuaner Gonzaga-Koch Giovanni Battista Vigilio kreierten üppige insalatoni, mangelnde Kochleistung mit Zutatenprunk kompensierend: Kapern, Aal, Pökelzunge, Orangenblüten sollten die Schüssel aus Endivien und Kopfsalat ebenso würzen, wie Zwiebeln, Minze, Pimpernelle und teurer Zucker: Dagegen nimmt sich eine französische Salade niçoise aus dem bis 1860 italienischen Nizza fast schlicht aus! Vollends etabliert in der italienischen Hochküche war Salat mit dem eleganten Traktat „L’Archidipno overo dell’Insalata“ Salvatore Massimos, das 1627 in Venedig erschien – Salat wurde schlichtweg zur Urspeise der Menschheit erklärt, was die Kulturtheorien des Ethnologen Claude Lévi-Strauss vorwegnimmt, dass sich Küche vom Rohen zum Gekochten entwickelt habe.
Doch längst gilt in einer Welt industriell verarbeiteter Lebensmittel Rohes als der authentischere Luxus – seien es Sushi, Carpaccio oder eben Salat. Bei uns kam diese Rohkostbotschaft erstmals vor gut 100 Jahren durch die Entdeckung der Vitamine an. Ihren Durchbruch feierte sie in den 1960ern durch die Erkenntnisse zur gesunden gemüseintensiven mediterranen Diät. Bald lockte der Tourismus mit exotischen Lieblingsgerichten: Choriatiki salata, der schlichte griechische Bauernsalat aus Gurken, Zwiebeln und Tomaten wurde durch die Beigabe von Feta zur gefühlten Hauptspeise. Mondäner ist die Genese der insalata caprese: Der exilierte ägyptische König Faruk liebte Mozzarella, weil er ihn an den Büffelkäse seiner Heimat erinnerte und ließ ihn auf seinen Capriparties in radikaler Schlichtheit mit Tomaten, Basilikum und einem Hauch Olivenöl servieren. Aceto Balsamico hat als Dressing auf dieser Paarung nichts verloren – lieber sollte man auf echten Büffelmozzarella und süße reife Tomaten achten, um diesen köstlichen Sommerbissen pur genießen zu können.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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