Interview
Netzwerkerin in Sachen Frauen
Als Flüchtlingskind hatte sie nichts. Nun lebt Verlegerin Katarzyna Mol-Wolf das Leben, von dem sie einst träumte. Und setzt sich für die Gleichstellung von Frauen ein.
Dr. Katarzyna Mol-Wolf, RC Hamburg-Dammtor, ist geschäftsführende Gesellschafterin der Inspiring Network GmbH & Co. KG, Herausgeberin und Chefredakteurin der „Emotion“ sowie Herausgeberin weiterer Magazine. Zuvor war die promovierte Juristin Verlagsleiterin bei Gruner + Jahr.
inspiring-network.com
Vor ein paar Jahren hat sie ihre sehr persönliche Geschichte in einem Buch veröffentlicht. „Mit dem Herz in der Hand: Eine Geschichte über die Freiheit, das Glück, meine Mutter und mich“ (Ludwig Buchverlag) erzählt die Flucht der siebenjährigen Kasia (so ihr Spitzname) mit ihrer Mutter, einer Solidarnosc-Anhängerin, aus Polen. Deutschland wurde zu ihrer neuen Heimat, sie studierte, machte bei Gruner + Jahr Karriere. Mit 35 wagte sie den Sprung in die Selbständigkeit, kaufte dem Verlag das Frauenmagazin Emotion ab und erzählt nun in ihren Magazinen die Geschichten anderer starker Frauen.
„Wer willst du sein?“ gilt als wichtigstes Motiv und Thema Ihrer Magazine. Also: Wer wollen Sie sein?
Mit meinem eigenen Verlag lebe ich meinen Traum. „Wer will ich sein?“ war für mich 2009 die zentrale Frage, die mich letztendlich aus einer guten Position als leitende Angestellte bei Gruner + Jahr heraus in die Selbstständigkeit geführt hat. Die Frage gehört seither zum Markenkern von Emotion, weil es die Frage ist, die wir uns selbst regelmäßig stellen sollten, um zu prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Und ja: Das sind wir mit Emotion und unserem Verlag Inspiring Network! Und auch persönlich bin ich auf dem richtigen Weg: Denn für mich war es immer ein Lebenstraum, Verlegerin, Unternehmerin zu sein. Ich hätte natürlich gerne noch ein bisschen mehr Zeit für meine Familie und für mich oder private Projekte. Aber mein Weg bringt mir heute sehr viel positive Energie und Erfüllung.
Wenn Sie zurückdenken, an ihre Kindheit, in der Ihre Mutter 1981 mit Ihnen aus Polen nach Deutschland geflohen ist, an Ihre ersten Eindrücke, den Neuanfang – sind Sie die geworden, die Sie hofften zu werden?
Als Kind hatte ich tatsächlich schon den Wunsch, mein eigenes Unternehmen zu leiten. Das ist mir sozusagen in die Wiege gelegt worden. Trotzdem habe ich nach der Schule erst einmal Jura studiert und dann die Medienbranche kennengelernt und hier mein Zuhause gefunden. Erfolg ist in dieser taffen Branche heute eine Herausforderung. Wir sind auf einem guten Weg. Die Zeiten sind sehr spannend und chancenreich.
Und trotzdem heißt es seit Jahren „Print stirbt“. Sie beteiligen sich auch an digitalen Angeboten wie dem Onlinekiosk Pocketstory, verlegen aber hauptsächlich Magazine. Was ist Ihr Rezept gegen Auflagenschwund und Gratiskultur im Internet?
Ach, ich mache mir da keine Sorgen. Bücher werden gefühlt seit Jahrzehnten totgesagt und es gibt sie noch. Natürlich werden auch E-Books verkauft, aber die kommen von den Erlöszahlen nicht an die Printprodukte heran. Ich glaube, dass sich der Markt sehr verändern wird, er wird sich gesundschrumpfen. Es ist wichtig, jetzt in digitale Produkte zu investieren. Doch Print bietet etwas, was das Internet nicht hat: die Haptik, diesen speziellen Lesegenuss und damit auch einen positiv verstandenen Eskapismus. Ich bin fest überzeugt, dass Print weiterhin seinen relevanten Platz im Medienmix behaupten kann. In ein paar Jahren wird es nach wie vor Print-Magazine geben, die sehr erfolgreich sind. Sie werden jedoch sehr viel spitzer ausgerichtet sein als jetzt.
Von Ihnen stammt das Zitat: „Reine Informationen sind flüchtig. Was bleibt, sind Emotionen.“ Müssen journalistische Angebote die Menschen berühren, ist das das Geheimnis?
Es ist wichtig, die Bedürfnisse der Menschen zu verstehen. Beispiel Start-ups: Nur die werden erfolgreich, die ein spezielles Bedürfnis befriedigen. Ich muss wissen: Für wen mache ich das und was will oder auch braucht meine Zielgruppe? Ich kann mich an Zeiten erinnern ohne Internet, ohne Smartphone, in denen ich viel mehr Zeit zum Lesen hatte. Oft habe ich mir Magazine und Zeitungen gekauft, um sie einfach mal durchzublättern. Diese Zeit hat jetzt niemand mehr. Deshalb muss das Produkt heute viel überzeugender sein. Ich kaufe nur etwas, das wirklich meinen Bedürfnissen entspricht und gut gemacht ist.
Wir haben in der Redaktion sehr unterschiedliche Frauen, und mir ist es wichtig, dass sich jede von ihnen im Heft wiederfindet. Wir sind offen, rufen Leserinnen auf, uns zu schreiben, was sie bewegt. Auch über unsere Events, Veranstaltungen und unsere Social-Media-Kanäle sind wir in regelmäßigem Kontakt mit unseren Leserinnen, um mit Emotion deren Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist nicht entscheidend, über welchen Kanal wir sie erreichen. Früher gab es die Regel, dass sich ein Magazin nur ab 100.000 verkaufter Auflage lohnt. Heutzutage sind die Marktgegebenheiten anders, wir verkaufen im Durchschnitt 60.000 Stück mit Emotion – und das lohnt sich! Denn bei allem Herzblut für das Heft und die Marke sind meine Partnerin Anke Rippert und ich natürlich in erster Linie Unternehmerinnen.
Welche Geschichte hat Sie persönlich zuletzt berührt?
Berührt hat mich die Geschichte von Mark und Giulia aus der aktuellen Emotion, die sich liebten, heirateten, glücklich waren, Eltern wurden. Dann stellte sich bei Giulia auf einmal eine schwere bipolare Störung ein mit Wahnvorstellungen, Selbstmordgedanken. Nichts war mehr wie davor. Mark hat Emotion erzählt, wie er es schaffte, seiner schwer kranken Frau durch diese Zeit zu helfen und ihr die Treue zu halten. Das hat mich sehr berührt.
Bei manchen Ihrer Titelgeschichten – „Vertrau dir – und anderen!“, „Wir sind unperfekt, na und?“ (Emotion) oder „Ich will so sein, wie ich bin“ („Psychologie bringt dich weiter“) – könnte man meinen, Ihren Leserinnen fehle es an Selbstbewusstsein …
Uns ist es wichtig, mit unseren Geschichten Frauen zu entlasten. Zu sagen: So, wie du bist, bist du gut, lass dich nicht von anderen verrückt machen und lebe dein Leben, wie du es möchtest. Vertraue dir und darauf, dass du alles, was du zum Leben brauchst, in dir hast. Selbst starke Frauen haben diese Unsicherheiten. Ich glaube, Männer sind auch selbstkritisch, aber Frauen suchen schneller den Fehler zuerst bei sich selbst, wenn mal etwas nicht funktioniert, und nur wenige von uns sind fähig, sich selbst zu loben und zufrieden mit ihren Leistungen zu sein. Wir wollen dazu beitragen, dass es mehr werden.
Sie engagieren sich sehr für das Thema – bei Rotary, mit der Initiative #wasfrauenfordern oder dem „Women’s Business Day“. Warum?
Theoretisch sind wir in Deutschland schon sehr weit, sind wir Frauen gleichberechtigt, können Vorstand werden, Kinder bekommen, parallel Karriere machen. In der Praxis sind wir jedoch längst nicht gleichberechtigt. Bei der Bundestagswahl ist eine Partei drittstärkste Kraft geworden, die uns Frauen überhaupt nicht im Programm hat und gegen Migration ist. Das finde ich sehr erschreckend. Bei unserer Umfrage zu #wasfrauenfordern haben mehr als 10.000 Frauen mitgemacht, zusätzlich haben über 250 Frauen ihre Forderungen mit Namen und Foto auf www.wasfrauenfordern.de hochgeladen. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat für uns eine weitere qualitative Befragung von 750 Frauen durchgeführt. Top-Forderungen sind immer wieder die Abschaffung des Ehegattensplittings, eine stärkere finanzielle Unterstützung Alleinerziehender, Schutz vor Altersarmut, Ganztagesangebote bis hin zur Schule und bessere Konditionen in sozialen Berufen. Von der Gesellschaft wünschen sich Frauen mehr Solidarität, von der Wirtschaft flexible Arbeitszeitmodelle, Chancengleichheit in Führungspositionen, Lohngerechtigkeit.
Als Arbeitgeberin weiß ich, was flexible Arbeitszeitmodelle in der Praxis bedeuten. Wir haben 45 Mitarbeiter, davon etwa 70 Prozent in Teilzeit, und zwar nicht unbedingt, weil sie Kinder haben. Es gibt Momente, in denen ich ein Thema voranbringen möchte, aber nicht alle betroffenen Kollegen im Haus sind. Das kann kräftezehrend und stressig sein. Trotzdem ist es wichtig, Vorbild zu sein, nur so kann sich etwas verändern. Um die Frauen, die Vorstand werden wollen, oder die Freundinnen im Rotary Club, die alle tolle Jobs haben, mache ich mir keine Sorgen. Aber die vielen Frauen, die nicht so selbstbewusst sind oder in ganz anderen Rollenbildern aufwachsen und leben, brauchen die richtige Motivation oder vielleicht auch einen sanften Druck von außen, um sich zu trauen, ihren Weg zu gehen. Wir Frauen sind stark, müssen uns aber besser vernetzen und gegenseitig unterstützen.
Frauen wird gern vorgeworfen, zu emotional zu sein. Wie treffen Sie Entscheidungen, welche Rolle spielen Gefühle?
Ich habe gelernt, sehr genau auf Zahlen zu gucken, denn sie sind die Basis. Es ist jedoch ebenso wichtig, auf den Bauch zu hören – und beides in einen guten Gleichklang zu bringen. Auf die eigene Bauchentscheidung zu vertrauen, das muss man üben, das ist nicht so einfach.
Was wollen Sie Ihrer Tochter mit auf den Weg geben?
Das Wichtigste ist Selbstbewusstsein. Ich wünsche ihr, dass sie an sich selber glaubt und Vertrauen in sich hat. Was auch immer sie tun möchte, sie soll sich nicht verunsichern oder von ihrem Weg abbringen lassen. Ob sie mal eine Künstlerkarriere einschlagen oder in den Pflegeberuf gehen möchte – als Mutter werde ich versuchen, mich bei dieser Entscheidungsfindung zurückzuhalten, und möchte ihr die Stärke geben, die eigene Meinung, ihre eigenen Wünsche zu vertreten. Vielfalt ist wichtig für die Gesellschaft, wir sollten nicht nach dem Durchschnitt streben.
Das Gespräch führte Anne Klesse.
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