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Vorsicht vor Urlaubsbekanntschaften!

Forum - Vorsicht vor Urlaubsbekanntschaften!
Ein bisschen ekelig darf’s schon sein: Bestsellerautor Heinz Strunk findet unter anderem an Autobahnraststätten den Stoff für seine Geschichten © PR

Heinz Strunks neuer Roman "Ein Sommer in Niendorf" ist etwas für den Nachsommer im Strandkorb

Michael Hametner01.09.2022

Wenn Sie in diesem Sommer in Niendorf an der Ostsee Urlaub gemacht haben, Ihnen noch ein Spätsommer-Urlaub bevorsteht oder überhaupt ein Urlaub, der nach gutem Lesefutter ruft, dann habe ich etwas für Sie. Unter Verlegern gibt es die Kategorie der Bücher für Strandkorblektüre. Verleger Bernd Lunkewitz wollte bei Übernahme des Aufbau Verlags Altmeisterin Christa Wolf dafür gewinnen. Aber weder deren Bücher noch mein Vorschlag passen unter diese Überschrift. Gemeint ist als Strandkorblektüre das Seichte und leicht Verdauliche. Für meinen Vorschlag benötigen Sie etwas Mut.


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Romane von Heinz Strunk sind meist nichts für Zartbesaitete. Der Autor bestreitet, dass er sich an einer Welt des Ekels vergnügt. Er empfiehlt den Besuch einer x-beliebigen Autobahnraststätte. Dort finde man alles, was man in seinen Romanen auch findet, sagt er. Stimmt das? War die Welt seines Romans Der goldene Handschuh (2016), in der der spätere Frauenmörder Fritz Honka seine Opfer suchte, nicht sogar außergewöhnlich abseitig und widerwärtig? Gut, Strunk konnte sich darauf zurückziehen, dass alles auf Tatsachen beruht. Fritz Honka hatte es gegeben, die Kaschemme „Zum Goldenen Handschuh“ gibt es in Hamburg noch heute. Die Verfilmung des Romans drei Jahre später durch Fatih Akin fand sich als Film im Genre des Horrors wieder.

Jetzt könnte man meinen, Heinz Strunk habe das Setting gewechselt, wenn er seinen Roman Ein Sommer in Niendorf in die kleinbürgerliche Welt eines Ostseebads an der Lübecker Bucht verlegt. Dass es in Niendorf hübsch gesittet zugeht, denkt auch die Hauptfigur, der Wirtschaftsanwalt Roth, der dort für 90 Tage ein Ferienappartement mietet. Er hat sich vorgenommen, einen Roman zu verfassen. Darin will er mit seiner Familie abrechnen. Großvater und Vater waren nicht, was sie zu sein vorgaben: geniale Firmenchefs. Der Großvater entpuppte sich als ein charakterloses Schwein, Schürzenjäger und verkappter Nazi und der Vater als hoffnungsloser Träumer und – nach Schmier geld skan dal – wirtschaftlicher Bankrotteur. 66 Stunden Tonbandaufzeichnungen, die er mit seinem Vater auf dessen Totenbett gemacht hat, sollen Material für den Bestseller sein. Stellt er sich am Anfang noch Tagesziele, fünf Seiten pro Tag will er schaffen, so hängt er bald hoffnungslos hinter seinem ehrgeizigen Schreibplan zurück.

Der Grund dafür ist Breda. Ein Mann für alles. Er dreht zum Abend Hunderte tonnenschwere Strandkörbe, ist Ferienwohnungsmogul und Inhaber eines „Alkoholfeinkostdelikatessengeschäfts“. Der Autor nennt ihn einen „Platin-Multijobber de luxe“. Breda ist – und so kommt er überhaupt mit Roth in Kontakt – der Vermieter seiner Ferienwohnung. Am Anfang wird der neue Urlauber auf einen Begrüßungsschluck eingeladen, den er schlecht ausschlagen kann. Hält Roth die in den nächsten Tagen folgenden Begegnungen noch für Zufall, so muss er doch bald annehmen, dass Breda ihm auflauert. „Was für ein komischer Vogel, dieser Breda. (…) Wie so eine vertrocknete alte Oma. Besser, man geht dem aus dem Weg, der Typ zieht runter.“ So beschreibt er seine erste Ahnung. Aber er vergisst sie bald und verfällt seinem Verführer von Tag zu Tag immer mehr. Auch Bredas Freundin Simone mischt bald mit. Am Anfang des Romans sieht Roth sie mit Strunkschem Ekel: „Die Frau hat etwa die Größe eines Hydranten, breit wie groß wie lang wie tief, sehr dick, außergewöhnlich dick, über alle Maßen dick, ihr Dicksein überschattet alles (mögliche) andere.“ Am Ende des Roman erlöst jene Simone Roth aus seiner Depression und Todesbereitschaft, aber da ist er bereits ein anderer geworden. Will er nicht mehr zurück in sein Leben als erfolgreicher Wirtschaftsanwalt oder kann er es nicht – das ist die Frage.

Wo einst die Gruppe 47 wirkte

Heinz Strunk, eigentlich Schauspieler, Musiker, Kabarettist – und seit 18 Jahren auch Schriftsteller –, hat mit Ein Sommer in Niendorf eine Art norddeutsches Tod in Venedig verfasst. So charakterisiert der 60-Jährige selbst den Roman auf seiner Website und fügt hinzu: „Nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck.“ Strunk greift mit dem Vergleich zu Thomas Mann hoch, aber Pa ralle len lassen sich feststellen. Wie der Schriftsteller Gustav von Aschenbach in Manns Tod in Venedig ist Roth ein Mann aus bestem bürgerlichem Milieu, promoviert, ein Haus, zwei Eigentumswohnungen. Zwar ist er wirtschaftlich gerade durch eine Scheidung etwas angeschlagen, aber durchaus von gewisser Lebensstabilität. Sein Plan in seinem Vierteljahres-Sabbatical ist es, aus seiner Familienabrechnung einen Besteller zu machen. Wie gut, dass er dafür Niendorf gewählt hat! In diesem Kleinbürgermilieu wird er keinen treffen, den er kennt, hofft er. Überdies fand hier – was er aber erst den Gedenktafeln abliest – im Mai 1952 die fünfte Tagung der Gruppe 47 statt, an der Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Heinrich Böll, Walter Jens und das übrige Who-is-who der deutschsprachigen Nachkriegsschriftsteller teilnahmen. Als Roth an die Gruppe 47 erinnert wird, glaubt er fest, seine Wahl für Niendorf bestätigt zu sehen. Aber bald ist auch das nur Teil des Stricks, den der Autor um den Hals seiner Hauptfigur gelegt hat. Strunk schafft eine schöne Fallhöhe, wenn sein anfangs noch schriftstellernder Pro ta go nist am Ende dem todkranken Breda verspricht, in Niendorf zu bleiben und dessen Arbeiten als „Platin-Multijobber“ zu übernehmen. Dann sind wir im Roman-Niendorf mittendrin in Thomas Manns Tod in Venedig. Zwar biegt Strunk im letzten Moment von der Möglichkeit eines letalen Ausgangs ab, aber er schien bereits für den Helden vorgesehen zu sein. Der Schlag trifft dann eine andere Romanfigur.

Wirklich nur Fantasie?

Wie der Autor mit wenigen Sätzen auf den fauligen Grund der Dinge kommt, zeigt alles andere als abartige Fantasie, sondern eher einen genauen Blick für die Bundesrepublik von heute, zumindest für den Teil, der immer noch – wie Niendorf – westdeutsch geprägt ist. Pardon, liebe Niendorf- und andere Ostsee-Urlauber, nehmen Sie die Welt der Bücher nur als das, was sie ist: Erfindung! Außerdem: Der Autor gefällt sich nicht in der Beschreibung einer Ekel-Welt, denn genauso versteht er Pointen zu setzen, die Humor nicht auslassen. Diese Mischung ist es, die nach den Büchern von Heinz Strunk süchtig machen kann. Ein Sommer in Niendorf ist dafür bestens geeignet. Eine gute Strandkorblektüre wünscht Ihnen Michael Hametner!


 

Infos


Heinz Strunk

Ein Sommer in Niendorf

Rowohlt Verlag 2022,

240 Seiten, 22 Euro