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Verschollen auf dem dunklen Erdteil

 - Verschollen auf dem dunklen Erdteil
Mungo Park am Ufer des Niger in einer zeitgenössischen Darstellung © imago images/KHARBINE-TAPABOR

Ein Vorgeschmack auf das Titelthema des Rotary Magazins 9/2021 "Alles nur geklaut? Zur Debatte um die ethnografische Sammlung aus Afrika und Asien des Humboldt-Forums in Berlin: Vor 250 Jahren, am 11. September 1771, wurde der schottische Afrikaforscher Mungo Park geboren. Seine Suche nach dem Nigerstrom gehört zu den skurrilsten Episoden der Kolonialgeschichte.

Volker Mehnert24.08.2021

Der Mann hat Nerven. Von der British African Association lässt er sich nach deren vier krachend gescheiterten Expeditionen anheuern, um endlich den wirklichen Verlauf des Nigerstromes zu erkunden und als erster Europäer die sagenumwobene Wüstenstadt Timbuktu zu betreten. Ende des 18. Jahrhunderts sind in Europa nur die Küsten des Kontinents halbwegs bekannt, ansonsten gilt Afrika als "dunkler Erdteil", der weniger durch Wissen als durch Einbildungskraft und Phantastereien beschrieben wird.

"So geographers in Africa maps / With savage pictures fill their gaps / And over inhabitable downs / Place elephants, for want of towns", schreibt der irische Satiriker Jonathan Swift treffend – Wissenslücken werden auf den Landkarten mit Elefanten und wilden Phantasiegebilden gefüllt. Ein besonderes Rätsel ist der Niger. Gibt es ihn überhaupt oder ist er bloß Legende? Ist er ein Nebenfluss des Nils oder vereint er sich mit dem Gambia, dem Senegal oder dem Kongo? Verdunstet er in der Wüste, mündet er in den Tschadsee, oder endet er gar in einem gewaltigen Mahlstrom?

Derlei Unwissen und die damit verbundene Beschränkung potenzieller Geschäftsgelegenheiten ist den expansiv denkenden Protagonisten des britischen Empire ein Dorn im Auge, und auch der schottische Arzt Mungo Park mag diese Ignoranz nicht mehr mit ansehen und träumt von persönlichem Entdeckerruhm. "Ich wollte gern ein so unbekanntes Land wie Afrika näher erforschen und den Charakter und die Lebensweise seiner Bewohner durch eigene Erfahrung kennenlernen", schreibt er später in seinem Reisebericht. Und so macht sich ausgerechnet dieser blassgesichtige Brite in einer Ein-Mann-Expedition auf den Weg ins unbekannte Afrika und balanciert dabei ständig im Bereich zwischen glühender Wüstensonne und feuchtheißem Regenwald, zwischen feindlich gesinnten Muslimen und verdutzten Schwarzafrikanern.

Zielstrebig zum "Großen Wasser"
Mit weitaus mehr Enthusiasmus als Vorbereitung und Ausrüstung landet er im Juni 1795 an der Mündung des Gambia River, um von dort aus zum Niger vorzustoßen. Mit einer Handvoll einheimischer Begleiter, einem Vorrat an Geld und Geschenken sowie mit Empfehlungsschreiben für die afrikanischen Handelspartner der Briten macht sich Mungo Park auf den Weg – ebenso naiv wie zuversichtlich: "Ich war zwar ein Fremdling in einem fremden Land, aber doch immer unter den schützenden Augen der Vorsehung, die sich selbst den Freund der Fremdlinge genannt hatte."

Unser Entdeckungsreisender lässt sich nicht bremsen durch Sandstürme, tropische Regenschauer und Überschwemmungen. Immer wieder gerät er in kriegerische Konflikte und die Wirren des innerafrikanischen
Sklavenhandels. Er reist vorübergehend im Schutz von Karawanen, lernt zum Teil die örtlichen Sprachen und die
arabische Schrift, und er geht sogar ohne jeglichen kolonialistischen Dünkel mit den Einheimischen auf die Felder zum Getreidepflanzen. Allerdings kann niemand glauben, welcher Zweck diesen spleenigen Schotten hierher führt. Es ist den Leuten nicht zu vermitteln, „dass ein Mensch bei Sinnen eine so gefährliche Reise unternehme, bloß um das Land und dessen Bewohner kennenzulernen.“

Der sonderbare Reisende wird freigiebig beschenkt von Dorfbewohnern, unter Druck gesetzt von lokalen Fürsten und von Wegelagerern ausgeplündert. Er übersteht eine wochenlange Gefangenschaft, mehrere Fieberanfälle, und er verliert seine Gefährten. Sein ganzer Besitz wird nach und nach eingetauscht, geht verloren oder wird gestohlen. Sein Ziel jedoch verliert er nie aus den Augen: „Auf der anderen Seite war mir der Gedanke, ohne den Zweck meiner Sendung erfüllt zu haben, nach England zurückzukehren, ärger als alles andere.“

Und tatsächlich erreicht er am 21. Juli 1797 bei Sego den Niger, den die Einheimischen Joliba nennen – Großes Wasser. „Ich blickte vorwärts und sah mit unendlichem Vergnügen den großen Gegenstand meiner Sendung, den majestätischen Niger.“ Als Park dem argwöhnischen lokalen Herrscher erzählt, er „habe mancherlei Gefahren ausgestanden, um den Niger zu sehen, fragte er naiv, ob es in meinem Land keine Flüsse gäbe." Dass der Strom nach Osten fließt, gibt weiterhin Anlass zu Spekulationen. Allerdings ist jetzt klar, dass kein Zusammenhang mit den westwärts fließenden Flüssen Senegal und Gambia besteht, und die ungeheure Breite des Niger legt nahe, dass er nicht in den Nil münden kann.

Der rührige Afrikaforscher reist noch eine Strecke flussabwärts, aber ohne Begleitung, ohne finanzielle Mittel und angesichts der bevorstehenden Regenzeit muss er umkehren. Mit Unterstützung eines wohlgesinnten muslimischen Sklavenhändlers und einer Karawane schafft er es bis an die Küste und mit einem kaum seetüchtigen Schiff auf absurden Umwegen über die Karibik zurück in die Heimat – zweieinhalb Jahre nach seiner Abreise. In London ist man begeistert, und sein Reisebericht wird ein Bestseller, rasch auch übersetzt ins Deutsche. Die Leser genießen die weidlich ausgemalten und vielleicht auch übertriebenen Abenteuer, aber Park berichtet auch, für die damalige Zeit erstaunlich frei von Vorurteilen, über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen, über Reichtum und Elend, und er analysiert ausführlich Ursachen und Folgen der innerafrikanischen Sklaverei.

Afrika lockt ein zweites Mal
Das Leben des Afrika-Schwärmers scheint nun in geregelte britische Bahnen zu geraten. Er lässt sich in Schottland nieder, praktiziert als Arzt, heiratet und zeugt vier Kinder. Doch der Gedanke an den fernen Kontinent lässt ihn nicht los, und so folgt er 1805 dem Ruf der britischen Regierung zu einer weiteren Expedition an den Niger. Das Rätsel von dessen Verlauf ist schließlich noch nicht geklärt. Diesmal ist die Reise besser vorbereitet und unterstützt. Fast 50 Mann begleiten den Afrikaforscher, Lasttiere und Ausrüstung sind ausreichend vorhanden. Doch Mungo Park handelt leichtsinnig und verkalkuliert sich mit dem Beginn der Regenzeit. Nur mühselig kommen sie deshalb durch überschwemmtes Land und fieberverseuchten Schlamm voran. Die Folgen sind verheerend: Ein großer Teil der Truppe stirbt, nur ein Dutzend Leute erreicht stark geschwächt den Niger bei Bamako.

Auf selbstgezimmerten und gekauften Booten geht die Fahrt des dezimierten Häufleins flussabwärts. Irgendwann
macht sich einer der Begleiter mit Parks Briefen und Zwischenberichten auf den Rückweg. "Wir haben alle unsere Sachen bereits eingeschifft", heißt es in Parks letzten Zeilen an seine Frau, "und werden in dem Augenblick, wo ich diesen Brief erledigt habe, absegeln. Ich bin nicht willens irgendwo anzuhalten oder zu landen, bis wir die Seeküste erreicht haben." Man schreibt den 16. November 1805. Danach hat niemand mehr etwas Zuverlässiges von der Expedition gehört.

Vermutlich ist Mungo Park Anfang 1806 irgendwo auf dem von ihm so ersehnten Fluss gestorben. Spätere Nachforschungen ergeben, dass er sich mit seiner restlichen Truppe zwar nicht nach Timbuktu gewagt, vermutlich aber den scharfen Knick des Niger nach Süden erreicht hat. So dürfte immerhin ihm in seiner Weltentfremdung klar gewesen sein, dass der Fluss irgendwo weiter südlich in den Atlantik mündet. In Europa erhielt man eine Bestätigung dafür erst durch eine weitere britische Expedition – ein Vierteljahrhundert später.


Weitere Themen zu den ethnografischen Sammlungen des Humboldt-Forums und die Debatte um Raubkunst aus Asien und Afrika finden Sie im Titelthema des Rotary Magazins 9/2021 oder ab 1. September hier unter rotary.de/kultur.