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50 Jahre Élysée-Vertrag

Freundschaften

Anlässlich des 50. Jahrestages zur Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags blickt Kerstin Dolde zurück auf die Zeit, die seither vergangen ist und zeichnet ein sehr persönliches Bild der Freundschaft beider Länder.

Kerstin Dolde23.01.2013

Drei kleine Papiere sind schon fast vergilbt. Attestation de Travail steht auf dem einen Formular, Arbeitsbescheinigung also. Certificat de Propriété – eine Aufstellung des Eigentumes – auf dem nächsten und auf einem bläulichen Formblatt ist die Bestätigung, dass der französische Kriegsgefangene Nummer 1354751 am 17. November 1948 bei seiner Entlassung 407 Francs mit nach Hause nehmen darf.

Der Kriegsgefangene Nummer 1354751 ist fünf Tage zuvor 21 Jahre alt geworden. Fünfeinhalb Jahre war er nicht mehr zu Hause, der Krieg ist auch schon drei Jahre lang vorbei. Zwischen dem 2. Juni 1946 und dem 17. August 1948 hat er, so geht aus der Attestation de Travail hervor, unter Tage gearbeitet. In den "Houillères du Bassin du Nord et du Pas-de-Calais" in der Nähe von Aniche.

Nicht nur 407 Francs hat der Kriegsgefangene Nummer 1354751 im Gepäck. Detailliert ist aufgeführt, dass er unter anderem einen Regenschirm mit sich führt, eine Brieftasche, acht Hemden und einen Pullover. Er hat zwei Paar Handschuhe und fünf Taschentücher in seinen zwei Koffern. Drei Pfund Kaffee, 500 Gramm Tabak, 15 Zigaretten und ein großes Stück Seife, einen amerikanischen Armeemantel, eine englische Blousonjacke und sechs Konservendosen.

Der Kriegsgefangene Nummer 1354751 fährt mit dem Zug in Richtung seiner thüringischen Heimat. In Hof wird er aussteigen, sich Arbeit suchen, aus dem Nichts eine Existenz gründen, die Wirtschaftswunderjahre erleben, heiraten und im Frühjahr 1963 – nur wenige Wochen nach Unterzeichnung der Élysée-Verträge zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern Deutschland und Frankreich – wird er Vater einer Tochter. Der Name des ehemaligen Kriegsgefangenen ist Wilhelm Dolde, seine Tochter bin ich.

Ich bin also ein Kind der Nachkriegszeit. Den Zweiten Weltkrieg kenne ich damit nur aus Erzählungen, aus dem Geschichtsunterricht, Büchern oder dem Fernsehen. Unwirklich und für mich nicht nachvollziehbar war der Krieg stets. Trotz persönlicher Erfahrungen als Kriegsgefangener, trotz schlechter Behandlung im Gefangenenlager: Aggressionen gegen Frankreich und die Franzosen, gegen andere Länder und Staatsbürger wurden in meinem Elternhaus nie geschürt. Ganz im Gegenteil.

Als 1982 meine damals schon langjährige Brieffreundin Marie-France das erste Mal nach Hof zu Besuch kam, wurde sie selbstverständlich freundlich empfangen. Die gesamte Familie interessierte sich für sie, ihre Schwester, ihre Eltern. Und die Väter telefonierten zusammen. Der ehemalige Kriegsgefangene 1354751 sprach ja fließend französisch. Beide Väter waren Jahrgang 1927 – und beide hatten in ihren Leben einiges durchgemacht. Monsieur Tricon musste mit Frau Marie und den drei kleinen Töchtern Marie-Rose, Marie-Therese und Marie-Alice aus Saigon fliehen und sich eine Existenz in der Nähe von Paris aufbauen. In Frankreich wurde die vierte Tochter geboren, Marie-France, meine Freundin.

Gestern, am 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Élysée-Verträge, haben wir uns eine SMS geschickt. Im vergangenen Sommer habe ich sie besucht. Die Freundschaft zu Marie-France, auch sie ist Jahrgang 1963, ist lose und fest zugleich. Viele gemeinsame Erlebnisse haben wir. Unvergessen bleibt unser gemeinsamer Fernsehabend beim WM-Spiel Deutschland gegen Frankreich. Damals 1982, die Fußballfans wissen das, das war das Spiel mit Toni Schumacher und dem K.O.-Schlag. Noch heute lächeln wir darüber. Auch wenn wir uns selten treffen, steht doch fest, dass wir den Kontakt nie abreißen lassen werden. Wir mögen und verstehen uns eben.

Dass ich heute auf mehr als 35 Jahre Freundschaft zu ihr und ihrer Familie blicken kann, dass ich Frankreich auch selbst persönlich sehr verbunden bin, ist keine Selbstverständlichkeit. Unsere Freundschaft ist ein Zeichen dafür, dass sich die Zeiten glücklicherweise geändert haben. Sie ist auch möglich durch das Bemühen um ein friedliches Miteinander in Europa. Und dieses wird entscheidend gestützt durch die auf den Élysée-Verträgen gründende nun schon 50 Jahre währende deutsch-französische Freundschaft. Die hat in Menschen, die nicht nachtragend waren, sondern in die Zukunft schauten, ein gutes Fundament.

Die Gründergeneration hatte aus der Geschichte gelernt. Sie tat alles, um Versöhnung in Freundschaft münden zu lassen. Weil diese Menschen im Anderen nicht das Fremde, sondern den Menschen sahen. Eine Erkenntnis, die heute genauso wichtig ist wie damals. Vielleicht wichtiger denn je.