Porträt
Alligatoren aus Pfullendorf
90 Prozent ihrer Arbeit sind Handwerk, sagt Susanne „Zazo“ Hackenbracht. Die haptische Erfahrung ist ihr Schlüssel zur Kunst.
Bevor man im Bodensee-Vorland bei Pfullendorf das weitläufige Gelände erreicht, das Susanne Hackenbracht mit ihrem Bildhauerkollegen und Lebensgefährten Gerold Hellwig gestaltet, ist eine öde Industrielandschaft zu passieren. Vorbei an Baggern und Lastwagen im Kiesabbau geht es hinauf zu einem Pferdehof mit großem Skulpturenpark. Der Gegensatz scheint gewaltig, ist aber keiner. Denn hier – in der „Kunststätte Kieslager 2“ – hat Kunst durchaus mit schweißtreibendem Kraftund Materialeinsatz zu tun. „Kunst macht schön“, ist Hackenbracht, die sich als Künstlerin Zazo nennt, überzeugt, aber das heißt noch lange nicht, dass die Inspiration einem als Geschenk geistigkreativer Prozesse einfach zufliegt. „Kunst ist Handwerk“ lautet der zweite Merksatz. Man kann sie buchstäblich herbeihämmern, an Schmiede und Werkbank genauso wie an der Leinwand.
Entdeckungsreise ins Handwerk
Im zarten Alter von fünf Jahren war Zazo bereits klar, dass sie Künstlerin ist und später einmal in New York ausstellen wird. Davon später mehr. Wichtig an dieser Stelle ist, dass der unbedingte Vorsatz, zunächst stimuliert von Filzstiften im Nikolaus-Stiefel, zwar zu frühen Erfolgen mit Hinterglas-Malereien führte, aber dann keineswegs zur Akademie – sondern eben in die Werkstatt. Erste Jobs führten sie als Lichttechnikerin für Events und Konzerte durch ganz Europa.
Es folgte eine Ausbildung zur Ergotherapeutin in Marburg, die zur ausgedehnten Entdeckungsreise ins Handwerk geriet: schweißen, sägen, hobeln, drucken – „das war mein Kunststudium, nur dass noch Pädagogik dazukam“, sagt Zazo, die heute gestresste Managerinnen und Manager zu Workshops wie „Kreatives Schweißen mit Schrott“ einlädt und auch im Schulunterricht Kindern einen praxisnahen Zugang zu künstlerischen Prozessen eröffnet.
Was die 54-Jährige den Tag über alles bewegt, kann hier nur angedeutet werden. Neben der Malerei liegt ein Schwerpunkt auf bildhauerischen Arbeiten, seit sie mit Cornelius Hackenbracht in Wald-Ruhestetten Ende der 1990er Jahre zwischen Schafen und Kühen einen ersten Skulpturenpark anlegte und sich die Kunst am Bau als Arbeitsgebiet erschloss. Ein früher Auftrag war ein Riesenspielplatz in Immenstadt, bei dem 50-Tonnen-Felsen aus dem Schwarzwald für eine Abenteuerlandschaft verbaut wurden.
Andere Projekte sind die Konzilstühle, die seit 2016 im Pfalzgarten Konstanz stehen, oder auch die „Stacheln“ und „Wolken“ aus farbigem Akustikschaumstoff, die eine Turnhallendecke in Villingen-Schwenningen zieren und zugleich den Lärm dämmen. Als Materialien bevorzugt sie Beton und Stahl. Beliebtes Motiv in vielfältigen Variationen und als Markenzeichen eindeutig Zazo zuzuordnen sind gelbe Haifischflossen. Aktuell war sie mit 50 Skulpturen an der baden-württembergischen Landesgartenschau in Überlingen beteiligt.
Nun aber nach New York. 2019 erhielt Zazo ein Kunststipendium nach Salem im US-Bundesstaat New York, das auf einer Partnerschaft der gleichnamigen Städte in den USA und am Bodensee beruht. Hier lernt sie die Kunstprofessorin und Bildhauerin Kristen Tordella-Williams kennen, mit der sie das Projekt „Alligator Dreams“ entwickelt, eine transatlantische Skulpturen-Kooperation. Es handelt sich um abstrahierte farbige AlligatorenKöpfe aus Kunststoff und anderen Materialien. Zum Konzept gehören auch Performances unter dem Titel „human reptiles“. Protest und Drohung zugleich gegen die Ausbeutung der Natur, werden diese Köpfe 2022 im Rahmen der 9. International Confe-rence on Contemporary Cast Iron Art in Berlin an verschiedenen Stellen im Stadtbild platziert, ein großer Alligator wird aus der Spree auftauchen.
Politische Botschaft
Verbunden damit ist auch eine politische Botschaft, die anschließt an die „Guerilla Girls“, die seit vielen Jahren in den USA gegen die Diskriminierung von Künstlerinnen in den öffentlichen Museen protestieren. Auch als „red woman artist“ setzt Zazo markante Zeichen.
Zur Person
Susanne Hackenbracht, Jahrgang 1967, ist seit über 20 Jahren weit über den Bodensee-Raum hinaus als freischaffende Malerin und Bildhauerin bekannt. Die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen stammt aus Brannenburg bei Rosenheim und lebt in Pfullendorf. Sie ist, wie ihr Lebensgefährte Gerold Hellwig, Mitglied im RC Pfullendorf-Messkirch und engagiert sich im RYLA-Team des Distrikts 1930. Wo immer es passt, ergänzt sie die RYLASeminare mit künstlerischen Aufgabenstellungen. kunst-zazo.de
Mehr Bilder von Zazo finden Sie in der Bildergalerie unter rotary.de/fotostrecke/394
Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.
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