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Wie der Schwarzwald wurde, was er heute ist
Das Freiburger Augustinermuseum holt in Wilhelm Hasemann einen Maler in unsere Gegenwart zurück, der uns viel mehr zu zeigen hat als die verführerischen Bilder einer wunderschönen Region.
Jede Landschaft hat ihre Erfinder, aber in kaum einem anderen Fall wird das so deutlich wie bei der gängigen Vorstellung vom Schwarzwald. Dessen Gesicht, seine vertraute Anmutung hat kein anderer Künstler so nachhaltig geprägt wie der Maler Wilhelm Hasemann, der ein Sachse aus Mühlberg an der Elbe war und schon in jungen Jahren das Gutachtal als seine eigentliche Heimat und seinen lebenslangen Wirkungskreis für sich entdeckte. Es ist der Blick des Fremden, der das Vertraute schafft, das sich unversehens in das Eigene wandelt. Dass der rote Bollenhut, der tatsächlich nur in drei Dörfern dieser Gegend von jungen Frauen getragen wird, zum Signet, heute würde man sagen: zur unverwechselbaren Bildmarke des Schwarzwalds wurde, verdankt sich ganz wesentlich den farbenfrohen, sonnendurchfluteten Bildern Hasemanns. Obwohl ihm selbst das zarte Goldhäubchen der Mühlenbacher Tracht zum Lieblingsmotiv wurde. Aber dass die Schauspielerin Sonja Ziemann als Schwarzwaldmädel im ersten deutschen Farbfilm nach dem Krieg diesen roten Bollenhut trug, hat ihn im Seelenhaushalt der Nachkriegszeit tief verankert. Schwarzwald und Heimatfilm gehören seither zusammen. Und diese Seelenverwandtschaft hat selbst die Bilderstürmerei der 60er Jahre überlebt, als Heimat, wie Martin Walser es einst formulierte, nur noch ein schönes Wort für Zurückgebliebenheit war.
Wir lächeln heute über solche ideologischen Ressentiments und lernen wieder, warum eine zutiefst entehrte Gesellschaft, wie die deutsche nach dem Krieg, diesen Heimatfilm brauchte. Aber zu einer Malerei, die ihm die Vorlagen dafür geliefert hat, zu der gingen wir noch sehr viel länger auf große Distanz. Wilhelm Hasemann galt, wenn man ihn überhaupt noch außerhalb seines engen Wirkungskreises kannte, als simpler Genremaler, hoffnungslos aus der Zeit gefallen, und Verfertiger einer schon zu seinen Lebzeiten längst nicht mehr heilen Welt. Was für ein Könner hingegen, was für ein großartiger Künstler er war, der bei den besten Lehrern seiner Zeit gelernt hatte, davon kann man sich jetzt in einer wunderbaren Ausstellung im Freiburger Augustinermuseum überzeugen. Sie ist für sich schon eine kleine Sensation.
Rundum gelungen, ohne jede Ideologie
Nach einem Versuchsballon jenes Hauses und einer ersten Ausstellung zum Schwarzwaldbild im Jahr 1989, der eine Hasemann-Präsentation im Gutacher Kunstmuseum folgte, gab jetzt eine umfangreiche Dauerleihgabe von 26 Bildern den Anstoß für eine neuerliche Präsentation. Sie ist, man kann es ohne Einschränkung sagen, rundum gelungen. Eine Gruppe junger Kunsthistorikerinnen unter der Leitung der neuen Direktorin des Freiburger Augustinermuseums Jutta Götzmann und der Kuratorin Mirja Straub hat sich mit Sachkenntnis und Unvoreingenommenheit des belächelten Malers angenommen, was wohltuend ist. Keine schnarrende Ideologiekritik mehr, keine sonst üblichen und immergleichen Dekonstruktionsversuche. Es ist ohnehin fast alles gesagt, was es zum Kontext dieser Art von Heimatkunst zu sagen gilt. So kann man sich wieder auf die Bilder selbst konzentrieren, auf die Fragen der malerischen Inszenierung von Heimat, der Fabrikation von Empfindungen und Erwartungen, die uns, ob man will oder nicht, auch heute noch anrühren. Das verhilft zu einem Gesamtverständnis dieses Künstlers und Schaffens, das von einem vorzüglichen Katalog unterstützt wird. Der ist nicht nur eine Augenweide geworden, sondern zeugt von einem heute seltenen Respekt vor den eigenen Museumsbeständen. Allein der Aufsatz über Funktion und Gestalt der berühmten Schwarzwaldhöfe, verfasst vom Leiter des Freilichtmuseums Vogtsbauernhof, Thomas Hafen, verrät die jahrelange gründliche Beschäftigung mit dem Thema, wie sie nur im eigenen Haus möglich ist.
Es ist nicht allein die Offenheit dieser Ausstellung auch für modernste interaktive Formen der Kommunikation, die sie so bemerkenswert macht, sondern das schlichte Bekenntnis zur eigenen Sammlungsgeschichte und zur Verankerung in Südbaden, die dem Haus einst sogar die Rolle eines Landesmuseums zuwies. Die Ausstellungspolitik solcher Museen bedeutet immer eine Gratwanderung zwischen regionalem Sammlungsauftrag und dem Anschluss an die zeitgemäßen Strömungen der heutigen Aus-stellungskultur. Die Freiburger Hasemann-Ausstellung hat diese Aufgabe mustergültig gelöst. Sie ist eben viel mehr geworden als nur die Präsentation der üblichen Bilder und hilft, einen Künstler wiederzuentdecken, der hinter seinen selbst geschaffenen Heimatikonen fast zur Gänze verschwunden war.
Man darf dabei nicht übersehen, dass der sächsische Mechanikerlehrling aus der Mühlberger Werkstatt des Vaters eine exzellente Ausbildung absolviert hat, die ihn über die wichtigsten Orte der deutschen Freilichtmalerei schließlich nach Gutach führte, wo er Berthold Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichte Die Frau Professorin, die berühmte Lorle, illustrieren sollte. War Berlin noch die erste Station einer soliden Historienmalerei, so kam Hasemann dann in Weimar unter Theodor Hagen und später in Karlsruhe mit den großen Vertretern des süddeutschen Impressionismus in Berührung. Im Strahlungskreis von Gustav Schönleber oder Hermann Baisch sind Generationen bedeutender Landschaftsmaler herangewachsen, die einen ganz eigenen Weg in die künstlerische Moderne einschlugen. Sich mit ihnen heute wieder zu beschäftigen, bedeutet viel mehr als nur regionale Liebhaberei; es hilft, jenes unglaublich vielfältige Erbe in der künstlerischen Provinz wiederzuentdecken, das einer kargen Kanonisierung der klassischen Moderne zum Opfer gefallen war.
Hasemanns Stimmungsnaturalismus
Auch diese Ausstellung über den vermeintlichen Heimatmaler Hasemann wirft grundsätzliche Fragen auf. Wie entsteht überhaupt Landschaft, was meint dieses Wort? Man wird an den Philosophen Georg Simmel erinnert, der die Landschaft als malerisches Kunstwerk sah. „Wo wir wirklich Landschaft und nicht mehr eine Summe einzelner Naturgegenstände sehen“, schrieb er 1913 im Todesjahr Hasemanns, „haben wir ein Kunstwerk in statu nascendi.“ Nicht von ungefähr spricht man von „malerischer Landschaft“ und dass sie eine jeweils eigene Stimmung besitzt. Die Kunsthistorikerin Margret Zimmermann-Degen nennt das im Katalog einen für Hasemann typischen „Stimmungsnaturalismus“, was etwas grundsätzlich anderes ist als der Vorbehalt einer „Naturillusion“. In Freiburg stellt sich daher auch die Frage nach dem Verbleib der Natur in Zeiten ihrer Verwertbarkeit. So entpuppt sich die Werkschau Hasemanns bei näherem Hinsehen auch als diskreter Appell, der restlosen Konfektionierung und Verfügbarmachung von Landschaft entgegenzutreten.
Weil Hasemann sich selbst solcher seriellen Methoden und modularer Verfahren bedient hat, wird unvermutet auch sichtbar, wie nahe sich Ästhetisierung und Kommerzialisierung von Landschaft doch sind. Die Freiburger Ausstellung hat keine devote Verbeugung vollzogen. Sie holt einen Maler in unsere Gegenwart zurück, der uns viel mehr zu zeigen hat als die verführerischen Bilder einer wunderschönen Region. Zwischen umsichtigen Bewahrern und Ewiggestrigen verlaufe ein schmaler Grat, kann man im Katalog lesen. Im Versuch, sich der Zerstörung unserer Landschaften und ihrer traditionellen Lebensformen entgegenzustemmen, war Hasemann wohl eher ein überraschend Moderner.
Infos
Ausstellung:
Wilhelm Hasemann und die Erfindung des Schwarzwalds
Augustinermuseum Freiburg im Breisgau, bis 24. März 2024;
der reich bebilderte Katalog kostet 29,95 Euro
© Antje Berghäuser rotarymagazin.de
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