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Die Grenzen der Ökonomisierung der Bildung

Falsche Kriterien

Peter Steinbach03.06.2011

Seitdem ein niedersächsischer Ministerpräsident Lehrer als „faule Säcke“ bezeichnen konnte, ohne deshalb politisch bestraft zu werden, treiben Diskussionen über Leistungskriterien im Bildungs- und Wissenschaftsbereich merkwürdige Blüten. Viele diskutieren mit und verarbeiten dabei eigene Erfahrungen, denn selbstverständlich kennt jeder Mensch einen faulen Lehrer und jeder Student einen niemals erreichbaren Hochschullehrer. In diesem Zusammenhang sind verschiedene Disziplinierungsmittel diskutiert worden, vom Dienstrecht bis zur leistungsgerechten Mittelvergabe. Immer geht es dabei um Geld – um mehr Zulagen, mehr Forschungsmittel, Prüfungsgelder, niemals um die „Zeit“ als die vielleicht knappste Ressource – und noch seltener geht es um Innovationen als Reaktion auf kritikwürdige Ausbildungsverhältnisse. Dass Geld eine zunehmende Rolle spielte, reflektierte einen Trend, der in den achtziger Jahren einsetzte und die Ökonomisierung aller Bildungseinrichtungen verstärkte. Dennoch muss man heute fragen, ob Geld wirklich ein geeignetes Mittel zur Disziplinierung angeblich fauler Lehrer und Hochschullehrer ist. Welche Rolle spielt im Gegensatz zum Geld die Anerkennung, etwa als Belohnung für Reformbereitschaft, optimale Lehre und gelungene Innovationen? Die bisher vorgelegten Vorschläge zur universitären Leistungskontrolle und -steigerung sind nur ein Beispiel. Sie konzentrieren sich vor allem auf die Verteilung knapper Mittel und zielen unter Beachtung akribisch ermittelter angeblicher „Leistungen“ auf die Vergabe zusätzlicher Mittel, in der Regel in einer Höhe, die in keinem Aufwand zur Ermittlung der Leistungskriterien steht. Diese Kriterien machen allerdings deutlich, dass es weniger um Leistungssteigerung als um die Aufteilung eines Kuchens geht, der sich aus pauschalen Zuweisungen von Sachmitteln durch übergeordnete Institutionen ergibt.

Das Volumen dieser Zuteilung orientiert sich an leicht zählbaren Leistungen (Zahl der Studierenden, Studienabschlüssen, Promotionen) und an weniger leicht zu quantifizierenden Ergebnissen wie Drittmitteln (ohne zu fragen: hartes oder weiches Geld, Mittel aus dem – inzwischen stark reduzierten – Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Forschungsgelder von Firmen, die die Suche nach eigenen technischen Innovationen häufig auslagern), auch an Publikationen (Referenz-, Gelegenheits-, Gebrauchs- oder Selbstbefriedigungsliteratur). Jedes Kriterium kann man diskutieren, und besonders heftig ereifern sich die Beteiligten über die Bewertung von Publikationen. Dabei wird deutlich, dass die Verteilung von Finanzmitteln nach Leistungskriterien unter dem Strich sehr oft höchst negative Auswirkungen auf die Arbeitsmotivation und das Betriebsklima hat. So geht die Erhöhung der eigenen Stellung nicht selten mit der Erniedrigung von Kollegen einher. Die Debatten spiegeln jeweils eigene Erfahrungen und münden in wortreiche Selbstanpreisungen ohne Verallgemeinerungswert. Gespreiztheit und Angst vor Statusverlust sind die Folge – dies alles zielt keineswegs auf die Stärkung von Forschung und Lehre, sondern führt angesichts des Aufwandes, den die Dokumentation des Fleißes verlangt, zur Vernachlässigung der Studierenden und der Nachwuchspflege. Forschung wird zum Zauberwort, nicht hingegen die Lehre, auch nicht die Nachwuchsförderung, eher schon die Weiterbildung, denn die lässt sich in klingende Münze verwandeln.

Verfehlte Mittelzuteilung

Die Kriterien der Mittelverteilung spielen mit einem Verteilungsinstrument, ohne nach den Erfahrungen zu fragen, die man andernorts mit diesem Abrechnungssystem nach Punkten gemacht hat – jeder Hausarzt klärt einen gern auf. Was unter professionellen Verteilungskämpfern wie Ärzten, die einen Topf zu verteilen haben und zugleich sich alimentieren wollen, sinnvoll sein kann, wird innerhalb der Universität aber die eigentliche Funktion verfehlen, denn es kann bei der Mittelzuteilung nach Leistungskriterien nur darum gehen, zum einen Grundvoraussetzungen der universitären Arbeit zu sichern und zum anderen notwendige Reformimpulse, die weit über die Leitbilder hinausgehen, zu stützen. Die Grundvoraussetzungen verweisen auf die Struktur der Arbeitsbereiche, die wir neuerdings „Kostenstellen“ nennen. Sie sind bestimmt durch das diesen Stellen zugeordnete Personal und durch die mit diesen Kostenstellen zu erfüllenden Aufgaben. Entscheidend wird also erst einmal sein, wie man die Grundfinanzierung unter Berücksichtigung der Personal- und Raumausstattung sowie der Funktionszuschreibung festlegt. Das gute alte Verteilungsprinzip „Kopf gleich Kopf“ und entsprechend „Kostenstelle“ hat sich nicht bewährt. Voraussetzung einer differenzierenden und keineswegs pro Kopf pauschalierenden Zuweisung von Grundfinanzierungsmitteln ist eine präzise Beschreibung und Bewertung der jeweiligen Arbeitszusammenhänge und ihrer Ausstattung, ihrer Lehrleistungen, ihrer Außen- und Selbstverwaltungsverpflichtungen. Die Wahrnehmung bestimmter Selbstverwaltungsfunktionen – von der Frauenbeauftragten bis zum Personalrat – wären hier ebenso zu berücksichtigen wie Gutachtertätigkeit,das Wirken als  Vertrauensdozent oder Herausgeber,  wissenschaftliche Beiratstätigkeit etc. etc. Die Finanzierung von Selbstverständlichkeiten (etwa die Korrektur von Arbeiten) ist aus der Grundfinanzierung zu bestreiten. Lediglich eine qualitativ besonders wegweisende und im Hinblick auf die Studienbetreuung zielführend-unterstützende Korrektur wäre zu honorieren, ob allerdings eher in Geld oder eher in Zeit, das wäre zu diskutieren. Beratungs- und Betreuungsaufwand sollte sich bei der Honorierung von Leistungen vor allem zeitökonomisch auswirken. Nun lässt sich Zeit sicherlich, wie schon Benjamin Franklin wusste, in Geld umrechnen, aber wir wissen, dass dies nur in Grenzen für Beratungs- und Betreuungsberufe gilt. Um Schüler und Studierende gut zu betreuen, Examinanden zu beraten und Prüfungen abzunehmen, brauchen die Lehrer Zeit, ein knappes Gut, das sich leider nicht durch Geld kaufen und auch nicht mit Geld kompensieren lässt. Jedenfalls haben wir vor Jahren Hörergelder abgeschafft, ohne allerdings gebührend wahrzunehmen, dass gerade deshalb viele Vorlesungen abgeschafft wurden.

Die jetzt diskutierten Leistungskriterien huldigen in erschreckendem Maße einer Tonnenideologe, die schon ganz andere politische Systeme gestürzt hat, und leistet keinen Beitrag zur Verbesserung der Qualität von Forschung, Lehre, Nachwuchspflege. Und weil sie dieser Tonnenideologie huldigen, tendieren viele Vorschläge zur Leistungskontrolle lediglich der Bescheinigung von Masse, zur Ausstellung von Fleißkärtchen. Doch Fleiß ist der „Triumph des Hinterteils über den Geist“, wusste schon der alte Fontane.

Zweifel bestehen auch angesichts der Kriterien für Forschungsdifferenzierung. Zehn Titel an selbstverlegter grauer Literatur sollen eine Monographie aufwiegen? Ich erinnere mich an graue Literatur, die hemmungslos Zeitungsausschnitte und sogar Zeitschriftenaufsätze abkupferte. Die Differenzierung zwischen Standard-Aufsatz und referenzloser Literatur ist in den Naturwissenschaften wichtig und üblich, in den Geisteswissenschaften ist diese Unterscheidung doch reine Illusion: Jeder, so könnte man fordern, der über seinen Tellerrand hinausblickt und Literatur aus einem anderen Fachgebiet zitiert, bekommt einen Fleißpunkt. Jeder, der ein ganzes Buch liest, auch. Ein Roman wird mit Zuschlägen bedacht, und beim Betreten des Lesesaals bekommt man zumindest als Hochschullehrer 0,1 Punkte. Das Problem der Drittmittel ist doch nicht die Mittelknappheit – denn die werden ja gerade aufgetürmt durch ein gutes Projekt, und können so kaum die Honorierung mit einem Punkt rechtfertigen –, sondern die Zeitvernichtung durch die Verwaltung.

Umgewichtung der Förderung

Die leistungsbezogene Mittelzuteilung sollte hingegen Defizite der Lehre, der zeitraubenden, sich manchmal über Monate erstreckenden Durchführung der Examina, beseitigen. Knappe Mittel sollen Innovationen erleichtern, diese bedürfen der Verbesserung der universitären Infrastruktur, zeitgemäßer Lehrsäle, pädagogisch sinnvoller Technik. Internationale Forschungskooperation, der Aufbau interdisziplinärer Studiengänge, Innovationen in der Lehre, Reaktionen auf neu entstandene Forschungsschwerpunkte, die Unterstützung der innerinstitutionellen Kooperation, Förderung institutionalisierter Kooperation, Postgraduiertenstudium etc., Examensbetreuung, Studierendenberatung und -betreuung, Praktika-Erschließung, Weitervermittlung, Betreuung von ausländischen Studierenden, Honorierung von Beratungsintensität oder Impulsberatungen und wie auch immer, das wäre stärker zu fördern.

Kaum Gedanken macht sich der Berechnungsvorschlag über die Förderung von grundlegenden Studieninhalten und ihrer Vermittlung, etwa in Form von Readern, die abzurechnen eine Last ist. Neue Medien kommen nicht vor, dabei wären sie dringend in die Lehre zu integrieren. Auch hier sind Gemeinkosten zur Verbesserung der Infrastruktur und der Arbeitsbedingungen zu verwenden, nicht aber zu privatisieren, denn es geht um die Universität. Die Erprobung neuer Darstellungsformen wie Ausstellungen, Videos, die Durchführung von Interviews und Vortragsmittel als Voraussetzung intellektueller Öffnung – das wäre nach Leistungskriterien zu fördern.

Die bisherigen Diskussionen zielen auf Statuserhalt, sie sind lähmend und für die Studenten und ihre Arbeitsbedingungen überhaupt nicht hilfreich, für die Nachwuchspflege und die Betreuung von Mitarbeitern in Qualifikationsstellen unerheblich und nichtssagend. Das notwendige Neue wird nicht gesichert und erschöpft sich vor allem in „Bemühenszusagen“. Aber sollte man das nicht durch Experimentierformeln und die Bereitstellung von Risikokapital für die Lehre und das Studium auffangen können?

Sollte man beispielsweise Projektkurse, die zielführend im Hinblick auf das Examen sein können, nicht besonders fördern, hingegen Veranstaltungen, die fast ein Rückfall in die alte Ordinarienuniversität sind, weniger fördern? Sollte man nicht hochschuldidaktische Experimente oder Kompetenzerweiterungen honorieren und Nichterfüllung der Regellehrverpflichtungen aufgrund von Arbeitsverträgen nicht negativ sanktionieren? Sollte man nicht zur Unterstützung von Innovationen in Lehre und Betreuung zum Instrument der Außenevaluation greifen? Man sollte also klären, was mit knappem Geld gemacht werden kann, und vielleicht auch den Mut zur genauen Kostenerfassung und Kostenabrechnung haben. Man sollte auf jeden Fall jeden Anklang an eine qualitativ völlig indifferente Tonnenideologie vermeiden. Schließlich sollten wir Selbstverwaltungskosten als Universitätsaufwendungen betrachten und mit der Zentrale abrechnen. Dies wäre durchzusetzen. Nicht zuletzt sollte man Leistungen wie Selbstverwaltung oder die Betreuung ausländischer Studenten auch zeitökonomisch differenzieren, weil diese Umrechnung die bewusste Reformorientierung erleichtert und uns veranlassen könnte, über die Zeitvernichtung nachzudenken, die wir uns tagtäglich in der Betreuung von Studierenden leisten. 

Peter Steinbach
Peter Steinbach (RC Baden-Baden) ist Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und Professor für neuere und neuste Geschichte an der Universität Mannheim. Zu seinen Büchern zählen u. a. "Der 20. Juli 1944" (Siedler 2004) und "Franz Schnabel. Der Historiker des freiheitlichen Verfassungsstaates" (Lukas 2010) www.gdw-berlin.de