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Versöhnung beim Riesling

Titelthema - Versöhnung beim Riesling
Johann Heinrich Schilbach Oberwesel am Rhein mit Burgruine Schönburg, 1832 (Öl auf Leinwand) Schilbach gehört jener Generation der jüngeren Romantik an, die lange im Schatten der gedanklich geprägten Frühromantiker stand. Bekanntheit erlangte er durch seine Fähigkeit, in seiner Malerei Atmosphäre durch Lichteffekte zu erzeugen. © AKG-Images

Im Mittelrheintal kollidieren Romantik und Moderne, und sie verschmelzen in einer Synthese aus Vergangenheit und Gegenwart.

Volker Mehnert01.08.2021

Am Rheinufer zwischen Rüdesheim und Koblenz ist ein innerer Konflikt programmiert. Denn was soll man denn bloß von dieser Flusslandschaft halten? Im Hinterkopf tönen die Schwärmereien von deutschen Romantikern wie Clemens Brentano, Achim von Arnim und Friedrich Schlegel. Noch euphorischer zeigten sich ausländische Besucher wie Victor Hugo und Lord Byron, die hier ein „Wunderland am Rhein“ erblickten oder gar „a blending of all beauties“, eine perfekte Cuvée der von Mensch und Natur geschaffenen Elemente. Das kulturlandschaftliche Zusammenspiel aus malerischen Flussschleifen und schroffen Klippen, beschaulichen Dörfern, steilen Weinbergterrassen und verfallenen Burgen erschien damals als Ideal einer mittelalterlichen Landschaft, die deshalb schon im 19. Jahrhundert zum beliebten Reiseziel wurde.

Das hochgelobte Landschaftsbild hat sich bis heute nicht verändert, staunt der Romantiker in uns, wenn er oberhalb von Assmannshausen im Steilhang zwischen den Rebstöcken des Höllenbergs steht. Wo der Rhein mit einem scharfen Knick seine Richtung ändert, hat die Erdgeschichte aus dem Taunusgebirge einen gewaltigen Klumpen Schiefer herausgeschält – ein idealer Untergrund für den Weinbau und eines der schönsten Panoramen am Fluss. Von hier aus schaut man weit hinein ins Mittelrheintal mit den Burgen Rheinstein und Reichenstein, Richtung Osten liegen die berühmten Rüdesheimer Weinberge Roseneck, Schlossberg und Rottland, und unten auf der Rheininsel steht einsam und stolz der Mäuseturm. Romantik pur, oder?

Der Massentourismus hinterließ Spuren

Doch im selben Augenblick verzerrt sich das eben noch harmonisch komponierte Gemälde, denn fast im Minutentakt schwimmen die schwer beladenen Binnenschiffe flussaufwärts und flussabwärts, dazu Ausflugsdampfer und Kreuzfahrtschiffe. Der geschärfte Blick erkennt die Asphaltbänder der beiden Bundesstraßen, und dann hört man auch schon das gleichmäßige Rattern der Güterzüge, das den Menschen unten in den Dörfern einen quälenden Krawall beschert. Einer der wichtigsten Verkehrsstränge Europas verläuft durchs Rheintal und vergällt dem Romantiker seine Illusionen.

Wir leben nun mal nicht in einem Freilichtmuseum und schon gar nicht im Mittelalter, ruft der Realist in uns seinem Widerpart zu. Schließlich hat auch die Unesco das Mittelrheintal nicht nur wegen seiner geografisch-topografischen Besonderheit zum Welterbe erklärt, sondern als Kriterium auch dessen Bedeutung als jahrtausendealter Verkehrsweg zwischen Mittelmeer und Nordeuropa berücksichtigt. Und dazu gehören seit fast 200 Jahren untrennbar dampfende Schiffe, dröhnende Eisenbahnen oder brummende Lastwagen. Der Mittelrhein verlangt also nach Versöhnung zwischen Romantik und Realismus, und wie könnte die auf den Hängen des Assmannshäuser Höllenbergs besser glücken als bei einem Gläschen Spätburgunder aus dieser le gendä ren Rotweinlage?

Der Friedensschluss lässt sich festigen auf dem famosen Wanderpfad des Rheinsteigs. Nach Möglichkeit bleibt man in der Höhe, denn die Ortsbilder im Tal erinnern aus der Nähe nur noch selten an verträumte Weinbaudörfer. Viel wurde geopfert in jenen für Hotels und Gastronomie glorreichen Jahren des Massentourismus, als der süße Wein in Strömen floss. Besser also, man marschiert auf der rechten Rheinseite entlang so wohlklingender Weinbergslagen wie Backofen, Rauschelay, Wolfsnack oder Marmorberg und blickt am gegenüberliegenden Ufer auf weltberühmte Weinberge wie den Bacharacher Hahn oder den Bopparder Hamm. Bis zu drei Meter hohe Trockenmauern säumen immer wieder den Pfad. Mühselig haben die Menschen hier Jahrhundert für Jahrhundert das Schiefergestein aufgeschichtet und kunstvoll ineinander verzahnt, um die Erde am Steilhang festzuhalten und darauf Reben anzupflanzen. Der Romantiker ist entzückt. Doch das Werk von Generationen droht an vielen Stellen nach und nach zu zerfallen. Sobald sich der Mensch aus der beschwerlichen Arbeit in den Steilhängen zurückzieht, verschwindet die Kulturlandschaft, und die Natur sorgt für eine Rückkehr zum Ausgangspunkt. Dass das 21. Jahrhundert voranschreitet, hat hier oben völlig andere Auswirkungen als unten im Tal.

Dieses Hin und Her zwischen Vergangenheit, Vorvergangenheit, Gegenwart und Zukunft prägt den Mittelrhein und macht ihn zu einer der spannendsten Landschaften in Europa. Deren Helden aber sind all die Winzer, die sich nach wie vor in ihren Steillagen quälen und wunderbare Weine hervorzaubern wie jenen Riesling Loreley Edel, eine Rarität aus einer winzigen Parzelle direkt neben der sagenumwobenen Loreley. Dort, beim Blick auf den romantisch besungenen und inzwischen massenhaft besuchten Felsen, versöhnen sich mit einem Glas Riesling endgültig die beiden Seelen in unserer mittelrheinischen Brust.


Städte

Koblenz
Hier fließen am Deutschen Eck Mosel und Rhein zusammen. Kilometerlange Uferpromenaden laden zum Spaziergang am Wasser ein.

St. Goar
Einen Kaffee trinken und dabei in Richtung Loreley-Felsen blicken? In der kleinen Stadt St. Goar kein Problem.

Ausflugstipps

Niederwalddenkmal
Oberhalb von Rüdesheim am Rhein hat man eine großartige Aussicht über den Rhein mit Blick von Hessen auf das rheinland-pfälzische Bingen. Marksburg Sie ist die einzige nie zerstörte Höhenburg am Mittelrhein und liegt oberhalb der Stadt Braubach.