Interview
Plötzlich Unternehmerin
Name verpflichtet: Heike Gothe übernahm nach einem schweren Schicksalsschlag die Führung des Familienunternehmens und liefert Gothe-Verbindungstechnik in alle Welt
Heike Gothe, RC Mülheim a.d. Ruhr-Uhlenhorst ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Gothe & Co GmbH Elektro-Apparate. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet und ist ehrenamtlich als Richterin am Arbeitsgericht Essen tätig sowie im Vorstand der hiesigen IHK.
Über dem Eingang in Mülheim an der Ruhr hängt noch der alte Firmenschriftzug: „El.Ap. Gothe & Co“, der Eingangsbereich der Gothe & Co GmbH Elektro-Apparate ist dekoriert mit einer alten Gothe-Grubenleuchte, Fotos und Erinnerungsstücken aus bald einem Jahrhundert Firmengeschichte. Geschäftsführerin Heike Gothe teilt sich ihr Büro mit den beiden Familienhunden. Gegenüber ihrem Schreibtisch hängt ein Porträt des Unternehmensgründers Heinrich Gothe, hinter einem der beiden Fenster fließt der Verkehr der A40, vom anderen fällt der Blick auf die Produktionshalle. Heike Gothe trinkt Tee, eine langjährige ältere Mitarbeiterin hat der 55-Jährigen fürsorglich Apfelschnitze hingestellt.
2003, als Ihr Mann plötzlich erkrankte, haben Sie von einem auf den anderen Tag das Familienunternehmen übernommen, ohne Führungserfahrung. Was war das für eine Situation? Das war eine schwere Zeit und ein wahnsinniger Spagat, sich um das Unternehmen, meinen kranken Mann und unsere beiden Kinder, damals gerade elf und 13 Jahre alt, zu kümmern. Aber: Name verpflichtet. Ich trage nunmal den Namen Gothe. Nach dem Herzinfarkt meines Mannes war es für mich selbstverständlich, das Zepter in die Hand zu nehmen und den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Ganz neu war ich ja nicht, in einem Familienunternehmen wie unserem kennt man sich untereinander gut, und ich habe auch vorher schon in der Firma gearbeitet. Es standen damals gerade große Projekte in der Erdölförderung in Norwegen an und es war wichtig, keine Verunsicherung oder Gerüchte aufkommen zu lassen.
Ich habe mich also vor die Belegschaft gestellt und erklärt, dass mein Mann auf der Intensivstation liegt, ich aber da bin und alles weitergeht wie bisher. Wir hatten natürlich vorgesorgt für einen solchen Fall, mit Vollmachten etc. Glücklicherweise bin ich ein Organisationstalent – und konnte mich auf unsere Mitarbeiter verlassen, die jederzeit hinter mir standen. Den wirklichen Schweregrad der Erkrankung meines Mannes – die Tatsache, dass er nie wieder zurückkehren wird – habe ich damals für mich behalten. Ich wusste, dass er sterben wird. Es gab von Anfang an keine Hoffnung mehr. Die Arbeit war eine Art Therapie für mich, ich war gefordert und empfand es als wohltuend, mich nicht mit meinem persönlichen Schicksal als alleinerziehende Mutter auseinandersetzen zu müssen.
Gab es jemals den Gedanken, die Firma zu verkaufen?
Den hatte ich immer wieder. So ein Unternehmen in solch einer männerdominierten Branche ist schon eine echte Herausforderung. Es gab die Momente, in denen ich mich fragte: Warum tue ich mir das überhaupt an? Aber die kennt ja jeder, das ist natürlich. Wer behauptet, nie Zweifel zu haben, dem kann ich das nicht recht glauben. Mir ging es damals auch darum, für meine Kinder das Erbe meines Mannes zu bewahren.
Es folgten weitere große Herausforderungen wie die Bankenkrise, die Energiewende und persönliche Schicksalsschläge, unter deren Druck andere vielleicht aufgegeben hätten…
Die Wirtschaftskrise 2008/2009 haben wir schon gespürt. Wir mussten eine Zeit lang Kurzarbeit machen, Einschnitte vornehmen. Letztendlich gab es, wenn man auf eine so lange Firmengeschichte wie wir zurückblickt, immer Aufs und Abs. 1922 hat Heinrich Gothe das Unternehmen gegründet und die explosionsgeschützte Grubenlampe erfunden. Schon Ende der 20er Jahre führte der „Schwarze Freitag“ zur Weltwirtschaftskrise. Solche Herausforderungen im Geschäftsleben muss man annehmen und darauf reagieren. Ein Unternehmen muss innovativ sein, sich aber auch den wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten anpassen. Meine Brustkrebserkrankung 2010 war da schon etwas anderes. Die hat mich ziemlich vom Hocker gehauen. Ich war monatelang mit Chemotherapie und Bestrahlung außer Gefecht gesetzt und nur mit mir beschäftigt. Aber auch da konnte ich mich auf meine Belegschaft verlassen.
Während andere von der Steinkohle abhängige Unternehmen mit ihr untergegangen sind, haben Sie Ihren Betrieb ins Zeitalter der erneuerbaren Energien gerettet – was haben Sie anders gemacht?
Seit 1949 stellt Gothe auch Hochspannungsverbindungstechnik her, das war der Grundstein für unsere gesamte Verbindungs- und Verzweigungstechnik. Dann kam die Kohlekrise, der Steinkohlebergbau in ganz West- und Mitteleuropa brach ab Ende der 50er Jahre ein, immer mehr Zechen wurden geschlossen. Mein Mann hat dann ab den 80er Jahren angefangen, das Unternehmen international aufzustellen und gleichzeitig neue Märkte, auch bei den erneuerbaren Energien, gefunden. Ich habe das weitergeführt. Heute sind wir Marktführer für wasserdichte, explosionsgeschützte elektrische Verbindungstechnik und liefern unsere langlebigen und umweltfreundlichen Produkte an den Tunnelbau, Raffinerien, die Energieversorgung, Erdölund Erdgasgewinnung in die ganze Welt. 2018 wird die letzte Zeche geschlossen. Dann ist dieses großartige Kapitel in Deutschland leider zu Ende.
Für Laien: Wie muss man sich so einen Gothe-Verbindungskasten vorstellen?
Er funktioniert wie eine Lüsterklemme – nur eben für bis zu 36.000 Volt.
Vielen Unternehmern fällt es schwer, an die nächste Generation zu übergeben. Wie ist das bei Ihnen?
Meine Kinder arbeiten schon seit einiger Zeit im Unternehmen. Mein Sohn Jan ist 27 Jahre alt und Technischer Leiter, Hanna, 25, hat die Kaufmännische Leitung übernommen. Mein Traum, dass das Unternehmen auch in vierter Generation in Familienhand bleibt, wird wahr. Das Thema Unternehmensnachfolge bin ich vor zwei, drei Jahren aktiv angegangen und lasse mich coachen. Kinder werden erwachsen, da muss man als Eltern loslassen. Ich musste meinen Mann loslassen. Irgendwann muss ich die Firma loslassen. Mittelständler, bei denen die Nachfolge nicht so gut funktioniert, haben oft ein Problem mit dem Loslassen. Ich freue mich, mehr Zeit für mich zu haben und mich langsam aus dem Unternehmen zurückzuziehen.
Gehen Sie schwierige Entscheidungen und Probleme immer proaktiv an?
Ich höre auf mein Bauchgefühl und bin sehr entscheidungsfreudig. Ich kann mich schnell entscheiden – außer bei Schuhen und Handtaschen. Im Ernst: Bei Problemen muss der Sachverhalt auf den Tisch. In meinem Bereich, der Personalentwicklung, habe ich oft mit emotionalen Dingen zu tun. Ich sehe mich als Krisenmanagerin mit Humor, die Konflikte gerecht zu lösen versucht. Als Unternehmenslenkerin muss ich natürlich auch autoritär sein. Da gibt’s ’ne klare Ansage und dann muss das so umgesetzt werden, Punkt. Als gebürtige Norddeutsche sag’ ich mal so: Manchmal hilft viel Schnacken auch nicht. Man sollte jedoch die Größe haben, sich für Fehlentscheidungen zu entschuldigen, und sie zu korrigieren. Vorgesetzte haben da eine Vorbildfunktion.
Helfen Ihnen Gespräche mit anderen Unternehmern oder mit Ihren rotarischen Freunden? Rotary ist für mich eine Art zweite Familie. Gerade in der Zeit, als mein Mann so schwer erkrankte und ich plötzlich Unternehmenschefin war, fühlte ich mich oft allein. Da war es eine Bereicherung, mit meinen rotarischen Freunden sprechen zu können, zumal in meinem Club viele Erfahrung mit eigenen Schicksalsschlägen hatten. Als mein Mann starb, veränderte sich auch mein Freundeskreis. Da war Rotary ein Geschenk, das ich auf keinen Fall missen möchte.
Das Gespräch führte Anne Klesse
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