Rotary Entscheider
„Nie einer von den Stummen sein“
Der neue Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Stiftungen, Joachim Rogall, über Tücken des deutschen Stiftungsrechts und seine Leidenschaft für Osteuropa
Auf dem Deutschen Stiftungstag Mitte Mai in Nürnberg wurde Joachim Rogall zum neuen Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Stiftungen gewählt. Seit 2014 war er bereits der Stellvertretende Vorsitzende des Verbandsvorstandes. Das Treffen findet zwischen zwei Terminen in Berlin statt, als Treffpunkt hat Joachim Rogall das International Alumni Center (iac Berlin) in der Linienstraße in Mitte vorgeschlagen, das Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen bei der Gestaltung von Netzwerken berät.
Der Blick aus dem obersten Stockwerk geht in den sonnigen Hinterhof und über die Dächer der Nebengebäude bis zum nahe gelegenen Fernsehturm. Obwohl sein Terminkalender dieser Tage nicht voller sein könnte und er ständig zwischen Berlin, seinem Wohnort Heidelberg und dem Hauptsitz der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart pendelt, nimmt er sich Zeit für das Gespräch. Am Ende lässt er das Taxi vor der Tür warten, um sich noch von allen Mitarbeitern per Handschlag zu verabschieden.
Herr Rogall, der Bundesverband Deutscher Stiftungen feiert in diesem Jahr ein Jubiläum – vor 70 Jahren wurde mit dem ersten Stiftungstreffen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland seine Gründung initiiert. Wo steht der Verband heute?
Das Haus ist wohl bestellt. In den vergangenen vier Jahren hat der Verband weiter an Bedeutung gewonnen. Zum einen, weil er die zentrale Anlaufstelle für Stiftungswesen in Deutschland ist. Zum anderen, weil Stiftungen mittlerweile viel stärker miteinander kooperieren und Beratung benötigen. Als ich 1996 bei der Robert Bosch Stiftung anfing, arbeiteten Stiftungen in Deutschland noch meist alleine. Inzwischen ist es normal, dass international geprüft wird: Was machen eigentlich die anderen? Es gibt Kooperationen weltweit, Stiftungen müssen globale Spieler sein. Der Bundesverband ist die Kompetenzzentrale dafür.
Inwiefern hat sich die Verbandsarbeit verändert?
Zunehmend haben wir es mit ganz neuen Zielgruppen zu tun. Während das Thema Stiftung früher eher eines der älteren Generation war, verfügen heute immer mehr junge Menschen früh über viel Geld. Das hat unter anderem mit der Kapitalakkumulation der Erbengeneration und mit den jungen erfolgreichen Start-up-Gründern zu tun. Bei denen geht es nicht darum, was nach ihrem Ableben mit ihrem Geld passieren soll, sondern die überlegen, wie sie zu Lebzeiten mit ihrem Geld etwas Sinnvolles machen können.
Die möchten die Gesellschaft verändern und einen Beitrag leisten, etwas an die Gesellschaft zurückgeben. Das kann man – früher wie heute – als Mäzen mit Spenden an unterschiedliche Projekte machen, oder systematisch angehen und eine eigene Stiftung gründen. Als Verband mit über 4300 Mitgliedern stellen wir die ganze Bandbreite an Ansprechpartnern. Ob man sich lokal oder global um Verbesserungen kümmern möchte – man macht es sinnvollerweise nie allein, sondern sucht Mitstreiter. Eine Plattform zur Vernetzung zu bieten ist mittlerweile die Hauptaufgabe des Bundesverbandes geworden.
Welche Ziele setzen Sie sich als neu gewählter Vorstandsvorsitzender?
Neben der weiteren Internationalisierung möchte ich die Professionalisierung im Stiftungssektor vorantreiben. Stiftungen sollten transparent und überzeugend arbeiten und ihre Mittel verwalten. Unter anderem mit der deutschen Stiftungsakademie bieten wir dazu Rat und Hilfestellung an.
Die aktuell niedrigen Zinsen sind auch für Stiftungen eine besondere Herausforderung …
Da das Stiftungskapital nicht angefasst werden darf, sind Stiftungen auf Zinserträge angewiesen. Doch wenn es null Zinsen gibt, können Stiftungen schnell in Existenznot geraten. Wir zeigen ihnen, wie sie auch mit ihrem Kapital selbst etwas bewirken können – indem sie es sinnstiftend anlegen.
Erhoffen Sie sich da Hilfe von der im Koalitionsvertrag angekündigten Modernisierung des Stiftungsrechts? Bezüglich unserer Lobbyarbeit bleibt es schwierig, aber ich bin zuversichtlich. Wir setzen uns zum Beispiel für Transparenz durch ein Stiftungsregister ein, und dafür, dass mehr Verbrauchsstiftungen gegründet werden können, die nicht nur die Erträge, sondern auch ihr Kapital einsetzen dürfen. Das ist nötig als Reaktion auf die aktuelle Zinslage. Auch sollen Stifter zu Lebzeiten Änderungen am Stiftungszweck machen können. Ich kenne viele Fälle, in denen sich Stifter zunächst für einen bestimmten Zweck entschieden haben, im Laufe der Zeit aber feststellen, dass es etwas anderes gäbe, das ihnen inzwischen noch viel wichtiger ist.
Aktuell darf der einmal festgelegte Zweck aber nicht verändert werden. International tätige Stiftungen haben es oft schwer: Wenn eine deutsche Stiftung ein Projekt im Ausland unterstützen will, muss erst nachgewiesen werden, dass das Projekt nach deutschem Recht gemeinnützig ist – das ist in vielen Fällen unmöglich. Schon das deutsche Stiftungsrecht ist sehr komplex, ein übergreifendes europäisches Stiftungsrecht gibt es nicht. Das sollte aber das Ziel sein: ein europäischer Binnenraum für Philanthropie. Sie sehen: Wir stehen vor vielen Herausforderungen, die es früher nicht gab.
Vom US-amerikanischen Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis stammt das Zitat, dass die meisten Stiftungen reicher Leute Ausdruck tätiger Reue seien. Rund zwei Drittel der Stiftenden in Deutschland sind Privatpersonen. Welche sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Beweggründe für Menschen, eine Stiftung zu gründen?
Mithilfe von eigenem Geld etwas Sinnvolles zu tun hat meiner Erfahrung nach weniger mit einem schlechten Gewissen als mit Unternehmertum zu tun. Warum sollten beruflich erfolgreiche Menschen nicht genauso erfolgreich sein in der Behebung von gesellschaftlichen Problemen? Die meisten Stifter haben einen persönlichen Antrieb. Stiften muss Spaß machen, muss eine Passion sein. Anstatt sich eine Jacht oder einen Ferrari zu kaufen, überlegen sich diese Menschen, wie sie ihr Geld – ob geerbt oder erarbeitet – für gesellschaftliche Anliegen einsetzen. Das finde ich sehr beeindruckend.
Es gibt dafür Vorbilder wie die Rockefellers in den USA oder in Deutschland Robert Bosch oder jüngst zum Beispiel Michael Otto. In den USA ist es schon sehr lange üblich, einen Teil des eigenen Vermögens für gemeinnützige Zwecke auszugeben, das wird auch seitens der Gesellschaft so erwartet. Ich glaube, diese Art von Verantwortung haben wir in Deutschland auch, und die in den letzten Jahren steigende Zahl von Stiftungsgründungen zeigt, dass viele das erfreulicherweise genauso sehen.
Und was ist Ihr persönlicher Antrieb, Ihre private Passion?
Ich bin nahe Heidelberg auf dem Land aufgewachsen und wohne mit meiner Frau dort in meinem Elternhaus. Unsere zwei Kinder sind mittlerweile erwachsen. Ich gehe gerne mit dem Hund in den Wald oder arbeite im Garten, das entspannt mich und ist meine Kraftquelle. Mein Berufsleben ist relativ stressig, ich reise viel. Ich engagiere mich gerne, unter anderem bei Rotary. Meine Leidenschaft ist die osteuropäische Geschichte. Meine Familie stammt aus Ostpreußen, deshalb war ich schon als Schüler oft in Polen und Russland und habe Polnisch und Russisch gelernt.
Die Familie meiner Frau stammt aus Oberschlesien, wir haben uns während des Studiums in einem Polnisch-Kurs kennengelernt. Ich finde, mit unserer Geschichte müssen wir Deutschen immer eine Brücke nach Osten sein. Das beginnt bei der Sprache. Die Bezeichnung für Deutsche im Polnischen ist „die Stummen“, weil sich Deutsche und Polen zu Beginn ihrer Nachbarschaft nicht verständigen konnten. Ich wollte nie einer von den Stummen sein. Ich habe nun die Möglichkeit, durch meine Arbeit im Stiftungswesen etwas für die Völkerverständigung zu tun. Das empfinde ich als ein großes Privileg.
Prof. Dr. Joachim Rogall (RC Sinsheim) studierte Osteuropäische Geschichte, Slawische Philologie und Germanistik in Mainz, Posen un dHeidelberg. Seit 2003 ist er außerplanmäßiger Professor für Osteurpäische Geschichte der Uniersität Heidelberg, seit 2013 Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung.
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