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Kunst ist kein Spielzeug für reiche Sammler
Der Leipziger Maler Matthias Weischer malt Interieurs und macht das Bild zur Bühne.
Sotheby’s hat ein Bild von Matthias Weischer für rund 350.000 Pfund verkauft. Als ich ihn darauf anspreche und den genauen Preis erfahren will, sagt er, dass er ihn nicht weiß. Matthias Weischer ist unter den Heerscharen von Leipziger Malern – wegen der renommierten Leipziger Kunsthochschule HGB bleiben viele in der Stadt hängen – ein Großer, ein ganz Großer. Das würde der stille, bescheidene und sehr konzentriert wirkende Mann nie von sich sagen. Der Preis, den die Bilder eines Malers erzielen, bestimmen seinen Platz im Ranking, aber nicht die Qualität seiner Kunst. Das müsste sogar Gerhard Richter einräumen, der seit Jahren der teuerste Maler der Welt ist. Weischer jedenfalls hat recht mit seiner Zurückhaltung.
Matthias Weischer, 1973 im westfälischen Elte geboren, hatte zwar einen Plan B, aber eigentlich wollte er immer Maler werden. Er hat sich als Halbwüchsiger im Fünf-Brüder-Haus gern zurückgezogen in die stillste Kammer und hat gezeichnet und gemalt. Die Malerei habe einen unglaublichen Sog auf ihn ausgeübt, sagt er. Sein Plan A ist aufgegangen. Seine Kunst wird von einer Galerie in Berlin und einer in Amsterdam vertreten. Im Sommer vergangenen Jahres hat er in Korea ausgestellt. Dass David Hockney für einige Zeit sein Mentor wurde, war der Preis für einen Wettbewerb, den Weischer gewann. Er hat ihn später in L. A. besucht und Hockney ihn gemalt. Der alte Star und der junge Aufstrebende schlossen eine Künstlerfreundschaft. Hockney hat ihm einen Gegenbesuch in Leipzig versprochen. Gut möglich, dass der heute 85-Jährige ihn nicht mehr schafft.
Etwas mehr als 20 Jahre ist Weischer jetzt Maler. Und hat es geschafft, wie man so sagt, wenn einer in der Szene der Kunst sichtbar geworden ist. Sieht man in einer Galerie oder im Museum ein Bild, das wirkt wie eine Bühne mit einer daraufgestellten Zimmerlandschaft ohne Menschen, dann könnte es sich um einen Weischer handeln. Seine Interieurs haben noch ein anderes Merkmal: Sie wirken ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Der Betrachter fühlt sich zurückversetzt in die 70er oder 80er Jahre.
Es war Anfang der 2000er, da war der Bereich für Kleinflugzeuge auf dem Leipziger Flugplatz ausgebucht. Aus vielen Ländern Europas und von Übersee kamen die wichtigsten Sammler, um bei den zweimal im Jahr stattfindenden Galerie-Rundgängen neue Bilder von den Heroen der Neuen Leipziger Schule zu kaufen. Die Neue Leipziger Schule war hip und die Menge an Bildern in den Anfangsjahren nicht so groß, dass man als Sammler warten konnte. Der Galerist Judy Lybke – einst Aktmodell, inzwischen Trendmacher – hatte die Neue Leipziger Schule erfolgreich an den Start gebracht. Für seinen Hauptdarsteller Neo Rauch hatte er sogar in New York Quartier gemacht und in Manhattan auf Zeit eine Dependance seiner Leipziger Galerie „Eigen & Art“ eröffnet. 2004 nahm Lybke auch Matthias Weischer unter Vertrag. Hypes haben es an sich, dass die Welle der Begeisterung langsam abebbt. Ist sie auch. Aber geblieben sind im Gefolge von Neo Rauch ein knappes Dutzend großer Namen, die der deutsche und internationale Kunstmarkt sehr wohl kennt und teuer anbietet. Der von Matthias Weischer gehört dazu.
Mehr Zeit für die Kunst
Nicht alle Bilder kosten so viel wie das bei Sotheby’s verkaufte, aber für die großen sind die Preise sechsstellig. Das Gerede über Geld ist nötig, damit die Feststellung, dass er in einer Schlafkoje in seinem Atelier wohnt, ihn nicht ärmlich erscheinen lässt. Es soll zeigen, dass er zum Malen geboren ist, weil er sich nie weit von seiner Staffelei entfernen kann. Das Atelier ist nach seinen Vorstellungen eingerichtet, ein großzügig bemessenes Rechteck mit wunderbarem Oberlicht. Erst jetzt mit 50 Jahren ist er dabei, sich an anderer Stelle, aber im selben Leipziger Stadtteil eine Wohnung auszubauen. Geldmangel konnte der Grund nicht sein, sondern Zeitmangel. Er redet viel über Zeit, weil er mit ihr geizig ist. Was er sich für die Jahre jenseits der 50 vornimmt, klingt so: „Ich sollte die Bilder noch mehr kommen lassen. Jeder Termin, den ich annehme, jede Verabredung, jede Ausstellung stört das Arbeiten. Ich würde gern noch mehr auf die Bremse treten.“ Weischer hat beileibe keine versteckten autistischen Züge an sich. Er weiß, dass er nach den Mal-Klausuren im Atelier mit seinen Bildern in die Öffentlichkeit gehen muss, und macht es auch. Weil es dazugehört, vermutlich nicht, weil er es liebt.
Ich habe von ihm einmal vernommen, dass er sich jedes Jahr nur zwei Dutzend neue Bilder vornimmt. Natürlich abhängig von der Größe. Er korrigiert im Gespräch die Zahl sogar nach unten: 15, höchstens 20. Daneben entstehen viele Zeichnungen und Druckgrafiken, aber bei den Bildern seien 20 das absolute Maximum, sagt er, und: „Das füllt mich schon genug aus, daneben bleibt nicht mehr viel Platz für andere Dinge.“ Die Verführung, den Markt mit immer mehr Bildern zu bedienen, wenn es gut läuft, kennt er nicht. Kunst ist für ihn kein Medium, das man ausnutzen kann.
Das Licht, die Nischen, die Ecken
Die Formen der Anfangszeit, in denen mich seine menschenlosen Interieurs an die Welt asiatischer Kunst mit Symmetrien und streng gebauten Ornamenten erinnert haben, löst er inzwischen auf. Eine leichte Verschiebung des Zeichensystems mit deutlicher Wirkung. Jetzt blicke ich fasziniert auf die Materialität der Wände auf den Bildern, auf das Licht, das aus den Nischen fällt, auf die Ecken, immer wieder auf die Ecken. Ich sehe nicht, wie es hinter der Ecke weitergeht, aber meine Fantasie denkt sich die Welt dazu. Es ist wie im antiken Drama, wenn der Bote die Schlacht hinter der Mauer beschreibt. Die Bilder von Matthias Weischer sind Welt, erschaffen aus Farbe, auf die leere Leinwand gesetzt mit dem Pinsel, dem Spachtel und, wie ich glaube: manchmal auch mit dem Finger. Etwas befremdlich der Satz, der sich mir aufdrängt: In den letzten Jahren sehe ich deutlicher, dass seine Bilder gemalt sind.
Weischers Bilder zu betrachten, löst bei mir etwas aus. Aber was sollen Bilder in einer Welt, die schon – um die Naturgewalten zu beruhigen – mit den Klimazielen nicht fertigwird und angesichts des Kriegsdonners russischer Angreifer in der Ukraine nicht weiß, ob sie viel mehr oder besser keine Panzer und Raketen schicken soll. „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Ach, Brecht, was du nicht sagst, denke ich. Als ich mit Matthias Weischer über Bilder in den Zeiten der Verbrechen zu sprechen versuche, wird er, der stille und freundliche Mann, energisch und hält mir entgegen: „Kunst ist keine Dekoration oder ein Spielzeug für reiche Sammler, sondern ein Verständniswerkzeug.“ Weil ich über den Ausbruch an Energie wohl etwas erschrocken gucke, setzt er gleich fort: „Mit Bildern von der Welt gibt die Kunst dem Menschen einen Schlüssel, um sich die Welt aufzuschließen und sie zu verstehen. Ich hoffe, das waren keine Plattitüden.“
Nein, waren es nicht. Ohne seine Art des Bildermachens, seine Interieurs ohne Menschen, seine tiefgestaffelten Räume, seine Farbfelder, seine Lichtspiele, würden wir manche „Ecken“ der Welt nicht sehen können. Das glaube ich. Das ist Leipziger Schule, und der in seinem Wesen leise Matthias Weischer ist einer ihrer außerordentlichsten Vertreter.
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