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Es ist OPEN
Wien hat mit der Heidi Horten Collection eine Kunstadresse mehr – doch die Sammlerin starb eine Woche nach der Eröffnung.
Am 3. Juni eröffnete im ehemaligen erzherzoglichen Kanzleigebäude nach ambitioniertem Umbau ein neues Kunstmuseum: die Heidi Horten Collection. Benannt und in Szene gesetzt von der Erbin des 1987 verstorbenen Kaufhausmoguls Helmut Horten. Nur eine Woche später starb die Mäzenatin in ihrem Schloss am Wörthersee. Zur Eröffnung der Premierenausstellung mit dem Titel „OPEN“ war sie nicht gekommen, trotzdem sprachen Nachrufe übereinstimmend vom überraschenden Tod der 81-Jährigen. Sie ließ sich die Eröffnungszeremonie per Video in einen ihrer Salons oder ans Krankenbett übertragen. Aus Pietät keine Spekulationen. Die Tragik, die es bedeutet, wenn Anfang und Ende zusammenfallen, weist sofort den Weg zur Legende. Dazu gehört dann auch die Vorgeschichte der Heidi Horten Collection.
Die Albertina, Wiens Hauptort für die Präsentation von Kunst vornehmlich aus dem 20. Jahrhundert, als Nachbar für die Heidi Horten Collection, die vornehmlich Kunst des 20. Jahrhunderts präsentiert? Nein, nein, versichert man bei Hortens mit dem schönen Satz: Wo Tauben sind, fliegen auch Tauben hin. Jedenfalls hat Wien, nicht arm an Orten mit hochkarätiger Kunst, nun eine Adresse mehr. Die Ausstellung zum Start besitzt einiges, was für sie spricht.
Die erste Milliarde war faul
Die zur Sammlerin gewordene Heidi Goëss-Horten wurde 1941 als Tochter eines Graveurs – im Katalog spricht man von Maler – in Wien geboren. „Goëss“ kam zu ihrem Namen hinzu, weil sie 2015 den zehn Jahre jüngeren Adligen Karl Anton Goëss heiratete. Davor lag noch eine vierjährige Ehe mit einem französischen Blumengroßhändler. Die Scheidung von Jean-Marc Charmat vergrößerte das Vermögen nicht unbeträchtlich. Mit dem, was da insgesamt zusammengekommen war, wurde sie zeitweise mit knapp drei Milliarden Euro Österreichs reichste Frau. Doch die Milliarde, die ihr erster Mann ihr hinterließ, war faul. Der Unternehmer und Kaufhauskönig Helmut Horton hatte sein Vermögen durch Arisierungen in der NSZeit gemacht und nach dem Krieg die Kaufhauskette mit seinem Namen aufgebaut, sie noch vor seinem Tod verkauft und seiner Frau den Erlös vererbt. So wurde sie Milliardärin und immer wieder gefragt, wie viel Bereicherung an jüdischem Eigentum an ihrer ersten Milliarde klebe. 2020 gab sie endlich eine Studie in Auftrag, die diese Vorwürfe – wohlgemerkt: gegen ihren ersten Mann, nicht gegen sie – ausräumen sollte und dies auch teilweise tat. Aktiver Ariseur nein, Nutznießer ja. Angesichts dieser Vorwürfe macht sich die Stiftung der ungefähr auf 700 Bilder, Papierarbeiten, Plastiken und Videos angewachsenen Sammlung samt eigenem Präsentationsort gut – gewissermaßen als moralische Geldwäsche.
Der Name Horten verbindet sich ab jetzt mit Kunst und Mäzenatentum. Obschon die Sammlung zusammen mit Ehemann Helmut in den 70er Jahren begonnen wurde, hielt sie seinen Namen heraus. Ähnlich wie bei der Flick Collection, wo auch nur der Enkel als Kunstsammler in Erscheinung tritt und das von zwei Generationen davor mit Rüstungsproduktion in der NS-Zeit verdiente faule Geld ausgeblendet blieb.
Dass die Sammlerin auf einen Schlag 30 hochkarätige Kunstwerke bei Sotheby’s kaufte, ist schon nicht mehr Resultat einer ausschweifenden Shoppingtour, sondern die Obsession einer mit Sinn fürs Besondere handelnden Sammlerin. Die Schwerpunkte ihres Konvoluts bilden die Kunst Wiens um 1900 mit Klimt und Schiele, der deutsche und internationale Expressionismus, die Arte povera, die europäische Nachkriegskunst und die Pop-Art. Mit wichtigen Werken von Kirchner, Heckel, Nolde und Pechstein, den Protagonisten des deutschen Expressionismus, bis zu den Stars des amerikanischen abstrakten Expressionismus von Cy Twombly und Mark Rothko und der Pop-Art-Ikone Andy Warhol plus seinem jung verstorbenen Genie-Freund JeanMichel Basquiat. Mit Hauptwerken von Pablo Picasso über Francis Bacon und Damien Hirst bis Gerhard Richter spielt die Sammlung in der ersten Liga europäischer Privatsammlungen. Zur Nebengeschichte der Collection gehört die Selbstinszenierung der Sammlerin als österreichische Peggy Guggenheim. Beide ließen sich gern mit Hund fotografieren.
Viel heimische Gegenwartskunst
Die Start-Exposition mit dem Titel „OPEN“ wird auf drei Etagen präsentiert. Die Arbeiten bekommen viel natürliches Licht, aber vor allem erhalten sie viel Luft zum Atmen. So luftig gehängt, trotz des großen Bestands, ist selten eine Ausstellung. Die Disziplin zeigt kuratorisches Format, für das die ehemalige Direktorin der Galerie im Belvedere, Agnes Husslein-Arco, Miturheberin ist. Agnes Husslein hat Heidi Horten schon bei der Entwicklung der Sammlung beraten. Beide Frauen sind über die Jahre zu Freundinnen geworden. Dass auf drei Etagen nur etwa 50 von 700 Arbeiten gezeigt werden, spricht dafür, dass man einen langen Atem behalten will. Zweimal im Jahr wird es neue Ausstellungen geben. Um sich nicht zu schnell zu wiederholen, hält man noch eine Menge Hochkarätiges zurück. Außerdem wird über den Tod der Sammlerin hinaus weiter angekauft. So hat es Heidi Horten zu Lebzeiten bestimmt.
Und noch einen Extrastern hat sich die erste Ausstellung verdient: Sie präsentiert nicht nur die Unvermeidlichen, die man in der Albertina von Zeit zu Zeit auch sehen kann – Warhol, Rauschenberg, Hirst –, sondern steht mit beiden Beinen fest auf dem Terrain österreichischer Gegenwartskunst, zum Teil von Künstlern der 70er- und 80er-Jahrgänge des vergangenen Jahrhunderts. Neben zwei Skulpturen – eigentlich sind Kastenmann und Schlechter Gedanke skurrile Objekte – des älteren Österreichers Erwin Wurm, wird ein Wandteppich von Ulrike Müller gezeigt. Auf ihm sind bis an die Grenze zum Abstrakten stilisierte Tierformen zu erleben. Die Künstlerin ist 1971 in Österreich geboren und wirkt aktiv in der feministischen Künstlergruppe LTTR. Bemerkenswert ist auch die Lichtinstallation der in diesem Jahr im Alter von nur 65 Jahren verstorbenen Brigitte Kowanz. Eigentlich lässt sich über jede einzelne Arbeit ein Disput über Trends, Strömungen, Positionen der Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte bis heute führen. Und man wird vielleicht Lucio Fontanas messergeschlitze Leinwände nicht dazurechnen wollen, die es gleich in drei Varianten gibt, aber dafür zwei Kollaborationen von Andy Warhol mit Jean-Michel Basquiat auf einer Leinwand bestaunen. Glattes wird nicht geboten, Geschmack darf mitstreiten.
Angekündigt ist unter dem Titel „LOOK“ bereits die nächste Exposition ab Oktober, in der die Garderobe von Heidi Horten, die namhafte Designer für sie entworfen haben, Bildnissen von Frauen gegenübergestellt wird. So etwas klingt nicht nach Albertina, eher nach Experiment.
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