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Gegen das Vergessen

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Der Wiener Jungverleger Albert C. Eibl verhilft Büchern, die zu ihrer Entstehungszeit keine Chance hatten, zu spätem Erfolg. © Philipp Horak

Die Verlagsbranche befindet sich seit Jahren in der Krise: Einige große werden größer, während kleine Verlage aufgeben müssen. Doch ein kleiner Wiener Verlag hat mit ungewöhnlichem Konzept Erfolg.

Michael Hametner01.09.2023

Kleine Buchverlage haben es schwer. Ein Jahr nach Corona noch schwerer. Der Buchmarkt ist seit Jahren rückläufig. Das Geschäft, das bleibt, macht meist der Online-Buchhändler Amazon, der mit Kleinverlagen nicht viel am Hut hat. Ich kenne mindestens eine Ausnahme: den Verlag „Das vergessene Buch“ (DVB) in Wien. Seine Geschichte ist spannend.

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Thomas Mann mochte Maria Lazars Debütroman „Die Vergiftung“ von 1920 nicht, Robert Musil schon. Lazars Werke sind jetzt neu im Wiener DVB Verlag erschienen © Österreichische Exilbibliothek/Literaturhaus Wien

Albert C. Eibl, der den Verlag noch in seiner Studentenzeit gründete, hat vieles richtig gemacht. 1990 in München geboren, aufgewachsen in Italien, ist er zur Fortsetzung seines Studiums nach Wien gekommen. Nach einem Praktikum bei einer deutschen Großzeitung wusste er, dass er lieber Bücher machen will. Die Zeitung von morgen lässt die von heute alt aussehen. Bücher – wenn sie nicht vergessen werden – bleiben. Eibl wagte den Schritt mit 24 Jahren Nach einer heißen Nacht mit Jazz und Wein kam ihm „gleich einer Epiphanie“ die Idee dazu. Bücher und ihre Autoren haben Schicksale. Die meisten werden mit den Jahren vergessen, wenige bleiben. Was aber ist mit Büchern, bei denen die Einteilung in zu Recht vergessen oder zu Unrecht vergessen gar nicht gilt, weil die Zeitgeschichte ihnen nicht günstig war und Autoren ins Exil gehen mussten? Texte, die keine Chance hatten, weil sie in der Zeit ihrer Entstehung nie Buch wurden, Texte von vor 90, vor 100 Jahren, Texte aus der Zwischenkriegszeit. Bücher, deren Autoren Juden waren, gar noch jüdischstämmige Frauen, meist ins Exil gedrängt, traf das Schicksal, vergessen zu werden. Dass der Fokus des Buchprogramms auf diesen Büchern liegt, sollte schon der Verlagsname sagen. Deshalb nannte ihn Albert C. Eibl, als er den Verlag im Dezember 2014 gründete, nicht Eibl Verlag, nicht Albert Verlag, auch nicht Albert C. Eibl Verlag, sondern Das vergessene Buch. Eine klare Ansage für das, was Buchhändler und Buchkäufer bekommen, schon im Verlagsnamen. Damit bahnte er den Weg gegen das rückläufige Geschäft.

Der, der damals – als er das Verlagsgewerbe in Wien anmeldete, war er 24 Jahre jung – intuitiv alles richtig machte, wird heute für Workshops angefragt, die zum Thema „Wie entwickle und führe ich einen Kleinverlag?“ oder ähnlich formuliert ausgeschrieben sind. Heute ist Eibl 33 Jahre alt.

Von der Dachterrasse seiner Wohnung in Nußdorf aus schauen wir auf Wien, vom Arbeitszimmer aus auf die Weinhänge in Richtung Kahlenberg. Die Wohnung liegt am Rand von Wien, wo die Stadt heute Dorf ist, und sie ist auch das Büro. Weitere Mitarbeiter gibt es keine, die Kostenstruktur ist günstig.

Sie war die „Dame mit Papagei“

Vieles ist in den neun Jahren, die der Verlag existiert, glücklich gelaufen. Zufälle haben hier und da eine Tür geöffnet, die in der Tapete nicht zu erkennen war. Der Student Albert Eibl saß in Wien in germanistischen Vorlesungen und hatte bereits den Plan für einen Verlag. Die Hülle war da, aber noch ohne Inhalt. In der Vorlesung zur Literatur der österreichischen Zwischenkriegszeit, die der Verleger damals bei Professor Johann Sonnleitner belegt hatte, hörte er zum ersten Mal den Namen Maria Lazar. Als die österreichische Germanistik in den 70er Jahren verspätet begann, das Werk der von den Nazis ins Exil gedrängten Autoren wiederzuentdecken, standen jüdische Schriftstellerinnen zunächst nicht an. Es lag die Schuld eines Österreich, das nur allzu schnell mit dem deutschen Faschismus gemeinsame Sache gemacht hatte, auf dem Schicksal von Maria Lazar. Dabei hätte sie einen Namen haben können. 1916 hatte Kokoschka sie als „Dame mit Papagei“ porträtiert. Sie war mit zahlreichen prominenten Figuren der damaligen Wiener Kulturszene wie Hermann Broch, Adolf Loos, Elias Canetti und Egon Friedell bekannt gewesen. In ihrem Roman Leben verboten! erzählt sie 1932, wie der Faschismus von Mitläufern aus dem bürgerlichen Milieu salonfähig gemacht wird. Das war keine „Frauenliteratur“, sondern hellsichtige Warnung vor dem, was kommt. Als es kam, hatte sie als eine der Ersten bereits 1933 mit ihrer Tochter Österreich verlassen. Sie ging mit Brecht und Helene Weigel – beide Frauen waren Schulfreundinnen – ins Exil nach Dänemark, später nach Schweden. 1948 schied sie wegen einer unheilbaren Krankheit freiwillig aus dem Leben.

Zurückgelassen hatte sie ihr ungedrucktes Werk in zwei schwarzmetallenen Kisten, die ihre nach England emigrierte Tochter sicher verwahrt, aber nie geöffnet hatte. Das tat erst die Enkelin. Sie überließ Anfang dieses Jahres die Typoskripte dem Literaturhaus Wien und die Rechte dem Verlag Das vergessene Buch. Bisher hat Eibl vier Romane von Maria Lazar veröffentlicht: zuerst das Debüt Die Vergiftung, kurz darauf Die Eingeborenen von Maria Blut, 2020 Leben verboten! und in diesem Jahr den Roman Viermal Ich. Das Gesicht des Verlegers öffnet sich beim Espresso, den wir auf seiner Dachterrasse trinken, zu einem Lächeln, wenn er anfügt, dass Die Eingeborenen von Maria Blut auf der Bühne des Burgtheaters angekommen ist, zum Berliner Theatertreffen 2023 eingeladen und von 3sat aufgezeichnet und zweimal ausgestrahlt wurde. Wahrscheinlich tranken wir den Espresso gar nicht, sondern nahmen ihn ein, so stolz war der Verleger. Aus gutem Grund. Es waren – mit Ausnahme von Johann Sonnleitner, dem Herausgeber der ersten beiden Lazar-Romane – ausschließlich Frauen, die sich seit den 80er Jahren darum bemühten, die Werke dem Vergessen zu entreißen.

Maria Lazar ist nicht die einzige Exil-Autorin, die in Eibls Verlag vor dem Vergessen bewahrt worden ist. Von Marta Kahlweis, Frau des Erfolgsschriftstellers Jakob Wassermann, erschien der Roman Schwindel, von der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson ihr Interview mit Adolf Hitler, das sie 1931 geführt hatte. Es ist eine Studie über den Populismus geworden. Insgesamt sind bis heute 14 wiederentdeckte Romane und Sachbücher erschienen. Mit dem Stolz des Verlegers als Entdecker legt Eibl mir Carl Laszlos Überlebensbericht eines Häftlings in Auschwitz in die Hand. Es stellt ein seltenes Dokument der ästhetischen Bewältigung des letztlich unsagbar bleibenden Grauens dar, das es verdient, neben die Bücher von Jorge Semprún und Imre Kertész gestellt zu werden.

Mehr als 8000 Exemplare von einem Titel

Es gibt, sagt mir Albert Eibl – da ist der Espresso schon längst getrunken –, ein in den letzten Jahren gewachsenes Interesse der Leser an jüngerer Geschichte. Mit nacherlebbaren Figuren, wie man ihnen in guten Romanen begegnen kann. Bei denen einem das Blut gefrieren könnte, weil man spürt, dass die Zeit von vor 90, 100 Jahren gefährlich aktuell ist. Wenn dann – sagt der glückliche Verleger – der Österreichische Rundfunk Maria Lazars Leben verboten! in der Coronazeit, wo im Lockdown das Leben nahezu auf null heruntergefahren war, zum Buch des Monats macht und Denis Scheck seinen Einfluss einsetzt, indem er den Roman in einer seiner TV-Sendungen behandelt, dann können schon mehr als sagenhafte 8000 Exemplare von einem Titel verkauft werden. Für einen Ein-Mann-Verlag war damit nicht zu rechnen. So entstand zur Regel die Ausnahme. Denn es stimmt schon, kleine Buchverlage haben es schwer.


 

Maria Lazar

Viermal Ich

DVB Verlag 2023,

224 Seiten, 24 Euro

 

 


2023, Maria Lazar, Die Vergiftung, DVB Verlag 2014,
© DVB Verlag 2014

 

Maria Lazar

Die Vergiftung

DVB Verlag 2014, 1

68 Seiten, 17,90 Euro

 

 


 

Maria Lazar

Die Eingeborenen von Maria Blut

DVB Verlag 2015,

269 Seiten, 17,90 Euro

 

  


2023, Maria Lazar, Leben verboten!, DVB Verlag 2020
© DVB Verlag 2020

 

Maria Lazar

Leben verboten!

DVB Verlag 2020,

380 Seiten, 26 Euro

 

 


 

Dorothy Thompson

Ich traf Hitler!

DVB Verlag 2023,

276 Seiten, 26 Euro