https://rotary.de/kultur/tonkuenstler-und-frueher-medienstar-a-5388.html
Vor 150 Jahren wurde der Komponist und Dirigent Richard Strauss geboren

Tonkünstler und früher Medienstar

Eberhard Straub16.06.2014

Ein jüngerer Komponist sagte mir: ‚Es ist so schwer, heute immer noch etwas Neues zu finden‘! Ich musste erwidern: warum wollen Sie denn durchaus etwas Neues finden? Es gibt doch gar nichts Neues??… Neu ist nur jede Persönlichkeit und die Art, ihre Erfindung, Erlebnisse und Gedanken in künstlerische Werke umzusetzen. Jeder drücke, was ihn bewegt nur einfach auf seine Weise aus, und die bescheidenste Gabe wird den Reiz des Besonderen, nie Dagewesenen in sich bergen. Wenn er nur möglichst wahrhaftig sich selbst ausspricht, bringt er einen neuen Baustein zur Kulturgeschichte der Menschheit. Je größer das Individuum, das sich künstlerisch betätigt, desto bedeutungsvoller das von ihm produzierte Kunstwerk“.

So äußerte sich Richard Strauss während der heftigen Debatten um die neue Musik und die Krise der Oper nach dem Ersten Weltkrieg. In diesem praktischen Rat verbirgt sich aber zugleich eine Bestimmung seines eigenen Ranges, da Jüngere ihn indessen als Überbleibsel aus der Welt von Gestern einschätzten, die indessen als veraltet zusammengebrochen war. Richard Strauss, vor 150 Jahren am 12. Juni geboren, hatte mit neuen Klängen und Instrumentalmischungen im Orchester experimentiert, um die adäquaten Farben im poetischen Tongemälde zu finden, oder mit überraschenden Kombinationen die dramatische Wahrheit in den Opern davor zu bewahren, von der Macht der Bühnenbilder erdrückt zu werden.

Richard Strauss galt daher lange durchaus als Neuerer, Moderner oder Avantgardist. Doch mit solchen Charakterisierungen konnte er wenig anfangen. Er fühlte sich – ganz selbstbewusst – als Einziger in seinem Eigen-Tum. Er schloss sich in der Jugend keinen Schulen an, gründete später keine Bewegungen um sich. Kaum ein Musiker zuvor hatte schon als junger Mann die Aufmerksamkeit fast aller großen und einflussreichen Komponisten, Dirigenten, Kulturbeamten oder Journalisten gefunden, die mit Wohlwollen seine Entwicklung förderten. Dennoch achtete er sehr genau darauf, von keinem abhängig zu bleiben und stellte bald eine freundliche Distanz her, die ihm im Rahmen der Höflichkeit seine Freiheit ließ, obschon er nie vergaß, was er anderen verdankte. Ihn beschäftigte bei jedem Werk die poetische Idee, das Drama, für das er die entsprechenden Mittel suchte, um es so klar und lebendig wie möglich zu vergegenwärtigen.

DIE KUNST ALS WARE

Sein Stolz lag darin, wie Mozart den Anforderungen jeder Gattung gerecht zu werden. Gegner warfen ihm vor, ein reiner Virtuose zu sein, ein Techniker, der im technischen Zeitalter mit ausgeklügelten Industrieprodukten für Sensationen und effektvolle Unterhaltung sorge. Unverhohlen bekannte er sich zu dem deutschen Kalauer, Kunst kommt von Können. Ihn verdrossen Pfuscherei und sogenannte Genialität. Er wollte im handwerklichen Sinn ein Meister werden, und das bedeutete, mit immer neuen Meisterwerken zu überraschen. In diesem Sinne begriff er sich als Neuerer, unabhängig von den vieldeutigen Schlagworten Moderne und Modernisierung. Handwerklichkeit und Meisterlichkeit gehörten auch zu seiner Solidität und Bürgerlichkeit als Lebens- und Bildungsform. Beides war Ausdruck eines Arbeitsethos. Wer gut arbeitet, hat allerdings ein Recht auf einen angemessenen Lohn. Als kunstgewandter Arbeiter und unternehmender Bürger wollte er Geld, viel Geld verdienen. Die unbezahlbare Kunst sollte ihn reich machen. Daraus machte er nie einen Hehl.
Diese „Industriegesinnung“ warfen ihm manche als materialistisch vor, die dabei jedoch vergaßen, dass auch Mozart, Beethoven, Schiller oder Goethe sehr genau ihren Wert kannten und mit ihm rechneten. Strauss erwies sich als ganz modern, indem er nicht damit haderte, dass im Zeitalter des Kapitalismus die Kunst zu Ware wurde und verkäuflich sein musste, sondern versuchte, für den Komponisten und Musiker unter solchen Voraussetzungen die für ihn besten Arbeits- und Verkaufsbedingungen zu schaffen. Der Individualist Strauss, der an stattliche Einkünfte und Gewinne dachte, wirkte als Kulturfunktionär in Vereinigungen und Gremien eben für die Künstler überhaupt, wenn er sich zeit seines Lebens für besseren Urheberschutz einsetzte, für angemessene Honorare und Tantiemen bei den mannigfachen Verwertungen musikalischer Werke. In schlechter Bezahlung oder unredlichem Umgang mit dem einzigartigen musikalischen Kunstwerk, das in seiner jeweiligen Aufführung, in der Reproduktion, seine Lebensfähigkeit und Lebendigkeit bestätigt, erkannte er eine Verachtung des Geistes und der schöpferischen Phantasie.

Der Künstler war auf den Kulturbetrieb angewiesen, von dem und in dem er lebte. So wurde Strauss nach Verdi der geschickteste Produktmanager auf dem weltweiten Musikmarkt. Er komponierte nur in den Sommermonaten. Zwei Drittel des Jahres arbeitete er als Dirigent und Beamter. Seine Karriere führte ihn von München nach Meinigen, Weimar und Berlin, zuletzt nach Wien. Er kam seinen dienstlichen Verpflichtungen gewissenhaft nach, freute sich am Einstudieren auch mittelmäßiger Werke, aber begann von vornherein, mit Reisen und Gastauftritten seinen Ruhm zu verbreitern und sein Ansehen zu steigern. Um 1904 ist er nicht nur der berühmteste Komponist seiner Zeit, sondern auch der weltweit bekannteste Dirigent – der in New York, Chicago, Buenos Aires, in London und Paris und Mailand wie ein Weltwunder gefeiert und bezahlt wird. Der königlich-preußische Kapellmeister und Generalmusikdirektor suchte aber, seit der sensationelle Erfolg der „Salome“ ihn ab 1905 reich gemacht hatte, seine Verpflichtungen in Berlin möglichst bei gleichem Gehalt zu reduzieren. Auch darin ganz modern. Das gelang ihm, weil Wilhelm II. auf dieses schreckliche, aber weltweit angestaunte Fabelwesen nicht verzichten konnte und ihm deshalb Privilegien einräumte, die sonst nur großen Tenören oder Primadonnen gewährt wurden.

Richard Strauss ist der erste richtige Mediendirigent, in Bildern überall präsent, obschon er als Bürger sorgsam darauf achtete, nicht mit privaten Skandalen aufzufallen. Die öffentliche Person trennte er vollständig von der privaten. Dennoch dramatisierte er in den Tondichtungen „Ein Heldenleben“ oder „Symphonia domestica“ ungeniert sein Privatleben, ja brachte in der Oper „Intermezzo“ 1924 seine kurze Ehekrise auf die Bühne. Das wurde von vielen Bürgern als unschicklich kritisiert. Doch Strauss verarbeitete nur einen Einfall, eine poetische Idee, jeder konnte die häusliche Symphonie wie eine Symphonie hören, der sie formal glich. „Intermezzo“ war unabhängig vom privaten Sujet der Versuch, den zeitgenössischen Alltag mit der Oper zu versöhnen. Insgesamt war Richard Strauss nichts so unerquicklich wie Künstlerdramen oder die Bohème. Für diesen Einzelgänger, der sich als unzeitgemäß verstand wie Nietzsche, der Philosoph aller modernen Unzeitgemäßen, waren der Bürger, der Funktionär, der Dirigent, der Beamte nur Masken, um sich selbst und seine unerschöpfliche Individualität vor der Neugierde zu schützen. Darin eiferte er Goethe nach, seinem großen Vorbild in Kunst und Leben.

In Hugo von Hofmannsthal fand Strauss einen Geistesverwandten. Beide bewunderten Wagner, den dramatischen Dichter, dem sie nicht nachfolgen konnten, ohne Epigonen zu werden, um den sie einen Bogen schlagen mussten, ihn dennoch immer im Auge behaltend. Die ungemeine Modernität der Werke, die in der Zusammenarbeit dieser denkenden, miteinander streitenden und nach dem gleichen Ziel strebenden Künstlern entstanden, ergibt sich aus der Absicht, auf die Oper vor Wagner zurückzugreifen.

SCHÖPFERISCHE RESTAURATION

Beide begriffen die Kunst als eine geschichtliche Erscheinung, in der viele Formen aufsteigen und verbraucht werden. Sie sahen sich als Erben vieler Traditionen. Es schien ihnen am besten, um von deren Last nicht erdrückend belästigt zu werden, mit dieser Vergangenheit zu spielen und aus allen möglichen historischen Elementen, in neue Zusammenhänge gebracht, ein ungewohntes Drama zu gewinnen. Solche geistreiche Spiegelungen nannte Hofmannsthal eine schöpferische Restauration. Beiden missfiel die historische Oper und das Kostümstück. Sie strebten danach, aus dem Drama zu einem jeweils neuen Stil zu finden, der das Drama wahr und lebendig machte. Diese Stilbewusstsein war ein Ausdruck der seelischen Empfänglichkeit und Unruhe der beiden Nervösen in einer Moderne, die sich über ihre Neurasthenie definierte. Darüber gelang es Strauss und Hofmannsthal, Gegenwart und Geschichte zu versöhnen, die Moderne und die Vormoderne sowie die Postmoderne spielerisch aufeinander zu verweisen.

Auch nach dem Tode Hofmannsthals folgte Richard Strauss diesem Weg. Er mutete dem Publikum viel zu, nicht allein zu hören, sondern zu denken und sich auf seine Kombinationen einzulassen. Die meisten seiner Opern waren zuerst kein großer Erfolg. Sie wurden es nach und nach und bestätigen damit das Arbeitsethos dieses dramatischen Musikers, da sie als meisterliche Werke unerschöpflich sind. Es sind letzte Opern eines Komponisten, der sich als Letzter begriff, mit dem die Geschichte der Oper trotz seiner Versuche, sie weiterzuführen, an ihr Ende gelangte. Im hohen Alter sprach er vom Opernmuseum und sah sich als dessen Teil selber rein historisch. Die „Vier letzten Lieder“ von 1948 bestätigen aufs Raffinierteste, wie sehr moderne, durchreflektierte Künstlichkeit eine überwältigende Natürlichkeit ermöglicht. Sie gehören zu den populärsten Musikwerken aus dem 20. Jahrhundert. Sie wurden dazu, weil Richard Strauss, der am 8. September 1949 starb, unbeirrbar an seinen Vorstellungen von künstlerischer Wahrheit fest hielt: „Andere komponieren – ich mache Musikgeschichte“.
Eberhard Straub
Dr. Eberhard Straub ist Historiker und Publizist. Zu seinen Büchern gehören unter anderem „Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit. Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne“ (2008, Landt Verlag) und „Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas“ (Klett-Cotta 2014). Zuletzt erschien „Das Drama der Stadt: Die Krise der urbanen Lebensformen“ (Nicolai Verlag, 2015). eberhard-straub.de