Rotary Entscheider
Es geht um Verantwortung
Er übernahm den vielleicht unbeliebtesten Job Deutschlands: Engelbert Lütke Daldrup soll den Berliner „Pannenflughafen“ BER zum Erfolgsprojekt machen
"Worauf wartest du? Auf ’nen Job beim BER?", fragt ein Discounter in Berlin auf Plakaten gehässig und wirbt mit dem Slogan „Lande lieber bei uns“ um Bewerber. Der Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ (BER), an dem seit 14 Jahren gebaut wird und der ursprünglich Ende 2011 eröffnet werden sollte, muss als Vorlage für zahlreiche Scherze herhalten.
Fehlplanungen, Baumängel, Verzögerungen und immer neue Anforderungen führten dazu, dass der neue Hauptstadtflughafen statt der zunächst geplanten zwei Milliarden am Ende wohl knapp 7,3 Milliarden Euro kosten wird. Ex-Bahn-Chef Rüdiger Grube berichtete vor einigen Wochen in der Zeit über ein früheres Angebot, BER-Chef zu werden: „Es wird Sie nicht wundern, dass ich freundlich abgesagt habe.“ Angenommen hat den unbeliebten Job ein anderer: Engelbert Lütke Daldrup ist seit März 2017 Vorsitzender der Geschäftsführung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH.
Als Chef der drei Berliner Airports steht „ELD“, wie der 61-jährige Stadtplaner inoffiziell genannt wird, im Dauerfeuer zwischen Politik und Presse. Das Interview mit ihm findet in eilig bezogenen Räumlichkeiten am BER statt, da es in seinem Büro einen Wasserschaden gibt. Auch das noch. Doch den SPDler scheint so schnell nichts aus der Ruhe zu bringen. Auf dem Teppichboden stehen Aktenordner in einer Reihe, außer ihnen hat Lütke Daldrup Luftbilder, den Masterplan und ein Foto von sich mit seiner Frau und dem Bundespräsidenten mitgenommen.
Herr Lütke Daldrup, der BER wurde kürzlich als „umweltfreundlichster Flughafen der Welt“ ausgezeichnet. Können Sie über solche Witze lachen?
Es gibt mittlerweile so viele BER-Witze, dass ich sie kaum noch wahrnehme. Sie haben sich mit den Jahren ein bisschen abgenutzt. Mir gegenüber werden diese Witze aber ohnehin kaum erzählt.
Als Geschäftsführer der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH haben Sie auch die Verantwortung für den BER vor einem Jahr übernommen. Wie rettet man eine solche Großbaustelle?
Zunächst einmal haben wir uns ein realistisches Bild von der Situation verschafft, haben intensive Risiko-Workshops mit allen Beteiligten durchgeführt und geguckt, wo was fehlt. Ich habe eine Vielzahl von Einzelgesprächen mit internen und externen Experten geführt. Dadurch ist schließlich ein Bild entstanden, das zu dem Eröffnungsdatum im Oktober 2020 geführt hat. Wir wollen den BER in unternehmerischer Verantwortung eröffnen. Das heißt auch, dass wir ausreichend Sicherheitspuffer brauchen. Es geht darum, einen verlässlichen und zuverlässigen Eröffnungstermin zu nennen.
Inwiefern entscheiden Sie anders als Ihre Vorgänger, um den „Pannenflughafen“ doch noch zum Erfolgsprojekt zu machen?
Wir haben jetzt eine andere Situation als damals, weil wir mit dem Bau des Terminals und allen Planungsprozessen fertig sind. Wir befinden uns in der Phase der Prüfung und Mängelbeseitigung. Mittlerweile sind die größten Mängel behoben, alle wesentlichen Umbaumaßnahmen sind erledigt und wir beschäftigen uns nur noch mit kleinen Mängeln. Das alles unterscheidet meine Situation ziemlich stark von der, die Herr Mehdorn oder andere damals vorgefunden haben und auf deren Basis ich entscheiden kann.
Während ständig neue Hiobsbotschaften auftauchen (zuletzt zu Brandschutzproblemen und kaputten Monitoren) hat es der BER in den neuen Roman von Robert Menasse geschafft. Dort wird die Frage gestellt, wie eine europäische Hauptstadt gelingen soll, wenn die reichste und mächtigste Nation der EU es nicht einmal schafft, einen Flughafen für ihre Hauptstadt zu bauen. Stuttgart 21, Elbphilharmonie – der BER ist nur ein Beispiel von mehreren Großbaustellen, die sehr viel länger dauern und sehr viel teurer werden als geplant. Kann Deutschland einfach keine Großbauprojekte?
Bei großen Projekten hat man aufgrund der hohen Komplexität eine Menge Fallstricke zu beachten. Beim BER sind beispielsweise nachträglich mehr Flächen und ein großer Marktplatz implementiert, Fluggastbrücken für den A380 ergänzt worden und so weiter. Ein generelles Problem aller Großprojekte ist die Entwicklung der technischen Gewerke. Überall wird optimiert. Die einen kämpfen für Energieeffizienz, die anderen für besseren Brandschutz, die Dritten für eine besonders gute Schalldämmung oder Barrierefreiheit. Die Addition des einzelnen Guten führt aber nicht automatisch zu einem gesamten guten Ergebnis. Der ganzheitliche Blick fehlt. Abgesehen davon sind die Probleme mit Flughafenbauprojekten nicht neu. Auch der Flughafen München hat von der ersten baulichen Planung bis zur Fertigstellung 30 Jahre gedauert und ist dreimal so teuer geworden wie ursprünglich geplant.
Was haben Sie Bundesverkehrsminister Scheuer (CSD) erwidert, als er sagte, Berlin laufe „Gefahr, Ende 2019 gar keinen Flughafen mehr zu haben“?
Berlin hat zwei funktionierende Flughäfen – Tegel und Schönefeld. Tegel wird geschlossen werden, wenn der BER in Betrieb ist. Insofern besteht die Gefahr nicht. Berlin ist im Luftverkehr sehr erfolgreich. Wir hatten im letzten Jahr 33,3 Millionen Fluggäste, 2018 rechnen wir mit bis zu 35 Millionen Passagieren. Wir sind in den letzten 20 Jahren jedes Jahr etwa doppelt so schnell gewachsen wie der Schnitt der Republik. In Berlin haben wir mehr Ein- und Aussteiger als in Frankfurt oder München. Der BER kann nach unserer Masterplanung bis zum Jahr 2040 auf 55 Millionen Passagiere wachsen. Wir werden optimale Verknüpfungsmöglichkeiten haben und wünschen uns mehr Langstreckenverbindungen.
Luftfahrtexperten warnen, dass die Kapazitäten am BER schon nach der Eröffnung nicht ausreichen werden … Wir bauen ab diesem Jahr ein weiteres Terminal für etwa sechs Millionen zusätzliche Passagiere. Dazu werden wir den alten Flughafen in Schönefeld weiter nutzen, an dem wir 2017 über zwölf Millionen Fluggäste abgewickelt haben. Zusammengenommen wird der BER von Beginn an etwa 40 Millionen Passagiere abfertigen können.
Fliegen Sie selbst eigentlich gerne?
Das hängt ganz von der Entfernung ab, die ich reise. Neulich war ich in Hongkong, da bin ich natürlich geflogen. Innerdeutsch ist es immer die entscheidende Frage, was am besten funktioniert. Ich sitze allerdings hauptsächlich im Büro und bin gar nicht so viel unterwegs. Privat fliege ich aber sehr gerne. Ich habe schon viele Fernreisen unternommen. Im Flugzeug sitze ich dann am liebsten am Gang, weil ich das bequemer finde. Als ich mal von Nepal nach Südostasien geflogen bin, habe ich allerdings am Fenster gesessen, um besser gucken zu können. Der Himalaya von oben – das war fantastisch.
Ihr Parteifreund Klaus Wowereit sagte 2012: „Der BER ist eine Erfolgsgeschichte.“ Können Sie darüber mit ihm heute lachen?
Der BER wird am Ende eine Erfolgsgeschichte werden, wenngleich wir eine achtjährige Durststrecke zu überstehen haben. Das ist natürlich eine echte Belastung. Insofern kann man nur um Verständnis bitten.
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