Porträt
An den Schnittstellen dieser Welt
Nach Wanderjahren durch die Landes- und Bundespolitik hat Tanja Gönner ihre Berufung in der internationalen Entwicklungsarbeit gefunden.
Wenn ausgerechnet eine Frau Afghanistan als besonders faszinierend und sogar als eines ihrer Lieblingsländer bezeichnet, dann mag dies erst einmal Stirnrunzeln hervorrufen. Aber Tanja Gönner ist weder tollkühne Hasardeurin noch ausgeflippte Globetrotterin, sondern eine besonnene Person, die mit internationalen Wassern gewaschen ist. Und so berichtet sie von Menschen und Begegnungen in Afghanistan, die viele Urteile und Vorurteile über dieses geschundene Land revidieren. „Bei der Eröffnung einer Molkerei“, erzählt sie, „hoben plötzlich drei voll verschleierte Milchbäuerinnen ihre Schleier und wollten ein gemeinsames Foto mit mir.“ Doch selbst solch bewegende Momente lassen sie nicht etwa in übertriebene Schwärmerei abgleiten; bei aller Begeisterung behält Tanja Gönner den klaren Blick für die Verhältnisse.
Gespür entwickeln
Eine nüchterne Sichtweise auf die Welt ist allerdings auch unabdingbar für die Vorstandssprecherin und Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), denn mit Lieblingsländern allein darf sie sich nicht aufhalten. Als Dienstleister der weltweiten Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung und Bildungsarbeit betreut die GIZ mehr als 20.000 Mitarbeiter in 120 Ländern. Dabei richtet Tanja Gönner ihr besonderes Augenmerk auf fragile Gesellschaften und aufstrebende Staaten – und das nicht nur von ihrem Eschborner Büro mit Blick auf die Frankfurter Skyline. „Ich muss ein Gespür für die betreuten Länder bekommen, muss an die Basis und kann mich nicht nur mit Konferenzen in den Hauptstädten begnügen“, sagt sie. Ob in Ghana, Mexiko, Kolumbien oder eben Afghanistan – im Hinterland und in den Dörfern kommen die Begegnungen zustande, von denen sie besonders zehrt.
Hilfe zur Selbsthilfe ist jetzt ihr Beruf, doch ehrenamtliche Tätigkeit für andere war immer eine Selbstverständlichkeit in ihrer Familie. „Schon als Kind“, sagt sie, „habe ich zusammen mit meinen Geschwistern auf Dorffesten Stände betreut und mich für soziales Handeln eingesetzt.“ So war auch der Weg in die Politik vorgezeichnet. Über die Jugendorganisationen der CDU stieg sie in der Parteihierarchie von Baden-Württemberg auf, während sie eine Ausbildung zur Rechtspflegerin und später ein Jurastudium absolvierte, um dann in eine Anwaltskanzlei einzutreten.
Der endgültige Übergang in die Politik kam urplötzlich, als kurz vor der Bundestagswahl 2002 der Direktkandidat ihrer Partei starb und sie sich innerhalb von sieben Tagen für eine eigene Kandidatur und den Gang nach Berlin entscheiden musste.
Ein Werdegang als Umweltexpertin ihrer Bundestagsfraktion schien vorgegeben, vermutlich hätte sie in ihrem schwäbischen Wahlkreis zwanzig Jahre lang ein sicheres Direktmandat gehalten. Doch es kam anders. Zwei Jahre später holte Ministerpräsident Teufel die junge Abgeordnete als Sozialministerin nach Stuttgart; bei einer Kabinettsumbildung erhielt sie anschließend das Umwelt- und später dazu noch das Verkehrsressort. Es war die Zeit der Auseinandersetzungen um den Bahnhof Stuttgart 21. Dadurch stand sie viel stärker im Fokus der Öffentlichkeit als jeder andere Fachminister. „Aber ich liebe es, an Schnittstellen zu agieren“, sagt sie.
Und daran mangelt es bei ihrer jetzigen Tätigkeit wahrhaftig nicht. Als sie 2012 in die GIZ-Zentrale nach Eschborn wechselte, stand gerade ein kompletter organisatorischer Umbau an, der unter anderem die ehemalige Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ und den Deutschen Entwicklungsdienst DED zusammenführen sollte. Tanja Gönner brachte die unterschiedlichen Strukturen und Kulturen unter einen Hut und vernähte die heikle Schnittstelle in weniger als einem Jahr.
Rückzugsort Heimat
Seither versucht sie, die internationale Zusammenarbeit nicht in Routine und Detailfragen versinken zu lassen, sondern sie in große Themen einzuordnen: Nachhaltigkeit, Klima, Flüchtlinge oder jetzt ganz aktuell Gesundheit. Gehen nicht angesichts der weltweiten Pandemie die kleinen und großen Erfolge der Entwicklungspolitik über Nacht verloren? „Ganz im Gegenteil“, betont Tanja Gönner, wenn man es richtig gemacht habe, dann seien die Menschen und Staaten genau für solche Fälle gestärkt.
Was bleibt neben all den Reisen durch die Welt, neben dem ständigen Pendeln zwischen dem GIZ-Sitz Eschborn und den politischen Partnerinstitutionen in Bonn und Berlin noch für die Privatperson Tanja Gönner? Es ist der Rückzug in ihre schwäbische Heimat, den sie so oft wie möglich antritt. „Ich genieße die Ruhe des ländlichen Raums“, sagt sie, „und ich freue mich darauf, einfach an einer Stelle zu sitzen.“ Lesen und ein wenig wandern mit Familie und Freunden füllen die freie Zeit am Wochenende. Anschließend geht es wieder an die Schnittstellen dieser Welt.
Zur Person
Tanja Gönner (RC Frankfurt), 1969 in Sigmaringen geboren, beendete ihre Ausbildung als Rechtspflegerin, bevor sie an der Universität Tübingen Jura studierte und anschließend acht Jahre mit Schwerpunkt Insolvenzrecht als Partnerin in einer Kanzlei arbeitete. Darauf folgte ein Jahrzehnt als Landtags- und Bundestagsabgeordnete sowie als Ministerin in Baden-Württemberg. Seit 2012 leitet sie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
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