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Der Hunger des Films nach guten Geschichten

Forum - Der Hunger des Films nach guten Geschichten
Blick in die Ausstellung, die bis zum 11. März 2023 in Marbach gezeigt wird. © jens tremmel/dla marbach

Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach erzählt in einer Ausstellung von der schwierigen Ehe zwischen Literatur und Film.

Michael Hametner01.11.2022

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Carl Zuckmayers Drehbuch zu Der blaue Engel nach Heinrich Manns Roman Professor Unrat (1929) © DLA Marbach

Haben Sie sich auch schon einmal über eine Literaturverfilmung geärgert? Sie hatten sich nach der Romanlektüre einen ganz anderen Film vorgestellt als den Film, den Sie gesehen haben? Ich schicke gelegentlich selbst Stoßseufzer zum Himmel. Inzwischen weiß ich, dass ich etwas falsch mache, wenn ich mich ärgere. Was? Ich kann es erklären, später. Erst will ich mit Ihnen die Ausstellung besuchen.

Im Deutschen Literaturarchiv in Marbach wurde Ende September eine Schau über die nahezu 100-jährige Ehe zwischen Literatur und Film eröffnet. Ihr Titel: Abgedreht – Literatur auf der Leinwand. Zum Auftakt gab es ein Gespräch zwischen dem Filmwissenschaftler und Mitkurator Michael Töteberg und Volker Schlöndorff, dem bei Literaturverfilmungen unbestrittenen König des deutschen Films. Ja, König! Seine Krone trägt er seit 1980, als er den Oscar für die Verfilmung der Blechtrommel von Günter Grass erhielt.

Schreck am Set

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Typoskript: Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff in Zusammenarbeit mit Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. Das Drehbuch nach der gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll © DLA Marbach

Grass und er hätten bei der Arbeit an der Filmvorlage einvernehmlich miteinander kooperiert, sagt Schlöndorff. Was an ein Wunder grenzt, denn am Drehbuch haben außer Grass und Schlöndorff noch zwei weitere Autoren mitgearbeitet. Schöpferische Harmonie ist beim Blick auf das Jahrhundert von Literatur auf der Leinwand nicht die Ausnahme, aber keinesfalls die Regel. Nach zwei der Romane von Volker Kutscher ist die erste deutsche Megaserie Babylon Berlin entstanden.

An der Drehbuchentwicklung war Kutscher nicht beteiligt. Die Arbeit der Autoren kontrollieren, auf Werktreue pochen, das wollte er nicht. Das wollen aber viele seiner Kollegen und Kolleginnen oder ihre Erben – oder die Verlage oder die von Erben oder Verlagen beauftragten Rechtsanwälte. Die Ankündigung beim Filmset „Morgen kommt der Autor!“ ist oft kein Ausruf der Freude, sondern eine Drohung. Man merkt schon jetzt: Literatur auf der Leinwand ist für die Beteiligten ein heißes Thema. Es erklärt nicht den Ärger der Zuschauer über enttäuschende Literaturverfilmungen. Der Film kann keinen Bogen um die Literatur machen. Warum auch?

Das gewisse Etwas

In Deutschland war es früher die Ufa, in den USA sind es noch heute Hollywoods Traumfabriken. Ein Wirtschaftszweig, der in den USA zweistellige Milliardensummen bewegt. Da ist die Luft dünner als beim Klein-Label Arthouse. Die Filmindustrie braucht verfilmbare Geschichten wie ein Vampir das Blut. Die Ausstellung unterschlägt dabei die Selbstironie der Szene nicht. Sie zitiert einen Witz von Altmeister Alfred Hitchcock über Kinogänger und die ihrer Meinung nach schlechten Verfilmungen: Zwei Ziegen fressen die Rollen eines Films auf, der nach einem Bestseller gedreht worden ist, worauf die eine Ziege zur andern sagt: Mir war das Buch lieber.

Das (knappe) Jahrhundert der Literatur auf der Leinwand wird in Marbach am Beispiel von sechs Filmen erzählt, die alle ein etwas anderes Licht auf das Thema werfen. Es beginnt 1930 mit der Verfilmung von Heinrich Manns Professor Unrat. Wenn der Romantitel genannt wird, erscheint bei vielen Lesern nicht etwa Heinrich Manns Gesicht, sondern das von Marlene Dietrich, wie sie mit Zylinder und Strapsen im Profil auf einem Stuhl sitzt. Drei Autoren haben am Drehbuch mitgeschrieben, Romanautor Heinrich Mann nicht, aber zum Beispiel Carl Zuckmayer und Regisseur Josef von Sternberg, der später von sich glaubte, er sei es gewesen, der dem Drehbuch das Entscheidende gegeben habe. Vielleicht. Im Marbacher Archiv ist es zu prüfen.

Kästners Doppeltes Lottchen

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Erste Seite von Erich Kästners Drehbuch zum Doppelten Lottchen (1950) © DLA Marbach

Erich Kästners Geschichte mit dem Film ist eine ganz andere. Sie wird am Beispiel von Das doppelte Lottchen erzählt. 1937 schrieb Kästner ein dreiseitiges Exposé für einen Doppelrollen-Film und bot es einem befreundeten Story-Editor der Century Fox für Hollywood an. Ohne Erfolg. Dann noch einmal 1942. Kästner besaß eine Sondererlaubnis und konnte unter Pseudonym für die Ufa arbeiten. 1943 annulierte Goebbels die Erlaubnis, nach Münchhausen durfte Kästner kein neues Drehbuch vorlegen. Schließlich hat er 1949 den Stoff zum Roman umgearbeitet. Erst danach hat er das Drehbuch verfasst, das 1950 verfilmt wurde. Kein seltenes Beispiel, dass nicht realisierte Drehbücher mit ihren Autoren in die Prosa abgewandert sind. Kästners Fall belegt, dass die Mehrfachverwertung eines Stoffes einiges Extra-Geld abwerfen kann. Als Autor bekam er für seine Rechte am Buch fast 50.000 DM und später noch einmal 144.000 DM für seine Beteiligung an den Filmeinnahmen. Für jemanden, der noch 1927 seine Filmideen umsonst der Welt gab, war das eine stattliche Summe.

Dann wird die Geschichte des leider weitgehend vergessenen Experimentalfilms Jonas aus dem Jahr 1957 mit Belegen aus dem Literaturarchiv erzählt. Sein Realisator war der Filmautodidakt Ottomar Domnick, ein Außenseiter der Branche. Er konnte alles, Sequenz für Sequenz, mit Akribie vorplanen, aber für den Text holte er sich den jungen Hans Magnus Enzensberger, damals kaum älter als Mitte 20. Ein Auftrag vom Film, der den Dichter Enzensberger anschob.

Der Autor als schwächstes Glied?

Bei der Verfilmung von Ingeborg Bachmanns einzigem Roman Malina lief nicht alles glatt, sie bestätigte die Erfahrung, dass die Ehe zwischen Literatur und Film nicht selten geschieden wird. Bei Malina ging sie auseinander. Die Autorin war, weil schon 1977 verstorben, daran nicht mehr beteiligt, aber dafür die vom Regisseur mit dem Drehbuch betraute spätere Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Der Regisseur ging mit Jelineks Arbeit, als er sie in den Händen hielt, mehr als frei um, sodass die Jelinek später resümierte: Einmal Drehbuch und nie wieder.

Ein anderer Nobelpreisträger, nämlich Heinrich Böll, machte ähnlich schlechte Erfahrungen mit dem Film. Er erlebte sich als schwächstes Glied in der Kette vom Buch zum Film. Entweder wurden seine Intentionen verfehlt oder erstickten in der Experimentierwut der Regie. Erst als Volker Schlöndorff 1975 sein Partner bei der Verfilmung der Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum wurde, sah Böll sich auf der Leinwand verstanden. Die Titelrolle spielte Angela Winkler. Durch den Film erschien ihr Gesicht ab jetzt auf dem Buchcover. Das war, wie schon bei Marlene Dietrich für Heinrich Manns Roman, ein Beweis für die Suggestionskraft des Films, die der Literatur zugutekommt – wenn der Film gelingt. Andernfalls wandert das Buch in die hinterste Regalreihe.

Kopf gegen Leinwand

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Alfred Döblin arbeitete von Oktober 1940 bis Oktober 1941 in Hollywood in den Studios von Metro-Goldwyn-Mayer als „Writer“ © DLA Marbach

Dass Volker Kutscher der Verfilmung aus dem Weg gegangen ist und die drei Regisseure hat machen lassen, wurde schon gesagt. Noch nicht gesagt ist, warum nicht so einfach von schlechten Literaturverfilmungen zu reden ist. Dafür gibt die Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv Erklärungen. Die Leser haben ihren Film abgedreht, bevor ein Regisseur anfängt, die Produktionsgelder einzusammeln. Aus dem Buch ist im Kopf schon längst ein Film geworden. Wer den neben die Verfilmung legt, übersieht, dass Buch und Film zwei unterschiedliche Medien sind, die ganz verschieden funktionieren. Alles beginnt mit der notwendigen Kürzung für einen Film auf 90, höchstens 120 Minuten. Der Film verlangt eine andere Erzählstruktur, und er muss in Dialogen aussprechen, was im Buch nur Andeutung ist. Und er muss im glücklichsten Fall ein, zwei, drei Millionen Kinogängern gefallen – so gefallsüchtig ist ein anspruchsvoller Roman nicht. Schon Siegfried Lenz fand, liest man in der Marbacher Ausstellung, dass ein Leser seiner Fantasie freien Lauf lassen kann. Ein Filmzuschauer kann das nicht. Das beginnt schon beim Helden. Im Film ist er optisch festgelegt. Der Leser und vor allem die Leserin hatten sich einen anderen vorgestellt. Eher schlank, eher mit starkem Kinn, eher mit ausdrucksvollen Lippen. Mein Rat: Lassen Sie das Buch los, wenn Sie ins Kino gehen, dann ersparen Sie sich Ärger. Da steht doch im Vorspann ganz richtig: Nach einem Roman von … ­