Editorial
Einer von uns
Johann Michael Möller über die Geschichte des Rotary Magazins
Nur knappe drei Jahre – von 1930 bis 1933 – konnte der Schriftsteller Karl Wolfskehl die rotarische Monatsschrift prägen, die damals noch Der Rotarier hieß. Dann setzte die braune Machtergreifung auch diesem Wirken ein Ende. Wolfskehl erkannte früh die Zeichen der Zeit und verließ Deutschland schon einen Tag nach dem Reichstagsbrand. Ohne ihn, so schrieb unser Freund Manfred Wedemeyer in seiner verdienstvollen Geschichte über 75 Jahre Rotary in Deutschland im Jahre 2004, verlor der Rotarier bald „an Stil und Charakter“, und es dauerte dann nur noch wenige Jahre, bis das rotarische Leben in Deutschland den neuen Machthabern endgültig zum Opfer fiel.
Viele prominente Rotarier waren von den Säuberungen betroffen. Doch anders als bei Thomas Mann, der wie Wolfskehl zu den Gründungsmitgliedern des Rotary Clubs in München gehörte, war die Erinnerung an diesen großen jüdisch-deutschen Intellektuellen lange verblasst, was wohl auch mit dessen fernem Exil in Neuseeland zu tun hatte.
Bitter schrieb Wolfskehl von dort im September 1946 an Kurt Frener, den alten Bekannten aus Darmstädter Tagen: „Damals warf sie mich aus, die Heimat. Heute, ein volles Jahr nachdem das, von dem Ihr Euch als von einem Spuk oder Nachtmahr befreit fühlt, mit dem Köstlichsten der Heimat zusammengebrochen ist, hat die Heimat durchaus vergessen, dass es den deutschen Dichter Karl Wolfskehl noch gibt, wahrscheinlich vergessen, dass es ihn je gegeben hat.“
Ganz trifft dieses Urteil heute nicht mehr zu. Es gibt die Versuche, seiner zu gedenken, es sind schmale Anthologien seiner Werke wiedererschienen, und die verdienstvolle Arbeit der Biographen hat längst begonnen. Auch der Umstand, dass unser Rotary Magazin sich ganz bewusst in die Tradition Karl Wolfkehls gestellt hat, zeugt von diesen Versuchen, an das Vermächtnis eines universalen Dichters und Büchersammlers anzuknüpfen, in dessen Leben und Werk das gemeinsame jüdische und deutsche Erbe seinen wohl selbstbewusstesten Ausdruck fand. Diese Symbiose lässt sich wohl nie mehr zurückgewinnen. Selbst Wolfskehls geistiges Fundament, die große Gelehrtenbibliothek, war anders als im Falle Aby Warburgs, aber vergleichbar mit der Friedrich Gundolfs nicht mehr zu retten. Die verdienstvollen Bemühungen, sie wenigstens zu dokumentieren, wirken heute wie die verlorene Form einer einzigartigen geistigen Skulptur.
Fast auf den Tag vor siebzig Jahren starb Karl Wolfskehl, und das Rotary Magazin möchte zu diesem Anlass an seinen großen früheren Schriftleiter erinnern. Deshalb haben wir ihm nicht nur das aktuelle Heft gewidmet, sondern gedenken auch des Schicksals der rotarischen Idee in schlimmster Zeit, das gerade von einem Kreis engagierter rotarischer Freunde akribisch aufgearbeitet wird.
In der verdienstvollen, von Hermann Simon in Berlin herausgegebenen Reihe „Jüdische Miniaturen“ ist vor ein paar Jahren eine kleine Biographie Wolfskehls von Sabine Neubert erschienen, die der Rotary Verlag eigens zum 70. Todestag des Dichters in einer Sonderausgabe neu herausgibt. Diese soll ein würdiges Zeichen unserer rotarischen Erinnerungskultur sein sowie Ausdruck dafür, dass wir uns im Geiste Wolfskehls als eine weltumspannende Wertegemeinschaft verstehen. Im fernen Neuseeland liegt Karl Wolfskehl begraben. Wenigstens literarisch soll er bei uns wieder zuhause sein.
Es grüßt Sie herzlichst
Ihr
Johann Michael Möller
Herausgeber
© Antje Berghäuser rotarymagazin.de
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