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Das Bild eines Herrschers - und wie es die Nachwelt sieht

Wann ist ein König »groß«?

Eberhard Straub

Eberhard Straub04.01.2012


Das Offenhalten des Geistes für jede Größe verstand der große Schweizer Historiker Jacob Burckhardt als eine der wenigen sicheren Bedingungen des höheren geistigen Glückes. Denn unter dem Eindruck eines außerordentlichen Mannes kann man sich aus dem allgemeinen Knirpstum befreien und sich ins Große denken. Nach Ruhm und Größe, die zur Herrlichkeit Gottes gehören, mussten Könige trachten, um zu veranschaulichen, dass sie als Amtmänner Gottes ihrer Würde vollauf gewachsen waren. Dennoch gibt es nur sehr wenige Könige und Kaiser, die mit dem ehrenden Beiwort „der Große“ besonders hervorgehoben wurden. In Ehrfurcht vor Christus dem Imperator, der die Weltgeschichte lenkt, genügte das Attribut „der Weise“ oder „der Kluge“, um den ungewöhnlichen Rang etwa Alfons X. von Kastilien oder des Weltmonarchen Philipp II. von Spanien hervorzuheben. Klug und weise war auch der biblische König Salomon gewesen, das Urbild des christlichen Herrschers.
In Karl dem Großen würdigten sämtliche Europäer den Kaiser, der in Europa die Grundlagen für eine neue Ordnung nach den Jahrhunderten der Verwilderung gelegt hatte. Die Deutschen billigten eine ähnliche Bedeutung allein Otto dem Großen zu, weil er – seit 962  Kaiser – das Reich in der Nachfolge

Posthume Idealisierung: Das Gemälde „Der König überall“, von Robert Warthemüller (1886)
der karolingischen Herrschaft neu gegründet hatte. Bei den staufischen Königen und Kaisern, meist mit den Päpsten zerstritten, verhinderte die Kirche eine weltliche Überhöhung. Bei den Habsburgern stand die religiöse Spaltung im Wege, um etwa Leopold
I. dauerhaft als den Großen im Gedächtnis zu behalten, der als Sieger über Türken – und Franzosen noch einmal eine prächtige und mächtige letzte Kaiserherrlichkeit ermöglichte, die mit dem Vater Maria Theresias endete.

HISTORISCHE AUSNAHME

Erstaunlicherweise behauptete sich der preußische König Friedrich II. als „der große König“, trotz zäher Bemühungen gerade unter Deutschen, dem „bösen Manne“, wie ihn Maria Theresia nannte, Größe abzusprechen. Immerhin handelte es sich bei Friedrich erst einmal um ein regionales Phänomen, einen brandenburgischen Kurfürsten und Zaunkönig in Preußen. Sein wichtigstes Verdienst war, König von Preußen geworden zu sein, seiner Krone einen Staat verschafft und diesen zu einer Großmacht erhoben zu haben. Diese im Grunde nur für Preußen bemerkenswerten Leistungen bilden allerdings die Grundlage für eine dauernde Geschichte seines Ruhmes. Denn das Aufregende, Überraschende, den Atem Verschlagende bei diesem König war, wie er sich gegen eine Übermacht von Feinden durchsetzte und ungeachtet aller Anfechtungen – ein Beispiel gab für die wichtigsten aristokratischen Tugenden: Mut, Standhaftigkeit, Beharrlichkeit und Unerschrockenheit. Europa staunte und lernte, rasch in ihm einen neuen Römer zu bewundern, wie man ihm sonst nur im klassischen Schauspiel Racines oder in den heroischen Opern der kaiserlichen Hofdichter Apostolo Zeno oder Pietro Metastasio auf der Bühne begegnete. Er wurde sofort zu einem europäischen Ereignis.

Die Europäer schwärmten, durch Aufklärung milde gestimmt, für das kleine Glück im kleinen Paradies; sie wollten in der Welt möglichst wie in einem Landschaftsgarten empfindsam aufgeregt lustwandeln. Mit wollüstigen Schrecken erlebten sie plötzlich den Einbruch des Erhabenen in ihre dem Lebensernst entgrenzten Wirklichkeiten. Ein Heldenleben beflügelte auf einmal die Einbildungskraft der sanften Sentimentalen. Diese feierten in Friedrich den Überwinder, der zuerst einmal sich selber überwand, indem er die Flöte und die Feder bei Seite legte, zu den Waffen rief und kühn dem Mars diente wie er zuvor Apoll, der Minerva und den Musen gehuldigt hatte. Nur wer sich selbst besiegt, der vincitore de se stesso, wie ununterbrochen wieder.holt wurde, wird zum Sieger, zum Abbild idealer Tugend, wie es ihnen in Friedrich entgegentrat, den sie, von ihm begeistert, den Großen nannten. Prinz Eugen, der edle Ritter, mit dem Kronprinz Friedrich im Sommer 1734 viele unvergessliche Stunden verbracht hatte, mahnte einmal seine Offiziere: „Meine Herren, Sie haben nur eine Lebensberechtigung, wenn Sie beständig, auch in der größten Gefahr als Beispiel wirken, aber in so leichter und heiterer Wei.se, dass es Ihnen niemand zum Vorwurf machen kann“. Daran hielt sich der König.
Wie Prinz Eugen sammelte er Bilder und Bücher, las viel, kultivierte seinen Geschmack und übte sich darin, in der königlichen Kunst, der Architektur, kein unerfahrener Dilettant zu bleiben. Er musizierte, komponierte und liebte das Gespräch, um seine Seele im Austausch mit anderen zu ergänzen und zu erweitern.

Er war leicht gerührt und weinte gerne allein und mit anderen. Tränen galten ja als Ausdruck edler Menschlichkeit. Dass der alternde Philosophenkönig wenig auf seine Kleidung achtete, beim Essen kleckerte und meist schlecht rasiert war, zeichnete ihn als neuen, antiken Philosophen aus, von denen keiner auf Äußerlichkeiten Wert legte. Das schroffe Wort Friedrichs, an seine Soldaten gerichtet: „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ war nicht zynisch oder gar menschenverachtend. Das Leben ist der Güter Höchstes nicht. Das wusste jeder Christ, da wusste jeder Aristokrat, das lehrten alsbald die Revolutionäre jene Bürger, die allzu sehr am Leben hingen. Friedrich pflegte eigensinnig – darin kolossal bürgerlich – seinen In.dividualismus und konnte sich nicht frei halten von Egoismus, Hoffart und Eitelkeit. Die dazu gehören.den Gewohnheiten der Schwatzhaftigkeit, Taktlosigkeit und Pointensüchtigkeit auf Kosten anderer konnten das Ansehen des Heroen nicht trüben. Die Zeiten waren tolerant geworden. Jeder ging nachsichtig mit sich selber um und sah deshalb dem großen König manches nach. Wie jedes Individuum war der König ein vieles, alles mögliche zugleich.
Nach der herkömmlichen Herrscheridealität mussten Könige alles Sterblich-Menschliche  abstreifen. Sie mussten sich einer Idee annähern: der König zu sein, der niemals stirbt. Dieser Verpflichtung genügte Friedrich trotz einiger sehr privater Arabesken. Er wahrte immer die Majestät, in der sich die Würde der Krone und des Staates sinnbildlich offenbarte. Die bewusste Schlichtheit im Auftreten und im Gewand betonte die majestätische Würde. Karl V. und die spanischen Könige aus dem Hause Österreich hatten damit begonnen, sich so unauffällig wie möglich zu geben; sie saßen im unscheinbaren Ge.wand am Schreibtisch, Akten kommentierend, immer bei offener Tür arbeitend, damit jeder Zugang zu ihnen haben konnte. Dennoch machte die Majestät jeden zuerst einmal sprachlos. „Beruhigt Euch“, mit dieser freundlichen Aufforderung begann Philipp II. in der Regel das Gespräch. Auch der Zorn, der hingegen bei Friedrich schrecklich sein konnte, minderte die Majestät überhaupt nicht. Schließlich wurde im Dies Irae der Kirche Gott als der rextremendae maiestatis beschworen, als ein König mit einschüchternder, furchtsam machender Majestät. Die Amts- und Pflichtauffassung der Könige als erste Diener ihrer Staaten ließ sich später mühelos mit der Revolution verbinden.

Robespierre war viel reinlicher als Friedrich, aber nahm sich diesen königlichen Vorarbeiter zum Vorbild während seiner Bemü.hung, die allgemeine Wohl.fahrt, so wie er sie begriff, zu fördern. Napoleon bewunderte den König, Soldaten und Denker, den Staatsmann, ohne allerdings Friedrichs altrömisch-weise Mahnung zu bedenken: Nie zu viel. Auch mit dieser Devise blieb der König eben ein herkömmlicher König der Staatsräson, wie sie sich seit dem 14. Jahrhundert entwickelt hatte. Sonst hätte er gar nicht zum idealen König seiner Zeit erhoben werden können. Weil er keine reine Zeiterscheinung war, konnte er als der typische König weiter wirken. Friedrich war der letzte „wahre“ König des Ancien Regime. Die Revolution räumte mit den Königtum auf. Sie konnte es so leicht, weil Ludwig XVI. nur die Tugenden eines Biedermannes besaß und deshalb höchstens Mitleid ein.flößte. „Warum denn wie mit einem Besen / Wird so ein König hinausgekehrt? / Wären's Könige gewesen, Sie stünden noch alle unversehrt“. Das meinte der alte Goethe, der in seiner Jugend im gut kaiserlichen Frankfurt „fritzisch“ gesonnen war.
Eberhard Straub
Dr. Eberhard Straub ist Historiker und Publizist. Zu seinen Büchern gehören unter anderem „Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit. Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne“ (2008, Landt Verlag) und „Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas“ (Klett-Cotta 2014). Zuletzt erschien „Das Drama der Stadt: Die Krise der urbanen Lebensformen“ (Nicolai Verlag, 2015). eberhard-straub.de