https://rotary.de/kultur/was-treibst-du-altes-haus-a-22143.html
Forum

Was treibst du, altes Haus?

Forum - Was treibst du, altes Haus?
Drei Standorte, 800 Jahre Kunstgeschichte: Das Belvedere in Wien stiftet Identität. Hier: Das Obere Belvedere im Abendlicht © Lukas Schaller/Belvedere Wien

Das Belvedere in Wien feiert in diesem Jahr sein 300-jähriges Bestehen. Was es war, ist und sein will, strahlt auch ab auf die österreichische Identität.

Michael Hametner01.07.2023

Man betritt das Areal des Belvedere in Wien durch das dreiteilige Gartentor. Die Schmiedekunst muss man bewundern, sogar auf der Rückseite von Österreichs 20-Cent-Münze ist sie abgebildet. Nimmt der Besucher diesen Eingang von der Prinz-Eugen-Straße aus, also von oben, wird er durch eine große „300“ auf das Jubiläum eingestimmt. Diese metergroße Zahl, die da im Blumenbeet fest verankert steht, ist das erste Fotomotiv für Selfies knipsende Touristen. Tausende Gesichter in einer Stunde, die mit lächelndem Stolz sagen: Ich war hier! Pünktlich im Jubiläumsjahr zum 300-jährigen Bestehen von Schloss Belvedere, dem barocken Bau von Johann Lucas von Hildebrandt, dem Lieblingsarchitekten von Prinz Eugen. Der Bau strahlt in heller Farbe wunderbar elegant und keineswegs monumental. Ins Musikalische übersetzt könnte man die Architektur als ein Menuett bezeichnen. Erst im Inneren bestaunt der Besucher die Größe, in der 800 Jahre Kunstgeschichte versammelt sind. Sie prägen die kulturelle Identität der Zeit von den Habsburgern bis zur zweiten österreichischen Republik.

Klimt, immer wieder Klimt

2023, belvedere, wien, hametner,
Unteres Belvedere, Goldkabinett © Lukas Schaller/Belvedere Wien 

Prinz Eugen, obwohl klein und schmächtig, zog es als Offizier zum Militär. Habsburg gewann nie so viele Schlachten wie unter ihm. Die Monarchie, die er vor den Osmanen gerettet hatte, lag ihm zu Füßen. Das musste sich natürlich auch in der Pracht seiner Residenz zeigen. Ab 1712 begann in seinem Auftrag der Bau der Schlossanlage – 1723 war sie bezugsfertig. Nach dem Tod des kinderlosen Helden 1736 ging sein Besitz an eine Nichte. 1752 erwarb Kaiserin Maria Theresia das Belvedere und bestimmte es zusammen mit ihrem mitregierenden Sohn Joseph II. zum Museum. Zeichen eines aufgeklärten Absolutismus, dem die Bildung seiner Untertanen nicht egal war.

Wer durch das Datum des Jubiläums neugierig ist, wird im Unteren Belvedere zu einer Ausstellung eingeladen: „Das Belvedere – 300 Jahre Ort der Kunst“. Hier erfahre ich, dass 1891 die kaiserliche Sammlung in das neu eröffnete Kunsthistorische Museum übersiedelte und das Obere Belvedere zur Residenz für den 1914 in Sarajevo ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand wurde. Bedingt durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges war nicht sicher, dass dieser Ort den Weg zurück zum Museum findet.

Welchen Rang das Belvedere durch seine Geschichte und seine Kunstschätze für die Identität Österreichs hat, verdeutlicht der 15. Mai 1955. Dieser wichtige Tag für das Österreichbewusstsein ist auf immer mit Schloss Belvedere verbunden. Damals erhielt Österreich seine Souveränität von den alliierten Siegermächten zurück, und Außenminister Leopold Figl sprach den legendären Satz: „Österreich ist frei.“ Dass dies nicht in der Hofburg oder Schloss Schönbrunn geschah, war sicher auch davon bestimmt, dass das Belvedere 800 Jahre Kunstgeschichte zu einem Ort der nationalen Identität Österreichs gemacht hatten. Wie wichtig ein Österreichbewusstsein für das 1918 übrig gebliebene Rumpfland war, lässt sich leicht denken. Das k. u. k. Österreich-Ungarn zählte am Ende rund 50 Millionen Untertanen, das Österreich der Zweiten Republik gerade einmal neun Millionen Einwohner.

Für das Rotary Magazin hatte ich Gelegenheit zu einem längeren Gespräch (das Interview finden Sie auf rotary.de) mit Stella Rollig, der Generaldirektorin. Sie nennt „ihr“ Belvedere als das älteste Museum Wiens nicht unberechtigt einen „Kraftort im Herzen der Stadt“. Auch wenn Besucher keine Spezialisten für österreichische bildende Kunst sind, sie haben von Gustav Klimt gehört und treffen sich auf ihrem Rundgang alle im Klimt-Saal. Klimt steht bis nach Amerika, China, Japan, Indien, Australien und anderswo auf der Welt wie kein anderer Künstler für Österreich und das Belvedere.

Das Museum beinhaltet mit 24 Arbeiten die weltweit größte Sammlung von Ölgemälden Gustav Klimts, darunter die beiden Meisterwerke seiner Goldenen Periode: Der Kuss (Liebespaar) und Judith. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass fünf Bilder von Klimt 2006 den Rechtsnachfolgern ihrer einstigen Besitzer zurückgegeben werden mussten. Die Nazis hatten sie 1939 beschlagnahmt. Ich frage die Generaldirektorin, ob die Rückgabe einen Verlust für die Identität österreichischer Kunst bedeute? Für sie ist „Restitution unrechtmäßig erworbener Kunstwerke – von Raubkunst – eine moralische Pflicht“, sagt sie mir. „Diese Gemälde sind als Teil der Kunstgeschichte weiterhin präsent und gehen der Identität daher nicht verloren.“ Das berühmteste der restituierten Bilder, die sogenannte Goldene Adele, ist in der Neuen Galerie in New York City zu sehen. Rollig sagt es auffällig sachlich.

Nationale Botschaft, internationales Interesse

Im Oberen Belvedere ist derzeit eine Sammlungspräsentation zu erleben, die Kunst im Kontext der Epoche ihrer Entstehung zeigt. Die Kuratoren wollen damit ein tieferes Verständnis der Werke ermöglichen. Sie gehen in „Schau!“ – so heißt diese neue Aufbereitung der Sammlung – über einen rein kunsthistorisch-stilgeschichtlichen Zugang hinaus und widmen sich den Wechselwirkungen zwischen Kunst und Gesellschaft. Das Motto über dem Eingang des Wiener SecessionsGebäudes am Eingang zum Naschmarkt ist auch hier Leitmotiv: „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit.“ Die Frage, der nachgegangen wird, lautet: Wie prägt eine Epoche ihre Kunst? Aus der Antwort entwickelt sich ein Narrativ, das Bilder von Lucas Cranach bis zur Medienkunst von Valie Export auf einen Zeitstrahl setzt, der das politische und soziale Umfeld, Migration, internationale Vernetzung, aber auch ökonomische Rahmenbedingungen spiegelt und die künstlerische Produktion als Ausdruck der jeweiligen Zeit sieht. Dieser Umgang mit Kunst gefällt mir, aber ich sehe auch die Nachteile. Eine solche Präsentation packt das einzelne Kunstwerk zwangsläufig in allerlei Erklärungen ein und macht es zum Beleg für diese und jene Aussage.

Beim Stichwort „Österreichbewusstsein“ komme ich noch auf die Frage, ob denn das Belvedere mit seinen drei Präsentationsorten unter dem Namen Bundesmuseum so etwas wie die österreichische Nationalgalerie ist. – „In diesem Sinn“, sagt Stella Rollig, „sind alle österreichischen Bundesmuseen Nationalgalerien. Die Sammlung des Belvedere bildet österreichische Kunst- und Kulturgeschichte im internationalen Kontext ab und geht mit ihrer dynamischen Geschichte über den Begriff des Nationalen hinaus.“ Dazu passt, dass ich vor den Bildern eine babylonische Sprachverwirrung erlebe. Kaum einmal höre ich die deutsche Sprache. „Die internationalen Besucher überwiegen“, sagt mir die Generalin. Den Audio-Guide gibt es immerhin in elf Sprachen. Ich bleibe hartnäckig: „Und die Einheimischen, kommen sie?“, will ich wissen. Für sie und ihr Geschichtsbild sollte das Programm doch aufgestellt sein. „Na ja“, antwortet Stella Rollig, „mit der Pandemie und einer verstärkten Wertschätzung für das kulturelle Angebot am Wohnort ist der Anteil der Besucher aus Österreich auf fast ein Drittel gestiegen.“ Ein Drittel. Viel oder wenig?

Der Blick nach vorn

2023, belvedere, wien, hametner,
:Oberes Belvedere, Museumsraum mit Gustav Klimts „Kuss“ © Lukas Schaller/Belvedere Wien 

Im Jubiläumsjahr hat man zunächst einmal viel Kraft in aktuelle Ausstellungen gesteckt. Im Unteren Belvedere bleibe ich viel länger als beabsichtigt in der Ausstellung „Klimt. Inspired by van Gogh, Rodin, Matisse …“, die das Haus zusammen mit dem Amsterdamer Van Gogh Museum kuratiert hat. Eine beeindruckende Schau, weil sie Klimt im Kraftfeld der Großen seiner Zeit zeigt und dies mit Bildern belegt, die ich noch nie gesehen habe. Ein umfangreiches Forschungsprojekt beider Museen steht dahinter, das pünktlich zum Jubiläum mit einem ersten Resultat öffentlich wird. 90 Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen von Gustav Klimt und Künstlern seiner Zeit werden gezeigt.

Ja, die Zukunft. Bei der Digitalisierung des Sammlungsbestands ist man weit vorangekommen, aber lange noch nicht fertig. Im letzten Jahr hat man einen kühnen Sprung nach vorn machen wollen. Von Klimts Kuss wurden 10.000 digitale Puzzleteile als „Non-Fungible Tokens“ (NFT) digital produziert. Ging nicht ganz auf. Vom Museum wurde ein Kuss-Schnipsel für 1850 Euro ausgegeben, der Markt handelte es dann schon bald für nur noch 670 Euro. Immerhin hatte das alte Haus zu zeigen versucht, dass es innen keineswegs alt ist. Mit KI muss man sicher demnächst auch mehr machen: zum Beispiel Guides, die mir antworten, wenn ich sie als Besucher etwas Spezielles frage. Klar, die KI-Zeit ist erst angebrochen, aber im Belvedere noch nicht sichtbar.

Das wird kommen, da bin ich mir sicher. Das Publikum um mich herum ist jung und will digital bespielt werden. Ich meine nicht die vielen jungen Mädchen, die mit konzentriertem Blick durch die Säle gehen. Ich mache mir den Spaß und unterstelle ihnen, dass sie alle demnächst Kunstwissenschaften studieren wollen oder dieses Fach schon studieren. Wenn sie fertig sind, bewerben sie sich als Galeristinnen oder Kuratorinnen. Vielleicht in den drei Häusern des Belvedere. Durchaus möglich.

Das Interview mit Direktorin Stella Rollig lesen Sie unter rotary.de/a22081