Rotary Entscheider
„Führungskräfte dürfen sich nicht hinter Mitarbeitern verstecken!“
Claus J. Raidl, Präsident der Oesterreichischen Nationalbank, über Geldpolitik in stürmischen Zeiten und die Vorzüge des Rentenalters
Am Rande einer kleinen Parkanlage unweit der Universität Wien hat die Oesterreichische Nationalbank ihren Sitz. Das Büro des Präsidenten auf der Direktionsetage des Jugendstilgebäudes wirkt hell und geräumig. Die Einrichtung ist pragmatisch: ein Schreibtisch und ein Konferenztisch zwischen hohen Fenstern und moderner österreichischer Kunst an getäfelten Wänden.
Herr Raidl, Europa steht vor großen Herausforderungen: Finanzkrise, Brexit, Skandale in der Industrie, Politikwechsel in Übersee – welche Aufgaben hat die Nationalbank in solch stürmischen Zeiten?
Die Oesterreichische Nationalbank ist ja als Zentralbank Österreichs Teil des Eurosystems. Während die gesamte Geldpolitik, also zum Beispiel die Sicherung der Preisstabilität sowie die Währungspolitik, der EZB-Rat mit Gouverneur Nowotny in Frankfurt macht, liegen die Schwerpunkte der Oesterreichischen Nationalbank bei der Bankaufsicht und Finanzmarktstabilität, dem Zahlungsverkehr, der Versorgung der österreichischen Bevölkerung mit Bargeld und dem Management der Währungsreserven.
Der Brexit berührt die Aufgaben der Nationalbanken überhaupt nicht, da die Engländer ohnehin nie Mitglied der europäischen Währungszone waren. Und inwiefern Trumps Politik die europäischen Finanzmärkte beeinflussen wird, müssen wir sehen.
Beim letzten Stresstest der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde haben die österreichischen Banken nur mäßig abgeschnitten. Ist Österreich denn gegen nächste Bankenkrisen gerüstet?
Wir haben aus der letzten Bankenkrise viel gelernt und einiges verändert, zum Beispiel ist die Ausstattung der österreichischen Banken mit Eigenkapital heute deutlich besser. Trotzdem kann man in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Krisen nie ausschließen. Ich glaube aber, wir sind viel besser gerüstet als vor der letzten Krise 2008/2009. Die österreichischen Banken haben im letzten Stresstest zwar nicht die vorderen Plätze belegt, aber alle Voraussetzungen erfüllt.
Als Präsident der Nationalbank haben Sie vergleichbare Aufgaben wie ein Aufsichtsratschef, während der Gouverneur die operativen Geschäfte führt. Sie waren in der Vergangenheit mehrmals als Wirtschaftsminister für die österreichische Regierung im Gespräch. Warum ist es nie dazu gekommen?
Ich wurde gefragt, habe lange überlegt, dann aber abgelehnt. Ich wollte meine Firma damals nicht verlassen, ich hatte Böhler-Uddeholm gerade an die Börse gebracht. Und obwohl ich schon seit Studententagen politisch engagiert bin, habe ich gelernt, dass die Politik eine andere Welt ist. Die Verhaltensweisen und die dort vorherrschenden Regeln sind völlig anders als in der Wirtschaft. Selbst große Politiker scheiden meist im Zwist aus dem Amt. Als Politiker muss man nicht nur Meinungen vertreten, sondern auch Leute überzeugen, Mehrheiten organisieren. Das ist etwas völlig anderes, als nach dem Aktienrecht ein Unternehmen zu führen.
Auch Politik will gelernt sein. Deshalb halte ich nichts davon, wenn Leute aus der Wirtschaft als Quereinsteiger den anderen erzählen wollen, wie es geht. So à la „Hoppla, hier bin ich und ab sofort läuft das so und so.“
Erfolgreiche Unternehmer sind nicht zwangsläufig auch gute Politiker. Politik ist ein anderes Geschäft. Ich habe meine Entscheidung kurz bereut. Rückblickend bin ich froh, in der Wirtschaft konnte ich besser gestalten.
Haben Sie nie daran gedacht, ein eigenes Unternehmen zu gründen?
Doch, nach unserem erfolgreichen Börsengang dachte ich: Zwar werde ich gut bezahlt, aber am Ende arbeite ich für die Aktionäre. Wenn einem die Firma selbst gehört, arbeitet man für sich selbst. Das war schon eine Überlegung. Aber die Arbeit im internationalen Umfeld hat mir immer viel Freude gemacht, weltweit Produkte zu verkaufen, mit internationalen Investoren zu verhandeln. Als Unternehmer hätte man ja viel kleiner anfangen müssen. Und das eigene Risiko wäre höher gewesen.
Wobei Sie auch als Vorstand großeVerantwortung getragen haben …
Als ich Vorsitzender des Vorstandes wurde, war mir klar: Am Ende muss ich die Entscheidungen treffen und für sie die Verantwortung übernehmen. Auch wenn es eine Position ist, die sehr angenehm ist und auch Privilegien hat. Andererseits bedeutet sie, im Zweifelsfall den Kopf hinhalten zu müssen. Ich habe in meinem Leben sehr viele Investitionsentscheidungen, Akquisitionsentscheidungen und Verkaufsentscheidungen getroffen. Dafür bin ich gut bezahlt worden, musste mich aber auch zum Risiko bekennen. Ich hasse es, wenn Führungskräfte sich hinter ihren Mitarbeitern verstecken und den Schwanz einziehen, wenn es ernst wird.
Wie treffen Sie knifflige Entscheidungen?
Früher war ich rationaler als heute. Vor wichtigen Entscheidungen habe ich mir immer Pro- und Contra-Listen gemacht. Letztendlich ist nicht alles quantifizierbar. Gerade bei Akquisitions- und Personalentscheidungen habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Bauchgefühl wichtig ist. Im Laufe der Zeit ist mir das immer wichtiger geworden.
Hat Sie Ihr good feeling schon mal enttäuscht?
Natürlich, ich habe auch Fehlentscheidungen getroffen. Gerade im Personalbereich. Die richtigen Leute zu finden ist nun einmal sehr schwer. Bei großen unternehmerischen Entscheidungen wie Investitionen oder Expansionen ist aber, Gott sei Dank, immer alles gut gegangen.
Ein Vierteljahrhundert lang haben Sie Führungsaufgaben in Vorständen übernommen, seit 2008 sind Sie nun Präsident der Oesterreichischen Nationalbank – welche Art Vorgesetzter sind Sie?
Ich glaube, Mitarbeiter schätzen meinen kollegialen Führungsstil. Ich habe immer sehr viel Wert auf Teamarbeit und Diskussionskultur gelegt. Bei mir musste niemand fürchten, bei der nächsten Bonusrunde nicht berücksichtigt zu werden, nur weil er eine andere Meinung vertreten hat als ich. Jeder kann jederzeit zu mir kommen. Außerdem war mir die Weiterbildung meiner Mitarbeiter immer wichtig. Nur wer den neuesten Forschungsstand kennt, kann die richtigen Entscheidungen treffen.
Hatten Sie da Vorbilder?
Mein erster Chef war Universitätsprofessor. Von dem habe ich viel gelernt, vor allem, was persönliche Haltung, Rückgrat und Mut betrifft. Er hat auch bei Gegenwind seine Meinung vertreten. Ein anderer Vorgesetzter sagte immer zu mir: „Sie bekommen eine schöne Gage, aber Sie werden nicht fürs Ja-Sagen bezahlt.“ Das habe ich mir gemerkt und später auch so gehandhabt. Ja-Sager um sich zu scharen bringt nichts. Bei der letzten Bundespräsidentenwahl in Österreich habe ich mich für den Grünen Van der Bellen eingesetzt. Für mein Engagement habe ich viel Kritik eingesteckt, aus meiner Partei und auch von Freunden. Auf der anderen Seite gab es Lob, Menschen haben mir zu meinem Mut gratuliert. Mir ging es um die beste Lösung für unser Land. Ich bin jetzt 74 Jahre alt und daher unabhängig davon, was andere von mir halten. Mich ärgert es, wenn Menschen nicht öffentlich zu dem stehen, was sie unter vier Augen sagen. Ich habe mir immer geschworen, nicht so zu werden. „You can’t be everybody’s darling!“
Was bedeutet Ihnen die Mitgliedschaft im Rotary Club?
Während meines Auslandsjahres als Schüler in den USA hörte ich zum ersten Mal von Rotary. Der ansässige Club hatte Geld gespendet, um meinen Aufenthalt zu finanzieren, und lud mich zu einem Abend ein. Ich hielt also in Massachusetts meine allererste Rede über Österreich, inklusive Diavortrag. Der Gedanke des Rotary Clubs hat mir schon damals gefallen. Später bin ich dann beigetreten.
Es gibt so viele ambitionierte Sozialprojekte. Wir sammeln und spenden nicht einfach nur Geld, sondern besuchen die Leute vor Ort. Diese Unmittelbarkeit ist das Schöne. Ich glaube, dass es für jeden Menschen gut ist, in einer Gemeinschaft zu sein. Auch sich selbst lernt man so besser kennen. Dazu kommt, dass bei Rotary jeder jedem positiv gesinnt ist.
Es gibt dieses Basisvertrauen, anders als in einer Partei, in der jeder an die Spitze will oder den Posten des anderen anstrebt. Das schätze ich sehr.
Sie sprechen viel von Verantwortung füreinander, von Vertrauen. Inwiefern hat Sie da auch Ihre Familie geprägt?
Mein Vater war durch und durch Techniker. Er hatte keine Ahnung vom Kaufmännischen. Ich habe immer versucht, beides zu verstehen, aber von ihm habe ich ein Grundverständnis für die Technik bekommen. Meine Mutter hat uns in der schweren und entbehrungsreichen Zeit des Krieges und der Nachkriegszeit ein Heim gegeben. Meine zwei Brüder und ich sind trotz der widrigen Umstände in Sicherheit und Geborgenheit aufgewachsen. Meiner Mutter verdanke ich sehr viel. Sie selbst hat auf vieles verzichtet, um uns eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Sie hat die Familie zusammen gehalten und mir gezeigt, worauf es im Leben ankommt.
Sie haben drei Söhne – was war Ihnen bei deren Erziehung wichtig?
Meinen Söhnen habe ich versucht, diese Geborgenheit weiterzugeben. Materiell haben sie es natürlich von Anfang an gut gehabt. Sie sind in Frieden aufgewachsen. Meine Frau und ich haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass sie eine ordentliche Ausbildung machen. Ich bin sehr stolz auf sie, alle drei waren längere Zeit im Ausland und haben ihren Weg gefunden. Bei meinen fünfeinhalb Enkeln – das erste Kind meines jüngsten Sohnes ist gerade unterwegs – mische ich mich nicht in die Erziehung ein, bin aber zu jedem Einsatz bereit. Auch ihnen wünsche ich, geborgen aufzuwachsen.
Verraten Sie uns Ihr Lebensmotto?
Ich würde sagen: Nun bin ich schon einmal auf dieser Welt – dann mache ich das Beste draus.
Als Präsident der Nationalbank sind Sie bis 2018 bestellt. Was kommt danach?
2018 bin ich 76 Jahre alt – dann ist Schluss. Ich bin der Meinung, dass die alten Leute Platz machen müssen für die jüngeren. Ich werde mich dann noch mehr auf die angenehmen Dinge im Leben konzentrieren, mehr Ski fahren, wandern, lesen. Und ehrlich gesagt mag ich es auch, einfach mal im Sessel zu sitzen und in die Luft zu schauen.
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